Literatur:Freunde der Nacht

Die neue Ausgabe der Zeitschrift "Am Erker" kommt aus München

Von DIRK WAGNER

Auffällig ist, dass Wörter wie Nachtleben oder Nightlife ausgerechnet der Zeit, die gemeinhin dem Schlaf gewidmet ist, eine besondere Lebendigkeit unterstellen. Dem Tag wird dagegen gerade mal ein Tagwerk zugesprochen. Als würde man tagsüber nur funktionieren, nutzt der Mensch die Nacht für Geselligkeiten, Ausschweifungen und Rückbesinnungen aufs eigene Ich. So, wie sie auffallend oft in den Texten verhandelt werden, die die aktuelle Ausgabe der Literaturzeitschrift Am Erker unter dem Titel "Tag und Nacht" vereint.

Vor 40 Jahren gründeten Joachim Feldmann und Michael Kofort die halbjährlich im Münsteraner Daedalus Verlag erscheinende Zeitschrift für Literatur, die 1998 mit dem Hermann Hesse-Preis für deutschsprachige Zeitschriften ausgezeichnet wurde. Vier von sechs Redakteuren bestimmen abwechselnd das Thema und die Textauswahl einer gesamten Ausgabe. Einer davon ist der in München lebende Übersetzer Andreas Heckmann, der nach eigenem Bekunden zur Zeitschrift fand, weil er einst einen Text veröffentlichen wollte, für den er aber keinen Buchverlag begeistern konnte.

Heckmann, der sich als Nachtmensch begreift, hat für die von ihm verantwortete 74. Ausgabe von Am Erker auch zahlreiche Autoren im Münchner Nachtleben aufgespürt. Darunter den Herausgeber der Internetzeitschrift Friktionen, Matthias Hofmann, der in einer sozialwissenschaftlichen Vortragsreihe über Popmusik im Münchner Irrland, "Talk is cheap. Pop und die Sozialwissenschaften", auch mal über die slowenische Band Laibach und "Die totalitären Effekte der Popkultur" referierte. Heckmann gefiel dieser Vortrag so gut, dass er ihn in die belletristisch dominierte Textsammlung aufnahm.

Letztlich belegen aber auch andere Essays in der Publikation, dass Heckmanns Literaturbegriff nicht nur nach Schöngeistigem greift. Trotzdem könnte gerade der Vortrag über Laibach die Toleranz der anderen, deutschlandweit verteilten Herausgeber von Am Erker strapazieren, befürchtete Heckmann schon im Vorfeld. Allerdings dürfe er ohnehin nur alle zwei Jahre den Inhalt bestimmen "Wenn ich mich da nicht trauen würde, die Toleranz anderer Leute zu strapazieren, dann wäre ich ein armes Würstchen", sagt Heckmann, dem ein in diesem Sinne strapazierter Leser dann aber auch spannende Belletristik unter anderem von Matthias Hirth, Cornelia Manikowsky und dem Ingeborg-Bachmann-Preisträger Thomas Lang verdankt.

Zehn der Autoren stellte Heckmann in der Zeitschrift-Präsentation in der Favoritbar vor, wo vor allem der Romanist Tobias Roth mit seiner sehr lebendigen Vorstellung des 1429 geborenen italienischen Humanisten Giovanni Pontano samt einiger seiner Gedichte überzeugte. Eines dieser Gedichte, "Hymnus an die Nacht", bereichert neben Roths Essay über Pontano auch die gedruckte Textsammlung, in die leider nur eine der drei vorgetragenen Überlegungen über die Dunkelheit des Münchner Kurzroman-Autoren Thomas Glatz aufgenommen wurde. "Wo es ganz finster aussieht, ist nicht mehr klar, welches Dunkel das dunkelste ist", heißt es darin. Ergänzt von Heckmanns eigenen Buchbesprechungen bringt Am Erker einmal mehr Licht ins Dunkel.

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