Dirndl-Schneiderin:Fülliges Dekolleté, schmale Taille

Lesezeit: 3 min

Seit 30 Jahren kommen Frauen auf der Suche nach dem perfekt sitzenden Dirndl zu Maria Wagner. Sie kennt die Wünsche ihrer Kundinnen.

Lisa Weiß

Zwei Stecknadeln hat Dirndlschneiderin Maria Wagner zwischen ihren Lippen, eine in der Hand. Um den Hals der 55-Jährigen hängt ein Maßband. Vor ihr betrachtet sich Tessa Bauer kritisch im Spiegel - was später ihr neues Spenzerl, also das Oberteil eines zweiteiligen Dirndls, werden soll, ist gerade noch notdürftig geheftet, viel zu weit und erinnert an einen Kartoffelsack.

Aber das wird sich ändern: Maria Wagner misst die Taille, steckt ab und vergrößert den Ausschnitt bis über den Brustansatz - bei einem Dirndl darf man schließlich herzeigen, was man hat. Das Spenzerl nimmt Form an; Tessa Bauer nickt zufrieden. Das Dirndl muss eng sitzen wie eine zweite Haut. Quetschen darf nichts, vor allem nicht am Busen. Doch der muss in voller Schönheit zur Geltung kommen. Gleich steckt sie das Spenzerl von Tessa Bauer noch ein wenig enger.

Dirndlschneiderin seit 30 Jahren Eigentlich kauft die 22-Jährige ihre Kleidung eher von der Stange - das neue Dirndl wird das erste handgeschneiderte Stück in ihrem Schrank sein. "Ich komme aus der Gegend hier, da weiß man den Wert von einem echten Dirndl noch zu schätzen. Bei uns zieht man das nicht nur auf der Wiesn an, sondern auch bei Hochzeiten oder Familienfeiern."

Schon Tante und Mutter haben ihr Dirndl bei Maria Wagner schneidern lassen. Und tragen könne sie ihr neues Dirndl sowieso ewig. "Falls dem jungen Mädel in ein paar Jahren doch das Essen besser schmeckt, mache ich ihr halt das Spenzerl ein bisschen weiter - ich habe genug Stoff eingenäht", sagt Maria Wagner und lacht.

Seit fast 30 Jahren ist sie Dirndlschneiderin; das Geschäft läuft, in der Werkstatt im Keller ihres Hauses stapeln sich Stoffe, halbfertige Dirndl und Auftragsbücher. Und das, obwohl die Einheimischen ihren Wohnort nicht umsonst "Hinternberg" nennen: Windshausen bei Nußdorf besteht eigentlich nur aus ein paar Häusern am Fuße der Alpen, direkt an der österreichischen Grenze. Zur nächst- größeren Stadt Rosenheim braucht man eine gute halbe Stunde.

Kunden kommen aus ganz Deutschland Ihre Kunden scheint das nicht zu stören, sie reisen aus München, Starnberg und sogar aus Nordrhein-Westfalen an, um sich ein echtes "Wagner-Dirndl" schneidern zu lassen. Dabei hat Maria Wagner nie Werbung gemacht. Alles läuft über Mundpropaganda. "Die Leute sehen halt ein schönes Dirndl, dann wollen sie wissen, von wem das ist. Und dann kommen's zu mir", sagt sie stolz. Ihr Geheimnis? "Ich habe mein Handwerk noch von Grund auf gelernt, bei einer echten Dirndlschneiderin der alten Schule. Eine normale Damenschneiderin tut sich schwer, ein richtiges Dirndl hinzukriegen."

Für einen Moment hört die Schneiderin auf zu reden - jetzt kommt die Feinarbeit, da braucht es Konzentration. Sie zupft am Schößerl, der Verlängerung des Oberteils am Rücken, und nimmt noch ein paar Zentimeter weg. Der Abschluss muss genau passen, erklärt sie. "Sonst schaut der Hintern dick aus!"

Für die Dirndl-Einsteiger empfiehlt sie ein einfaches schwarzes Blusendirndl. Das könne man mit allem kombinieren, je nach Schürze und Bluse wirke es mal feiner, mal rustikal. Rund fünfzehn Stunden arbeitet sie an einem Wiesndirndl, dazu kommt eine Anprobe. Alles ist Handarbeit, vom Knopfloch bis zum handgereihten Rock. Das hat seinen Preis: 250 bis 500 Euro kostet ein einfaches Dirndl, wer teure Stoffe oder besondere Anfertigungen will, muss bis zu 1000 Euro auf den Tisch legen.

Kundinnen warten manchmal mehrere Monate, bis ihr Dirndl fertig ist. Aber dafür gehe bei ihr keine raus mit einem Dirndlkleid, das ihr nicht steht, verspricht Maria Wagner: "Wenn eine Kundin mit einer schwierigen Figur ein gackerlgelbes Dirndl will, dann erklär' ich ihr, dass das einfach nicht geht." Und dann nimmt sie wieder die Stecknadeln in die Hand und steckt den Ärmelausschnitt fest.

Farbe ja, durchsichtig nein Maria Wagner schneidert alles. Streng ist sie nur bei den Trachten. Das Inntaler Kasettl, die örtliche Tracht, fertigt sie genau nach der traditionellen Vorlage; vom Schnitt bis zum Knopf muss alles passen. Bei den Dirndln lässt sie auch Pink und Grasgrün gelten. "Die klassischen gefallen mir zwar besser, aber wenn die jungen Leute ein kurzes Dirndl wollen, dann schneidere ich das auch", sagt sie. Selbst im Schrank ihrer Tochter hängt ein Mini-Dirndl; bis die Mutter aber damit einverstanden war, war es ein Kampf.

Dann hat ihr die Tochter ein altes Fotoalbum gebracht: "Da ist mir dann wieder bewusst geworden, dass ich die kurzen Dinger früher selbst getragen habe. Und es schaut ja nicht schlecht aus, wenn man eine gute Figur hat. Nur wenn so eine Bavaria mit kurzen Füßen das anhat, dann ist es grausig." Halb durchsichtige, kurze Spitzendirndl, von Tochter Sarah kurzerhand "Nuttenfiffi" genannt, sind ihr aber zu viel. Die gibt's bei ihr nicht.

Dafür Ratschläge, wie die Dirndl wirklich passen. Auf keinen Fall einfach eine weiße Bluse ins Dirndl stecken! "Da wirkt jede dick, und wenn's noch so eine schöne Figur hat." Dirndlblusen müssen direkt unter dem Busen enden. Dann passt's.

Maria Wagner hilft ihrer Kundin vorsichtig aus dem mit Stecknadeln gespickten Oberteil. In einer Woche ist das Spenzerl fertig, rechtzeitig zum Oktoberfest, verspricht sie. Und gibt einen letzten Rat: "Nicht vergessen: Schürzen links binden, wenn's noch ledig sind, rechts binden, wenn's vergeben sind, und in der Mitte, wenn Sie's nicht so genau wissen."

© SZ vom 11.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: