Kandidaten für den Tassilo 2018:Die fantastischen Fünf

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Die Industriebrache der alten MD-Papierfabrik entfaltet als Festivalgelände unerwarteten Charme: Alice Homann, Lena Heilein, Annika Wenzel und Ines Bugner beim "White Paper Festival" 2017. (Foto: Andreas Köhler von Sessner/oh)
  • Das Kollektiv "Wir sind Paul" wurde mit einem Tassilo-Förderpreis ausgezeichnet.
  • Der Preis ist mit 500 Euro dotiert.

Von Jacqueline Lang, Dachau

Von diesem Wochenende im Juni 2017 werden die Dachauer noch lange reden: 2300 Besucher kamen zum "White Paper"- Festival auf das brach liegende Gelände der Papierfabrik und erlebten ein buntes Kulturspektakel mit Bands, Blumensteckkursen, Siebdruck-Workshops und Kurzfilmen in einer bemerkenswerten familiär-entspannten Atmosphäre. Auch der Oberbürgermeister war begeistert. Hinter diesem riesigen Event stehen fünf junge Frauen, die im Herbst 2016 eine verrückte Idee hatten - und die an ihre Vision geglaubt haben. "Es klappt alles, wenn man genug Herzblut und Energie reinsteckt", sagt Lina Homann, eine der Organisatorinnen, heute mit Fug und Recht.

Bereits 2014 haben Lina und Alice Homann, Lena Heilein und Annika Wenzel, damals noch ohne Ines Bugner, mit ihrem Verein "Wir sind Paul" zwei Veranstaltungen für einen guten Zweck geplant. Bei der Kleidertauschbörse "Tauschrausch" kamen durch den Verkauf von Second-Hand-Kleidung in einem Hinterhof 400 Euro für das Dachauer Frauenhaus zusammen. 1060 Euro gespendet werden konnten im selben Jahr durch die Veranstaltung "Zimt und Zugehört" im Dachauer Wasserturm, zu dem 500 Besucher kamen. Danach wurde es zunächst still um die vier jungen Dachauerinnen. Im Herbst 2016, bei einem gemeinsamen Bastelabend, juckte es die Freundinnen jedoch erneut in den Fingern. Sie begannen, Ideen zu spinnen. "Es war wie ein Schneeball, der langsam ins Rollen kommt", sagt Lina Homann.

Eine Dreifachbelastung

Schnell waren sich die vier jungen Frauen einig, dass sie ein Festival veranstalten möchten - und dass sie es zu viert nicht schaffen würden. Deshalb holten sie sich Freundin Ines Bugner ins Team. Doch auch zu fünft blieb das Projekt eine enorme Herausforderung. "Mir ist im Nachhinein gar nicht mehr ganz klar, wie wir das überhaupt alles geschafft haben", sagt Annika Wenzel. Immerhin arbeiten und studieren alle fünf, Ines Bugner und Lina Homann sind Mütter. Eine Doppel- und teilweise sogar Dreifachbelastung.

Viele hielten sie deshalb anfangs auch für etwas blauäugig. Doch ein wenig jugendlichen Leichtsinn braucht es wohl auch, wenn man auf einem Gelände, auf dem es weder Strom noch fließendes Wasser gibt, innerhalb von acht Monaten ein Festival auf die Beine stellen will - ohne Erfahrung, ohne Budget. Allen Zweifeln zum Trotz tummeln sich jedoch schließlich im Juni 2017 zwei Tage lang insgesamt zwölf Bands und 20 Designer auf dem Gelände der Dachauer Papierfabrik, es gibt acht Workshops, vier Kurzfilme und neun Foodtrucks. Ein bunter Abenteuerspielplatz mit viel Liebe zum Detail, dem man die damit verbundene Arbeit nicht anmerkt. Im Gegensatz zu vielen anderen Festivals, die jahrelang rote Zahlen schreiben, können sie zudem gleich beim ersten Mal abzüglich aller Kosten einen Gewinn verbuchen. Insgesamt 10 200 Euro kann der Verein "Wir sind Paul" an die Vereine "Eindollarbrille", "Musik statt Straße" und "Weitblick Jugendhilfe" spenden.

"Wir denken jetzt in ganz anderen Dimensionen"

Knapp ein halbes Jahr später steht für die fünf jungen Frauen trotzdem fest, dass es 2018 kein "White Paper"-Festival geben wird. "Wir sind uns einig, dass wir dieses Jahr noch etwas machen wollen, aber kein Festival", sagt Wenzel. Die Planung und Umsetzung habe neben Studium, Beruf und Familie im vergangenen Jahr einfach zu viel Kraft gekostet. Gleichzeitig sei es aber schwer, nach einem solchen Mammut-Projekt wieder in kleineren Maßstäben zu denken, gesteht Wenzel mit einem Lachen. "Wir denken jetzt in ganz anderen Dimensionen", sagt sie. Doch auch wenn es nach dem Erfolg verlockend wäre, einfach noch einmal ein ähnliches Festival umzusetzen, reizt das die Dachauerinnen nicht unbedingt. Sie suchen die Herausforderung, wollen immer wieder neue Wege beschreiten abseits ausgetretener Pfade. Das macht sie zu würdigen Preisträgern des Tassilo-Kulturpreises.

Was aber dürfen die Dachauer von den fünf Freundinnen im neuen Jahr erwarten? Man arbeite aktuell an einem Konzept und sei auf der Suche nach einer geeigneten Location für eine möglicherweise dauerhafte "Paul"-Institution, sagt Homann. Sie denken an eine Art Kollektiv, gerne auch mit anderen Kreativen zusammen. "Es wird auf jeden Fall spannend", fügt Wenzel hinzu. Mehr will sie zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht verraten. Der gemeinsame Traum ist es, in Zukunft von der Idee, die hinter dem gemeinnützigen Verein "Wir sind Paul" steht, leben zu können. Neben dem Grundgedanken, Dachau kulturell zu beleben, steht der soziale Aspekt für sie im Vordergrund. Mit ihren Veranstaltungen möchten sie jenen helfen, die weniger Glück im Leben hatten als sie.

"In Dachau geht was"

Wichtig ist ihnen dabei nicht nur, lokale Institutionen zu unterstützen, sondern auch in ihrer Heimatstadt etwas zu bewegen. Es gebe zwar mittlerweile schon ein großes kulturelles Angebot, aber nach wie vor wenig Raum für kleinere und jüngere Formate, glaubt Wenzel. Außerdem sei die Wahrscheinlichkeit in Dachau viel größer, die Menschen zu erreichen als in einer Millionenstadt wie München. "Wir hatten die Chance zu zeigen: In Dachau geht was", sagt Homann. Das haben sie geschafft. Natürlich nicht ganz alleine, 60 ehrenamtliche Helfer haben sie unterstützt.

Umso mehr freuen sie sich, dass sie den Weg für nachfolgende Projekte ebnen konnten und andere durch sie den Mut gefunden haben, selbst etwas zu wagen. Man habe mit der Veranstaltung etwas ins Rollen gebracht, sagt Homann stolz. "Wir hatten den Anspruch, ein Gefühl zu schaffen, das bleibt", fügt Wenzel hinzu. Bleibt nur noch eine Frage: Wer ist eigentlich Paul? "Paul, so hieß ein Hausschwein auf Ebay-Kleinanzeigen, das wir unbedingt haben wollten", sagt Wenzel und lacht. Aus dem Schwein ist nichts geworden, doch der Name ist seitdem Programm Paul: "Packende Aktionen, Unterstützung leben".

© SZ vom 16.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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