General Electric:Der Absturz von General Electric

FILE PHOTO -The ticker and logo for General Electric Co. is displayed on a screen at the post where it is traded on the floor of the NYSE

Siemens wurde zuletzt immer kleiner, der große Rivale GE blieb ein Gigant.

(Foto: REUTERS)
  • Als Reaktion auf die wachsenden Probleme von General Electric denkt Konzern-Chef John Flannery offenbar auch an einen separaten Börsengang von Tochterfirmen.
  • Im vergangenen Jahr hatte der Konzern 40 Prozent seines Börsenwerts verloren und damit so schlecht abgeschnitten wie kein anderer Wert im Dow Jones.

Von Claus Hulverscheidt, New York, und Thomas Fromm

Es gab Zeiten, da schaute man von München aus neidisch über den Teich. Irgendwie gelang es dem ewigen Rivalen General Electric (GE) immer, mit weniger Beschäftigten mehr Geld zu verdienen als Siemens. Dabei stammen beide Konzerne aus dem 19. Jahrhundert, beide haben ähnliche Wurzeln, beide führen ähnliche Geschäfte, sie sind also vergleichbar. Einer musste also etwas falsch machen - und dieser eine hieß Siemens. So ging das über viele Jahre: Hier der träge deutsche Tanker, dort der profitablere Megakonzern aus den USA. Spätestens seit diesem Dienstag jedoch hat sich die Perspektive verändert. Denn während Siemens-Chef Joe Kaeser sein Unternehmen im Monatsrhythmus umbaut, Geschäfte ausgliedert, Tochterfirmen an die Börse bringt, Risiken abstößt und Milliarden erlöst, musste sein Kontrahent John Flannery einmal mehr bei den Analysten Abbitte leisten: Weil immer mehr Geschäftsbereiche gleichzeitig unter Druck geraten, so deutete der Firmenchef an, wird eine Aufspaltung von GE immer wahrscheinlicher. "Wir schauen uns aggressiv an, welche Struktur die beste ist, um unser Geschäftspotenzial zu maximieren", sagte Flannery in einer Telefonkonferenz. Was bei der Analyse herauskomme, sei noch ungewiss. Eine Option sei jedoch ausdrücklich, dass alle Firmenbereiche künftig als eigenständige Unternehmen weiterarbeiteten.

Für die Strategen in München eine späte Genugtuung: Diesmal war man schneller als der Rivale, der im vergangenen Jahr 40 Prozent seines Börsenwerts verloren hatte und damit so schlecht abschnitt wie kein anderer Wert im Dow Jones.

Es gab Zeiten, da war General Electric das wertvollste Unternehmen der Welt. Kühlschränke, Züge, Energie, Finanzgeschäfte, sogar Medien - alles war dabei. GE war größer als die Autokonzerne Ford oder General Motors, größer als die größten Pharmaunternehmen. Und auch was die Tradition anging, schaute man ein wenig auf den Münchener Konkurrenten herab: Zwar erfand Werner von Siemens 1847 den Zeigertelegrafen, sehr viel berühmter aber wurde Thomas Alva Edison, der ein paar Jahre später die Glühbirne entwickelte - und General Electric gründete. Seinen Status als wertvollster Konzern der Welt hat GE schon lange verloren, und daran sind nicht nur die neuen Digitalriesen wie Google, Apple und Amazon schuld. Vielmehr ging es auch intern mit General Electric schleichend bergab. Immer größer wurde der Konzern, immer unübersichtlicher, immer schwerfälliger. Als Flannery im August vergangenen Jahres die Nachfolge des langjährigen, in aller Welt bekannten Konzernchefs Jeffrey Immelt antrat, übernahm er - zumindest in Teilen - einen Sanierungsfall. Wer eine so lange Geschichte hat wie GE und so viele Sparten, weiß nie, wo sich die nächste Baustelle auftut. Und so kam es, dass Flannery die Analysten am Dienstag mit einer Botschaft überraschte, die die schlimmsten Befürchtungen übertraf: Allein im schon lange kränkelnden Versicherungsgeschäft fehlen akut 6,2 Milliarden Dollar. Mittelfristig sind es sogar 15 Milliarden, die Lücke soll nun mit Hilfe eines über sieben Jahre laufenden Finanzierungsprogramms geschlossen werden. Konkret geht es um alte Kranken- und Lebensversicherungspolicen, ein Bereich, in dem das Neugeschäft schon vor über zehn Jahren eingestellt wurde, der aber angesichts unerwartet hoher Auszahlungen oder zu geringer Investmenterträge immer neue Hiobsbotschaften produziert. Konsequenz: Die Firmentochter GE Capital, zu der das Versicherungsgeschäft gehört, wird die Dividendenzahlungen an die Konzernmutter einstellen - für voraussichtlich viele Jahre. Flannery sagte, er sei "tief enttäuscht", dass seine Sanierungsbemühungen durch eine so gravierende Zusatzbelastung torpediert würden. "Es ist besonders frustrierend, mit einer solchen Entwicklung konfrontiert zu werden, wenn wir in vielen unserer Schlüsselbereiche Fortschritte machen", erklärte er. Nun ist es nicht so, dass der Konzern nur Probleme mit alten Versicherungspolicen hätte - es brennt vielmehr an allen Ecken. Flannery hatte deshalb unmittelbar nach seinem Amtsantritt ein gewaltiges Kostensenkungsprogramm angekündigt. Weltweit will das Unternehmen 12 000 Stellen in seiner Kraftwerkssparte abbauen, davon 1600 an deutschen Standorten. Zudem sollen Geschäftsbereiche mit einem Gesamtumsatz von 20 Milliarden Dollar abgestoßen werden. Die Idee einer Zerschlagung hingegen schien zuletzt vom Tisch zu sein. Stattdessen kündigte Flannery an, der Konzern wolle sich auf das Kerngeschäft, also den Flugzeugturbinen- und den Kraftwerksbau sowie die Medizintechnik, konzentrieren. Offenbar ist der Vorstandschef aber mittlerweile selbst nicht mehr davon überzeugt, dass er die Probleme des Unternehmens auf diesem Weg in den Griff bekommen wird. Andernfalls hätte er die Idee einer Aufspaltung in der Analystenrunde wohl kaum so deutlich erwähnt. Die Aufregung ist groß. Viele GE-Großaktionäre hatten zwar mit einer Sonderbelastung im Versicherungsbereich gerechnet, aber nicht in dieser Größenordnung. Entsprechend verlor die Unternehmensaktie an der New Yorker Börse am Dienstag kräftig an Wert. Ein historischer Tag für GE. Und irgendwie auch für Siemens. Während sein Kontrahent Flannery von Aufspaltung und Zerschlagung sprach, warb der Konzern bei einem Treffen mit Investoren in London für den Börsengang der Siemens-Medizintechnik-Tochter - und versprach, anders als die Konkurrenz, dicke Dividenden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: