Neuer Élysée-Vertrag:Kampfansage an den Nationalismus

Neuer Élysée-Vertrag: Der neue Elysée-Vertrag soll eine engere Zusammenarbeit bei Bildung und Ausbildung ermöglichen, bestehende Schranken etwa auf dem Arbeitsmarkt abbauen und Projekte zur Digitalisierung vorantreiben.

Der neue Elysée-Vertrag soll eine engere Zusammenarbeit bei Bildung und Ausbildung ermöglichen, bestehende Schranken etwa auf dem Arbeitsmarkt abbauen und Projekte zur Digitalisierung vorantreiben.

(Foto: AFP)
  • Bundestag und französische Nationalversammlung beschließen eine erweiterte Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland - auch im Kampf gegen Populismus und Nationalismus.
  • Den Anstoß zu einem erneuerten Elysée-Vertrag gab Präsident Emmanuel Macron.
  • Nicht nur AfD und Front National legen sich quer, auch Mitglieder der Linksfraktion stimmen gegen die Resolution.

Von Leo Klimm, Paris

Deutschland und Frankreich wollen ihre Beziehungen weiter vertiefen und einen neuen Freundschaftsvertrag schließen. Das haben der Bundestag und die französische Nationalversammlung am Montag in Sondersitzungen zum 55. Jahrestag des "Elysée-Vertrags" gefordert. Im Mittelpunkt der teils kontroversen Debatten standen Warnungen vor nationalistischer Abschottung.

"Die Erfolgsgeschichte der deutsch-französischen Zusammenarbeit wollen wir in einer immer komplexeren Welt weiterschreiben", sagte Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble in seiner auf Französisch gehaltenen Rede in der Nationalversammlung. "Populismus und nationalistische Bewegungen bedrohen alle europäischen Nationen", sagte der Präsident des französischen Unterhauses, François de Rugy, in seiner auf Deutsch gehaltenen Rede im Bundestag. Dies gelte auch für Staaten mit starker demokratischer Tradition. Unions-Fraktionschef Volker Kauder warnte: "Europa wird nur eine gute Zukunft haben ohne Nationalismus." Schäuble würdigte den Elysée-Vertrag, der die Beziehungen der einstigen Feinde Deutschland und Frankreich "glücklich verändert" habe. Der Bundestag verabschiedete mit breiter Mehrheit eine Resolution zur engeren Zusammenarbeit beider Staaten. Am Montagabend segnete die Nationalversammlung den inhaltsgleichen Beschluss ab. Auch ein eigenes Abkommen zur Zusammenarbeit zwischen den Parlamenten ist geplant.

Europa müsse ein "Projekt der Weltoffenheit und der Toleranz" sein, sagte Andrea Nahles

Neuer Élysée-Vertrag: Frankreichs Staatspräsident Charles de Gaulle (re.) und Bundeskanzler Konrad Adenauer unterzeichnen am 22.01.1963 in Paris den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag.

Frankreichs Staatspräsident Charles de Gaulle (re.) und Bundeskanzler Konrad Adenauer unterzeichnen am 22.01.1963 in Paris den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag.

(Foto: UPI/dpa/Andreas Altwein/dpa)

Den Anstoß zum erneuerten Elysée-Vertrag hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im September in seiner Europa-Rede an der Pariser Sorbonne-Universität gegeben. Macron hatte da sogar den Ehrgeiz, zum 55. Jahrestag am Montag bereits einen modernisierten Freundschaftsvertrag zu unterzeichnen. Doch das erwies sich wegen der schwierigen Regierungsbildung in Deutschland als Illusion. Immerhin erklärte die geschäftsführende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in einer mit Macron im Pariser Elysée-Palast aufgenommenen Videobotschaft am Wochenende ihre "Entschlossenheit, die Zusammenarbeit zu vertiefen". Noch 2018, versprachen die zwei Staatenlenker, solle ein neuer Vertrag unterzeichnet werden.

1963 hatten der damalige Kanzler Konrad Adenauer und Frankreichs Präsident Charles de Gaulle nur 18 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Versöhnung ihrer Länder festgeschrieben. Darauf gründen zahlreiche Städtepartnerschaften und das Deutsch-französische Jugendwerk, das seit Jahrzehnten einen intensiven Austausch von Jugendlichen beiderseits des Rheins fördert. Zugleich gilt der Vertrag als Stützpfeiler der europäischen Einigung.

In ihrer Resolution regen die Parlamente viele Neuerungen an. Die Liste reicht von der Schaffung deutsch-französischer Berufsschulzentren über medizinische Behandlungen im Nachbarland, der Einrichtung gemeinsamer Kulturzentren in Drittländern bis zu einer "gemeinsamen strategischen Kultur" in der Verteidigungspolitik. Beide Länder sollen Impulse für eine "Digitalunion" setzen - und einen gemeinsamen Wirtschaftsraum mit einheitlichen Regeln im Unternehmensrecht schaffen. Im bestehenden Vertrag ist die ökonomische Dimension kaum entwickelt.

In der Bundestagsdebatte beschworen Redner von Union, SPD, FDP und Grünen einen Neustart für Europa. SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles würdigte Macrons Reformideen als "großes pro-europäisches Signal". Europa müsse ein "Projekt der Weltoffenheit und der Toleranz" sein, sagte sie mit Blick auf das Projekt einer gemeinsamen Flüchtlingspolitik.

Unterstützung bröckelt

Die Sitzungen der Parlamente offenbarten aber auch, dass die Unterstützung für die deutsch-französische Freundschaft bröckelt: Für die radikalen Parteien gehört sie nicht zur Staatsräson. Besonders die AfD und der rechtsextreme Front National (FN) in Frankreich stehen für den Nationalismus, vor dem de Rugy warnte. So erklärte AfD-Fraktionschef Alexander Gauland, ein neuer Elysée-Vertrag laufe "auf eine weitere Aushöhlung der nationalen Souveränität unseres Landes hinaus". Die AfD verweigerte Ehrengast de Rugy auch Beifall. Laut FN-Chefin Marine Le Pen droht Frankreich Unterdrückung: "Der bilaterale Vertrag, der uns da angeboten wird, ist unausgewogen und vollstreckt einmal mehr eine deutschen Vision."

Deutschland verfolge allein deutsche Interessen. Die Chefin der deutschen Linksfraktion Sahra Wagenknecht kritisierte Sozialdumping in Europa. Die französische Linkspartei "Unbeugsames Frankreich" hatte den Beschluss schon vor Wochen verworfen. Die deutsch-französische Verständigung werde von anderen Ländern Europas "als ebenso arrogantes wie archaisches Direktorium empfunden". Die Vorschläge zeugten von "wirtschaftlicher Zwangsvorstellung", hieß es. Anders als die deutschen Linken argumentieren die französischen auch identitär: "Wir lehnen riskante Experimente ab, die Frankreich allmählich auflösen", so die "Unbeugsamen".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: