Blutdoping-Affäre:Pikanter Tipp aus Wien

Sportler, die bei Humanplasma Blutdoping betrieben haben, müssen zittern: Wegen einer neuen Ermittlungslage kann die Nada Blutbank-Akten auf deutsche Doping-Fälle prüfen.

Thomas Kistner

Was lange währte, wird jetzt brisant: In der Affäre um die Wiener Blutbank Humanplasma, bei der von 2002 bis 2006 Hundertschaften internationaler Sommer- und Wintersportler Blutdoping betrieben haben sollen, zeichnet sich ein Durchbruch ab. Die Ermittlungen, im Frühjahr aufgrund fehlender Dopinggesetze eingestellt, laufen seit kurzem wieder. Und die deutsche Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) will die konkrete Fahndungschance nutzen. Sie kündigt an, bei der Staatsanwaltschaft nachzufassen, ob - wie etwa in einer anonymen Anzeige von Februar 2008 behauptet - auch deutsche Wintersportler in Wien ihr Blut auf Hochleistung tunen ließen. Und, falls ja: Wer war dort?

Juristisch hielt die Causa Humanplasma bislang vor allem Österreichs Sport auf Trab, ihre Weiterungen sorgen gerade für einen Kahlschlag an der Spitze der Sportpolitik. Bei der Razzia während der Turiner Winterspiele 2006 hatten im Austria-Quartier sichergestellte Materialien die Ermittler in die Wiener Blutbank geführt. Umgehend endeten dort alle Sportlerbesuche. So ist die Aktenlage, das bestätigt auch der frühere Blutbank-Kunde und Dopingsünder Bernhard Kohl, Bergsieger bei der Tour 2008 für Team Gerolsteiner.

Den Kundenkreis der nach Aktenlage gewaltigsten Blut-Tankstelle Zentraleuropas ermittelte zwar eine "Sonderkommission Doping" des Wiener Bundeskriminalamts, die Erkenntnisse verschwanden aber im Aktenkeller: Doping ist in Österreich erst seit August 2008 Straftatbestand, die klandestinen Sportlervisiten bei Humanplasma endeten schon 2006.

Auch eine Anzeige im Februar 2008, die Athletennamen auflistete, darunter zehn prominente deutsche Wintersportler, verfing nicht. Die Humanplasma-Akte wurde geschlossen. Nun wird neu ermittelt: Wegen Steuerhinterziehung gegen Verantwortliche, darunter ein namhafter Transfusionsmediziner. Die Soko Doping liefert der Finanzbehörde zu, die Aufarbeitung liegt beim Staatsanwalt. Das bestätigte Gerhard Jarosch, Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien, am Freitag der SZ. "Ermittelt wird seit wenigen Wochen wegen Steuervergehen, weil der Verdacht besteht, dass Einnahmen aus den Behandlungen nicht abgerechnet wurden."

Diese Einnahmen dürften enorm sein: 2000 bis 2500 Euro soll eine Behandlung gekostet haben, bestätigte Humanplasma-Kunde Kohl. Gemeinsam mit seinem vorübergehend inhaftierten Ex-Manager Stefan Matschiner und anderen hatte er 2006 sogar eine Blutzentrifuge des Instituts übernommen, um in Eigenregie weiter zu dopen. Auch dies belegt eine intensive Dopingverstrickung der Blutbank. Weil eigene Aktivitäten von Matschiner und Co. nach Polizeierkenntnissen über August 2008 hinausreichten, wird hier auch wegen Dopings ermittelt; das Finanzverfahren ist eine andere Baustelle. Zwar geht es nicht gegen dopende Sportler, wohl aber sind den Akten deren Namen zu entnehmen. Da will die Nada jetzt ran.

Eine Expertise fürs Wiener Gesundheitsministerium von März 2008 besagt: "Es besteht der dringende Verdacht, dass in den Räumen der Firma Humanplasma Erythrozytenkonzentrate (Blutkonserven, d. Red.) in der Größenordnung von maximal 300 Stück hergestellt wurden." Die in der Affäre besonders gut informierte Wiener Tageszeitung Kurier meldet jetzt, dass insgesamt 184 Sportler von 2002 bis 2006 in Wien getankt haben sollen.

Jarosch will die Zahl "weder bestätigen noch dementieren", er schweigt auch zur Frage, ob Sportler aus dem Ausland zu Gast waren. Doch sei die Anzahl der Kunden den Ermittlern bekannt: Sie ergäbe sich aus den in der Blutbank gefundenen Patientenakten sowie Zeugenaussagen von Athleten, Betreuern und Ärzten. Und die offene Akte ermöglicht den Zugriff der Nada. Jarosch sagt, die Agentur könne ganz konkret deutsche Namen bei seiner Behörde nachfragen: "Dann wäre in jedem einzelnen Fall zu prüfen, was wir herausgeben können." Diese Prüfung klingt komplizierter, als sie ist: Es braucht "ein begründetes öffentliches oder privates Interesse, dem nicht überwiegend ein begründetes öffentliches oder privates Interesse entgegen stehen darf", erläutert Jarosch mit Hinweis auf die Strafprozessordnung.

Da der Deutsche Skiverband (DSV) seine Athleten Anfang 2008 Eidesstattliche Versicherungen abgeben ließ, nie gedopt zu haben, und weil ein erhebliches öffentliches Interesse seitens des Steuerzahlers besteht an der Frage, ob deutsche Zuwendungsempfänger in Wien Kunden waren, dürften konkrete Anfragen beantwortet werden. Jarosch will nicht spekulieren, er weist aber einen Weg, der "ganz klar" zum Ziel führen würde: "Wenn die Nada mit dem Skiverband und Einwilligung der betroffenen Athleten um Akteneinsicht bittet, kriegen sie die Auskünfte. Dann ist das ganz einfach."

Armin Baumert alarmiert allein die hohe Klientenzahl. "184 ist eine Quantität - wenn das stimmt, müsste ja fast ein gewisser Prozentteil ausländischer Athleten darunter sein." Der Vorstandschef der Nada kündigte auf SZ-Anfrage entsprechende Schritte an: "Wir haben natürlich ein großes Interesse daran, ob dort auch deutsche Athleten waren." Er verweist auf die Kooperationsvereinbarung mit den Nachbarn Österreich, Schweiz und Frankreich, "auf dieser belastbaren Grundlage können wir da ran". Es gelte nun "alles zu tun, damit wir mit dem DSV einvernehmlich in Wien nachfragen können".

Für den DSV, der Doping strikt ablehnt, sich Eidesversicherungen seiner Athleten geben ließ und wegen einer Verdachtsberichterstattung im Januar 2008 sogar gegen den eigenen Fernsehpartner ARD geklagt hatte - letztlich erfolglos -, müsste die Entwicklung gleichfalls nur erfreulich sein: Einfacher lässt sich in der Causa Wien kaum Klarheit gewinnen.

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