Wissenschaft:Krieg und Frieden im Labor

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Veit Hornung hat kürzlich den Leibniz-Preis erhalten. Er ist einer der wichtigsten Immunforscher Deutschlands. Je besser es gelingt, das Immunsystem zu verstehen, desto größer ist die Chance, Krankheiten zu bekämpfen

Von Martina Scherf

Zuerst fallen die Warnschilder auf: Nicht öffnen! Zutritt für Unbefugte verboten! Bio-Sicherheitsstufe zwei! Wer sich in den ersten Stock des Genzentrums der Ludwig-Maximilians-Universität in Großhadern vorwagt, lernt sofort, dass die Forscher hinter den gläsernen Labortüren mit hochsensiblen Substanzen hantieren. In weißen Kitteln füllen sie Pipetten und Reagenzgläser, bestücken Zentrifugen, Kühlschränke und Roboter, denen man eine schleimige DNA eingibt, und die jede einzelne Gensequenz darin identifizieren. 25 Mitarbeiter arbeiten derzeit auf dem Stockwerk, sie gehören zum Forschungsbereich von Veit Hornung, und ihr gemeinsames Ziel ist es, das menschliche Immunsystem zu verstehen. Je besser das gelingt, desto größer ist die Chance, eine Vielzahl von Krankheiten zu bekämpfen.

Veit Hornung hat sein Büro ganz vorne, in der abgerundeten Ecke des modernen weißen Forschungsbaus, der vor knapp zwei Jahren auf dem Campus hinter dem Klinikum Großhadern errichtet wurde. Die Nähe von Büros und Laboren ist "ein bisschen amerikanisch", sagt Hornung. Flache Hierarchien, viel Austausch, das ist dem Professor wichtig.

Im kornblumenblauen Pullover sitzt er auf dem Sofa in seinem Büro, an der Wand ein Bild mit roten Kreisen - es könnte moderne Kunst sein, ist aber eine Aufnahme von Immunzellen. Hornung hat es auf eine Schallschutzwand drucken lassen, "denn das Büro hat anfangs gehallt wie eine Kathedrale", erzählt er und lacht.

Der Mediziner ist mit gerade mal 41 Jahren einer der wichtigsten Immunforscher im Lande. Vor Kurzem hat er den Leibniz-Preis, den bedeutendsten deutschen Forscherpreis erhalten. Sein Spezialgebiet: die Funktion der Rezeptoren im angeborenen Immunsystem des Menschen. "Das ist sozusagen die vorderste Front", sagt er. Wenn Wissenschaftler versuchen, Laien das komplexe Immunsystem zu erklären, ist oft von Krieg und Frieden, Angriff und Verteidigung die Rede. Denn es ist ein unsichtbarer, stiller Krieg, der sich jeden Tag im Inneren des Körpers abspielt.

Im Laufe der Evolution haben sich zwei Verteidigungssysteme in Wirbeltieren, zu denen auch Menschen gehören, entwickelt: das angeborene, das in jedem Organismus vorhanden ist, und das erworbene Immunsystem, das zum Beispiel gezielt Antikörper produziert, wenn Erreger in die Blutbahn eindringen. Beide Systeme arbeiten eng zusammen, erklärt Hornung. Wie genau, hat die Wissenschaft allerdings noch nicht entschlüsselt. Daran arbeiten Mediziner, Chemiker und Biologen weltweit. Der Franzose Jules Hoffmann und der Amerikaner Bruce Beutler erhielten 2011 den Medizin-Nobelpreis für ihre Erkenntnisse. Hornung ist mit seinen Publikationen mittlerweile einer der meist zitierten deutschen Forscher.

Wenn es gelingt, die Funktionsweisen des Immunsystems besser zu verstehen, können nicht nur Virus-Erkrankungen und bakterielle Infektionen besser behandelt werden, sagt der Mediziner. Es lassen sich dann auch Therapien entwickeln für Krankheiten, bei denen ein fehlgeleitetes Immunsystem eine Rolle spielt: Gicht oder die rheumatische Arthritis, aber auch Alzheimer, Parkinson oder Diabetes-Typ II ("Alterszucker"). Zuletzt wurden große Erfolge im Kampf gegen Krebs erzielt. Hornung und seine Mitarbeiter versuchen etwa, bestimmte Zellen in einem Tumor als Frontkämpfer zu aktivieren, um das Geschwür von innen heraus zu bekämpfen.

"Als ich Anfang der Nullerjahre an meiner Doktorarbeit arbeitete", erzählt der Münchner, "hieß es noch: Impfungen gegen Krebs, das ist verschwendete Energie, das wird nie funktionieren." Heute sei man bei manchen Krebsarten nahe dran.

Die enormen Fortschritte in der Gentechnik spielen dabei eine zentrale Rolle. In den Laboren mit den Sicherheitshinweisen an den Türen isolieren die Forscher einzelne Zellen, schneiden Gensequenzen auseinander, modifizieren sie und stückeln sie wieder zusammen, um zu sehen, wie die veränderten Zellen reagieren. Sie lassen Viren auf die Zellen los und studieren die Abwehr. Sie lagern ihr Zellmaterial in riesigen Gefriertruhen, aus denen sie sich immer wieder bedienen können. Modernste Roboter, Stückwert 600 000 Euro, helfen bei der Bestimmung und Auswertung, auch beim Pipettieren. "Der Aufwand ist immens, aber das ist es wert", sagt Hornung.

"Hierarchie sollte sich durch Leistung ausdrücken, nicht durch Alter oder Titel", sagt Veit Hornung. (Foto: Jan Greune/OH)

Tierversuche, vor allem an Mäusen, seien immer noch unverzichtbar - im benachbarten grünen Gebäude auf dem Martinsrieder Campus, dem Biomedizinischen Zentrum, werden Nage- und andere Tiere für Forschungszwecke gehalten. Doch dank moderner Technik seien sie nicht mehr so wichtig wie früher, sagt Hornung: "Es lassen sich auch längst nicht alle Erkenntnisse von der Maus auf den Menschen übertragen."

Doch auch wenn die Technik enorme Fortschritte macht - die Wissenschaftler brauchen vor allem: Geduld. "Man muss immer wieder neue Wege probieren und Rückschläge in Kauf nehmen", sagt Hornung. Aber auch die berühmten Vorgänger in seinem Fach hätten nie einen Impfstoff entwickelt, wenn sie nicht einfach eines Tages angefangen hätten, zu impfen. Das Tüfteln mache ihm Spaß, sagt Hornung, aus den Rohdaten herauslesen, was sich an Erkenntnissen darin verbergen könnte: "Das ist, als würde man den ganzen Tag Knobel-Rätsel lösen", sagt er und lacht. Er würde gerne noch selbst im Labor stehen, doch dazu fehlt ihm längst die Zeit.

Dass er Medizin studieren würde, war ihm spätestens nach dem Zivildienst im Krankenhaus klar. Er durfte im OP helfen und wollte danach Chirurg werden. Doch während des Studiums an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) orientierte er sich in Richtung Forschung, die Doktorarbeit schrieb er dann schon in der Immunologie. Zwei Jahre war er Assistent in der Klinischen Pharmakologie der LMU, dann ging er für zwei Jahre in die USA und wurde 2008, mit 32 Jahren, Professor für Klinische Biochemie an der Universität Bonn, wo er zuletzt das Institut für Molekulare Medizin leitete. 2015 folgte er dem Ruf auf den Lehrstuhl für Biochemie an seine Alma Mater nach München. Auch als Spitzenforscher macht ihm das Unterrichten immer noch Spaß, "der Umgang mit Studenten zwingt mich immer wieder zu einem persönlichen Update", sagt er.

Überhaupt verkörpert der Biochemiker einen neuen Typus Professor. Nicht nur wegen seiner jugendlichen Erscheinung. Sein Büro, meint er, müsste nicht so groß sein, mit den meisten Mitarbeitern ist er per Du, kommuniziert wird ohnehin meist auf Englisch. "Hierarchie sollte sich durch Leistung ausdrücken, nicht durch Alter oder Titel", sagt er, "in den USA sitzen selbst die Superstars in kleinen Kammern." Auch wenn er Vieles am amerikanischen Wissenschaftsbetrieb schätzt - ganz dorthin gehen, das kann er sich zur Zeit nicht vorstellen. Wegen der Familie - er hat drei Kinder -, aber auch wegen der politischen Stimmung im Land unter Trump. "Die Kollegen ächzen", stellt er fest.

"Als Wissensschaftstandort ist München ja kaum zu toppen", sagt der Forscher - nicht nur, weil es seine Heimatstadt ist. Er muss nur aus dem Fenster schauen, um zu sehen, wie der Martinsrieder Campus wächst und wächst: Auf der einen Seite das Klinikum Großhadern, nebenan das Helmholtz-Institut für Stammzellenforschung, auf der anderen Seite das Max-Planck-Institut für Biochemie. Rundherum haben sich biotechnologische oder pharmazeutische Firmen angesiedelt. Bald werden weitere Lehrstühle ins Haus einziehen: Gen-Mediziner, Biologen, Chemiker, Bioinformatiker. Sie alle werden eng zusammenarbeiten. Das offene Treppenhaus und die bunten Sitzecken fördern den Austausch. "Zusammen Kaffee trinken, das ist immer noch besser als jede Kommunikation über neue Medien", sagt Hornung.

© SZ vom 13.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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