Serdar Somuncu im Interview:"Ich will Versager in der Mannschaft haben"

Serdar Somuncu

Serdar Somuncu 2013 zu Gast bei der Talksendung Anne Will.

(Foto: imago stock&people)

Der Kabarettist und Gladbach-Fan Serdar Somuncu spricht über sein Mitleid mit dem Tabellenletzten 1. FC Köln und erklärt, was ihn am FC Bayern stört.

Interview von Sebastian Fischer

Die meisten kennen Serdar Somuncu, 49, geboren in Istanbul und aufgewachsen in Neuss, von seinen Auftritten in der heute-show, als Kanzlerkandidaten der Satirepartei "Die Partei" bei der vergangenen Bundestagswahl, als Talkshowgast oder Moderator seiner eigenen Talkshow "So! Muncu" auf n-tv. Seit er vor fast 20 Jahren auf der Bühne "Mein Kampf" rezitierte und bloßstellte, gilt er als einer der provokantesten deutschen Humor-Arbeiter. Fan von Borussia Mönchengladbach ist er seit mehr als 40 Jahren. Er wohnt in Berlin - und im bei Gladbachern nicht unbedingt beliebten Köln.

SZ: Herr Somuncu, macht es für Sie als Gladbach-Fan überhaupt noch Spaß, den 1. FC Köln zu hassen, den abgeschlagenen Letzten?

Somuncu: Ooooh. Tut mir echt leid!

Das soll wahrscheinlich "Ja" heißen?

Alle meine Kölner Freunde wollen mir Mitleid einreden. Aber es macht ja Spaß, den FC zu hassen. Das liegt nicht nur am Verein, es liegt auch an der Stadt, an der Selbstgefälligkeit der Kölner, am Karneval. Der 1. FC Köln ist eigentlich nur das Symbol, das diese hässliche Stadt verdient.

Na, na, na, das klingt aber sehr verbittert. Wie haben Sie denn dann die erfolgreichen vergangenen Kölner Jahre erlebt?

Mit Gelassenheit. Es sind schon andere nach Europa gekommen und dann vor den Toren Wiens gescheitert (lacht). Kenne ich aus meiner eigenen Geschichte. Die Erfüllung, die man darin sieht, irgendwann nach Europa zu kommen, kann schnell verpuffen.

Hatten Sie gar keinen Respekt vor dem Kölner Erfolg?

Ich war eher erstaunt über den Kollaps. Ich dachte, dass Jörg Schmadtke und Peter Stöger es endlich mal geschafft haben, diesen unsteten Verein in Form zu bringen. Aber das war trügerisch. Der Kader ist kein Erstligakader, nur Timo Horn und Jonas Hector stechen hervor. Auch die Spielweise hat einen Europa-Platz nicht gerechtfertigt. Das war Zufall, und den Toren von Anthony Modeste zu verdanken. Und es wird viel Arbeit zu leisten sein, bis der FC wieder eine stabile Größe wird. Wenn er es jemals war.

Warum?

Man sieht, dass im Verein unheimlich viel nicht zu stimmen scheint. Zu behaupten, wie es das Präsidium nach der Entlassung von Stöger getan hat: Unser einziger Fehler war, nicht mitbekommen zu haben, dass die Verantwortlichen nicht mehr gut gearbeitet haben - das ist ein Hohn. Was hat denn ein Präsidium sonst zu tun?

Und wie um Salz in die Kölner Wunden zu streuen, coacht Peter Stöger inzwischen Borussia Dortmund im von oben bis unten schwarz-gelben Gewand.

Total lächerlich. Das spottet seinem ganzen Verhalten Hohn, dass er von einer auf die andere Sekunde sein komplettes Outfit inklusive Kappe und Brillengestell ändert und diese seltsame Leidenschaft, die er damit zelebriert, auf einen anderen Verein überträgt. Fänd ich als FC-Fan ärgerlich.

Also doch Empathie mit den Kölner Anhängern?

Ich finde es immer bei Traditionsmannschaften ärgerlich, wenn sie in ihrer Strategie hin- und herpendeln, weil mir die Zuschauer leidtun. Es gibt viele überzeugte FC-Fans, denen tut man damit keinen Gefallen. Ich kann den Sarkasmus nachvollziehen, den die Kölner aufbringen müssen, um die Katastrophe der Hinrunde zu erklären. Aber ich bin Gladbach-Fan. Und dazu zählt auch, dass man seinen Lokalrivalen nur bedingt schont. Auch am Sonntag nicht.

Werden Sie in Köln im Stadion sein?

Ja.

In einer Loge?

Ich bin ein paar Mal bei Stefan Raab gewesen, aber das war schwer erträglich, vor allem wenn wir gewinnen. Dann muss ich mich für jeden Biss in die Bratwurst rechtfertigen. Ich sitze bei den Fans.

Wie schauen Sie eigentlich Fußball? Brüllen Sie? Fluchen Sie? Pfeifen Sie die Spieler aus?

Ich schaue jedes Heimspiel in Gladbach im Stadion. Und da gibt es schon Szenen, die uns Fans bewegen.

Was Somuncu über den FC Bayern sagt

Manager Max Eberl schimpfte nach dem letzten Hinrunden-Spieltag über die Fans, die beim Stand von 1:1 gegen den Hamburger SV zu pfeifen begannen.

Es war gar nicht so, wie Max gesagt hat, dass wir Spieler ausgepfiffen haben. Es war von den Rängen einfach nicht nachzuvollziehen, warum wir uns auf einmal zurückziehen und darauf warten, dass der HSV stärker wird! Da bin ich auch voll dabei, da rege ich mich auch auf. Genau wie ich mich freue, wenn ein Tor fällt.

Eberl argumentierte, dass die Erwartungshaltung in Gladbach unrealistisch geworden sei.

Das sehe ich nicht so, das habe ich Max auch gesagt. Die Erwartungshaltung steigt mit jedem Sieg, alles andere wäre ungewöhnlich, sonst müssten wir um nichts spielen. Dass der Verein zurückrudert, ist knapp an der Grenze zur Ängstlichkeit. Und Kritik abzutun als Attitüde einer Kaste von Fans, die nichts von Fußball versteht, ist ungerecht. Wir Fans sind der Verein, und der Verein wäre ohne uns nichts. Und deswegen müssen es die Verantwortlichen hinnehmen, wenn wir unzufrieden sind. Wenn wir teurer einkaufen als in den vergangenen Jahren, stellen wir Ansprüche, dann wollen wir wieder im Europapokal spielen. Wo wären wir, wenn wir vor jeder Saison sagen: "Das Ziel ist ein einstelliger Tabellenplatz, Hauptsache wir steigen nicht ab"? Wir sind ja nicht der HSV!

Die Gladbacher Hinrunde war weder so richtig gut noch richtig schlecht. Ihre Analyse?

Das stimmt, die Kontinuität fehlt. Wir haben sehr gute Spiele geliefert, gegen Bayern zum Beispiel (2:1). Aber es gab auch Katastrophen: gegen Leverkusen (1:5), in Dortmund (1:6). Da kann man nicht sagen: Das passiert halt mal. Mittlerweile hat Dieter Hecking zwar eine sehr stabile Formation gefunden, aber auf manchen Positionen ist er mir zu starrköpfig. Oscar Wendt ist mit 31 zu langsam, er ist ein Risikofaktor. Fabian Johnson sehe ich nicht in der Startformation. Jonas Hofmann hat seit zweieinhalb Jahren kein einziges Bundesligator geschossen. Es werden Fehler gemacht und wiederholt, die dazu führen, dass die Mannschaft keine stabile Form hat.

Sie haben mal gesagt: "Man kann abschwören, wenn man merkt, dass die Mannschaft scheiße spielt." Zugegeben ging es um die türkische Nationalmannschaft bei der EM. Gilt das auch für Gladbach?

Nein. Da geht es um Lokalpatriotismus. Fußball ist das Bekenntnis zu einer Region, aber nie zu einer Nation - großer Unterschied. Weil ich im Rheinland aufgewachsen bin, ist es für mich selbstverständlich, dass ich mich mit dieser Region auseinandersetze. Karneval und Schützenfeste ertrage ich nicht, aber im Fußball bin ich meiner Heimat treu. Ich komme aus Neuss, und die nächstgrößere linksrheinische Stadt mit Profifußballklub war Mönchengladbach.

Wie sind Sie Fan geworden?

Mein Bruder hat in den Siebzigerjahren für Gladbach gespielt, da war ich fünf Jahre alt. Mit dem ersten Trikot, das mein Vater mir geschenkt hat, zu Zeiten von Kalle Del'Haye und Allan Simonsen, war meine Ehe auf Lebenszeit besiegelt.

Einer der Gladbacher Helden von damals, Jupp Heynckes, führt nun mal wieder den FC Bayern zum Titel.

Ich kann es nachvollziehen, dass er der Verlockung erliegt, dass man ihm sehr viel Geld in sehr kurzer Zeit zahlt, dafür, dass er eine Leistung mit wenig Aufwand bringt. Heynckes musste sich nicht neu erfinden, um den FC Bayern in die Erfolgsspur zu bringen.

Glauben Sie ihm also nicht, dass er Uli Hoeneß einen Freundschaftsdienst erweist, wie er es darstellte?

Nä! (lacht) Ein Freundschaftsdienst hat ja normalerweise kostenlos zu sein.

Aber gönnen Sie dem FC Bayern den Erfolg unter Heynckes mehr?

Es gibt ja gar nicht so eine große Rivalität zwischen Gladbach und dem FC Bayern. Für mich ist der FC Bayern bloß kein Verein, mit dem ich mich identifizieren könnte, das wäre mir zu abgehoben. Ich brauche keinen Vidal mit seiner lächerlichen Irokesenfrisur und tausend Tattoos. Ich brauche auch keinen Lewandowski, schmierig, glatt und ein bisschen link, der meinetwegen tausend Tore schießt. Ich will, und damit sind wir wieder bei Köln und Gladbach, auch Versager in der Mannschaft haben und mich aufregen können.

Wie weit geht Ihre Liebe zum Spiel? Hält diese auch im Jahr 2018 bedingungslos der Fußball-Realität stand, in der korrupten Fifa-Funktionären der Prozess gemacht wird, Fußballer für mehr als hundert Millionen Euro den Verein wechseln, die Bundesliga ihren Spieltag an den Wünschen der TV-Sender ausrichtet?

Ich bin kein Nostalgiker. Wir leben in einer Zeit, in der viel mehr Einflüsse auf den Fußball wirken. Die Vermarktungsindustrie setzt sich auf eine Leidenschaft, die im Kern sehr rein ist und sehr viel mit den Biographien der Menschen zu tun hat. Es gibt heute diese riesige Verwertungskette: Kauf dir auch das Jubiläumstrikot! Kauf dir auch den Champions-League-Schal! Das hat mit der reinen Fußball-Liebe und der Identifikation des kleinen Jungen, der ein Gladbach-Trikot geschenkt bekommt, nichts mehr zu tun. Wenn ich ins Stadion fahre, habe ich es da mit Unternehmern zu tun und mit einem großen Betrieb. Das mag der eine oder andere desillusionierend finden, aber es ist ein Zeichen der Zeit.

Sie regen sich gar nicht darüber auf?

Ich habe um die Ecke einen Sportplatz, da schaue ich mir die Spiele an, um den ursprünglichen Fußball zu erleben. Und im großen Fußball habe ich akzeptiert, dass - solange es kein Regulativ gibt, das Limits für Transfersummen erteilt - man die Offenheit des Marktes akzeptieren muss. Wer das meiste Geld zahlt, hat den größten Erfolg. Das ist langweilig, aber das ist die Realität.

Machen Sie als Fan also bedingungslos mit, schauen die Spiele am Freitag, am Sonntag, am Montagabend?

Nein, ich sehe weniger, gezielter. Die neue Vergabe der TV-Lizenzen ist ein Hohn. Da kommt Eurosport, kauft sich einen Teil der Spiele, dann kommt noch Amazon und kauft sich Radio-Rechte und da kommt bei mir irgendwann der Punkt, an dem ich sage: Dann gucke ich es halt nicht, dann geh ich lieber ins Stadion. Die DFL vermarktet den Fußball im Fernsehen nach dem Motto: Hauptsache, wir kriegen das Geld. Dadurch ist auch die Qualität unberechenbar geworden. Eurosport stellt im Moment der Übertragung fest: Oh, unsere Server reichen nicht aus! Und dann ist der Stream verpixelt und hakt. Das ist ärgerlich. Bei der nächsten Lizenzvergabe investiere ich lieber in eine Karte, nicht in ein Abo. Und Gottseidank gibt es Fan-Kneipen. Je inflationärer das Angebot, desto weniger Interesse hat man daran.

So wenig, dass Sie irgendwann auch mal auf Gladbacher Spiele verzichten?

Nein, das wird nicht passieren. Aber ich werde kritischer Fan bleiben. Nehmen Sie den SC Freiburg: einer der am besten geführten Bundesligavereine, der sich dem Marktgebaren entzieht, der mit gewisser Loyalität zu seinen Protagonisten steht. Solange der SC Freiburg noch da ist, habe ich den Glauben daran nicht verloren, dass man fairen Fußball anbieten und vermarkten kann.

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