Lehrerporträt:"Ausflüge sind mein Markenzeichen"

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Harun Lehrer unterrichtet gern außerhalb des Klassenzimmers. (Foto: Thomas Gothier)

Harun Lehrer bringt geflüch­teten Kindern nicht nur die neue Sprache bei, sondern auch etwas über den ­Alltag in Deutschland.

Von Ann-Kathrin Eckardt

Eineinhalb Stunden sind die Kinder kreuz und quer durch die Turnhalle gerannt, haben sich beim Jägerball die Bälle zugeworfen, und jetzt sollen sie noch ihre Meinung sagen. Am Ende der Stunde versammelt Harun Lehrer seine Fünftklässler und fragt: "Wie fandest du die Stunde heute?" Er sagt "du", obwohl er alle meint. Bei ihm soll sich jeder immer persönlich angesprochen fühlen.

Es gab eine Zeit im Leben von Harun Lehrer, da sah er nicht erhitzte Kindergesichter in seiner Zukunft, sondern kühle Maschinen: Ursprünglich wollte er Krankenhausbetriebstechnik studieren. Sechs Wochen hielt er durch, dann besann er sich auf das, was er schon immer gut konnte: mit Kindern umgehen. Bereits als Schüler hatte er Ferientagestouren geleitet und Kinder im Ringen trainiert. Also wurde er Lehrer, Hauptschullehrer, weil da neben dem Fach die Erziehung im Vordergrund steht. Seitdem hört er vor allem einen Spruch ständig: "War ja klar, bei dem Nachnamen!" Er muss dann immer erklären, dass er der erste Lehrer in der Familie ist. Und meist auch gleich, woher sein Vorname kommt. Die Mutter ist Türkin, der Vater Deutscher, "ich bin Münchner".

Pädagogen mit Migrationshintergrund, mit denen sich ausländische Kinder leichter identifizieren können, gibt es nicht nur im Freistaat viel zu wenige. Und da Harun Lehrer auch noch "Deutsch als Zweitsprache" studiert hat, war schnell klar: Der junge Mann ist der perfekte Lehrer für Übergangsklassen. Bei ihm lernen Kinder, die kein Deutsch sprechen, zwei Jahre lang die Sprache. Zuletzt waren das vor allem Flüchtlinge.

Anfangs konnte sich Harun Lehrer mit der Klasse nur mit Händen und Füßen und vielen Bildern verständigen. Also ging er dorthin, wo die Schüler ihre Hände und Füße benutzen können und die neuen Wörter gleich dazu: "Die Sprache lernt man nicht im Klassenzimmer, sondern draußen in der Stadt." Sooft er kann, packt er die Schüler ein und fährt mit ihnen raus: Ins Olympia-Schwimmbad, in die BMW-Welt, aufs Oktoberfest oder zum Schlittschuhlaufen. Immer dabei: 15 iPads, die ein Digital­projekt der Stadt bezahlt. Dinge, die sie nicht kennen, fotografieren die Schüler und schreiben später gemeinsam Bildunterschriften dazu. "Die Geräte helfen, die Sprache bildhaft und altersgemäß zu vermitteln", sagt Harun Lehrer.

Dass es im echten Leben manchmal spannender zugeht, als ihm lieb ist, muss er in Kauf nehmen: Einmal blieb ein afghanischer Schüler, der kein Wort Deutsch sprach, versehentlich in der S-Bahn sitzen. Mit der gesamten Klasse fuhr Harun Lehrer eine Station weiter, hoffte, den Schüler dort zu finden - ohne Erfolg. Als er ihn gerade als vermisst melden wollte, fand er ihn bei der Bahnhofspolizei. "Den Schrecken werde ich nie vergessen", sagt Lehrer, aber auch, dass er die Ausflüge dennoch niemals aufgeben würde. Zu seinem Unterricht gehört, dass seine Schüler auch selbst Ausflüge für die Klasse planen. Und immer freitags in der sechsten Stunde tagt der Klassenrat. Dort sagen die Schüler, worüber sie sich gefreut oder geärgert haben, oder schlagen Dinge vor. "Meine Schüler sollen nicht nur den Stoff lernen, sondern auch, was es bedeutet, ein mündiger Bürger zu sein", sagt Lehrer.

Und dazu gehört es eben, seine Meinung zu sagen. Auch im Sportunterricht. "Gut" fand der Erste die Stunde, "Gut!" der Zweite und der Dritte auch: "Gut!" Nicht besonders kontrovers, aber genug für den Anfang und für Harun Lehrer. Er glaubt fest daran: "Wenn sie älter werden, trauen sie sich, auch Kritik zu üben."

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