Organspende:Tot ist tot, aber nicht hirntot

Die Bereitschaft zur Organspende sinkt, daher wird die Widerspruchslösung propagiert. Der Widerstand dagegen ist jedoch beträchtlich. Leser verlangen mehr Aufklärung im Organspendeausweis über die Bedingungen der Organentnahme.

Organspende-Skandal Göttingen

Anatomische Modelle des Menschen an der Medizinischen Hochschule Hannover.

(Foto: Emily Wabitsch/picture alliance/dpa)

Zu den Artikeln "Der Appell an die Moral bleibt folgenlos" vom 22. Januar, "Klinisch tot" vom 17. Januar sowie "Warten auf die Transplantation" und "Die Halbherzigen" vom 13./14. Januar:

Aufrecht erhaltene Fiktion

Es ist schwer erträglich, den ausladenden Artikel "Der Appell an die Moral bleibt folgenlos" zu lesen, der die Widerspruchslösung rechtfertig, da er auf einer falschen Annahme beruht. Andreas Diekmann könnte sich leicht darüber informieren, dass die "Organspende nach dem Tod" eine aufrechterhaltene Fiktion ist. Es handelt sich um Sterbende. Wenn dies nicht schon eine Mehrheitsmeinung ist, so ist das "Postmortale" an der Organspende höchst umstritten. Das ist in medizinischen und philosophischen Artikeln nachzulesen. Man kann darüber diskutieren, ob sich ein Sterbender opfern soll, aber man kann nicht erwarten, dass in solcher, meist uninformierter Situation, die erste Option die Aufgabe des Lebens ist. Dr. Martin Stahnke, Kempen

Man rechnet mit den Trägen

Menschen leben in Gemeinschaften mit gemeinsamen Verstehens- und Interpretationshorizonten, in denen viele Verhaltensweisen geregelt sind, ohne dass man anderen Verhaltensweisen, die von ihnen abweichen, widersprechen muss. Das erleichtert das Zusammenleben außerordentlich. Die Widerspruchsregelung nun rechnet mit Menschen, die sich nicht aktiv um das bekümmern, was andere betrifft, ohne dass diese Nicht-Bekümmerten dabei zugleich Unrecht tun. Zu behaupten, dass diejenigen, die den Aufwand scheuen, einer Post-Mortem-Spende zu widersprechen, keine ernst zu nehmende Ablehnung einer Organspende signalisieren, ist ignorant. Wer nicht widerspricht, mit dem kann ich keineswegs machen, was ich im Sinne von mir bestimmten höheren Werten für richtig halte. Die Widerspruchsregelung rechnet mit des Menschen Trägheit und Gleichgültigkeit, die man für fremde Interessen ausbeuten will. Man sollte auch die Trägen und Gleichgültigen um ihre Einwilligung bitten, bevor man ihnen etwas antut.

Andreas Diekmanns Hinweis, dass es doch schon eine Reihe freiheitsbegrenzender Regelungen gebe, es also auf eine mehr oder weniger nicht ankomme, entlarvt eine Moral, die nicht begrenzen, sondern entgrenzen will, also schlechthin keine ist. Prof. Ulrich Senftleben, Mainz

Nur wer hilft, dem wird geholfen

Der Bedarf an Organen steigt, die Spendebereitschaft sinkt. Der Artikel "Klinisch tot" untersucht Ursachen für diese Diskrepanz. Interessant wäre auch zu wissen, wie viele der Organbedürftigen selbst einen Spenderausweis besitzen. In einer Unfall- oder Lebensversicherung unterstützen sich deren Mitglieder im Notfall gegenseitig mit Geld. Nichtmitglieder können diese Solidarität nicht beanspruchen. Im Bereich Transplantation gibt es recht unterschiedliche Interessen von Spendern, Empfängern, Idealisten und Egomanen. Diese gilt es, in einer freiwilligen, kostenlosen Organ-Versicherung zu konsolidieren. Wer zum Prinzip der gegenseitigen Hilfe steht, wird Mitglied, wer nicht, bleibt draußen. Wolfgang Schreiber, Sauerlach

Respekt vor den Ärzten

Bei einem Vortrag im Klinikum Großhadern zum Thema Transplantationsmedizin wurde uns Betroffenen nahegelegt, die eigentliche Problematik der niedrigen Transplantationszahlen doch unbedingt öffentlich anzusprechen. Nicht die mangelnde Spendebereitschaft führt zu diesen verheerend niedrigen Transplantationszahlen in Deutschland, sondern der Faktor "Wirtschaftlichkeit" und der latente personelle Notstand in den Kliniken sowie die schlechte Bezahlung bei Organentnahmen. Spanien macht es uns beispielhaft vor. Dort betragen die Honorare für Transplantationen etwa das Dreifache von denen in Deutschland. Spanien ist wohl deshalb auch die Nummer eins in Europa, was die Wartezeiten für Organe anbelangt.

Über den im letzten Jahr zu diesem Thema in der SZ veröffentlichten Satz "Es ist einfacher und billiger, den Bestatter zu rufen, als den OP herzurichten", war ich zuerst schockiert. Leider entspricht diese Aussage aber den Tatsachen. Ich habe mittlerweile sogar großes Verständnis für die Ärzte und deren Team. Wir sollten ihre Leistung und Verantwortung endlich entsprechend würdigen und honorieren. Eine Neuregelung des Transplantationsgesetzes wäre außerdem dringend erforderlich. Gabriele Lempertseder, München

Ehrlich aufklären

Der Artikel "Die Halbherzigen" von Christina Berndt spricht korrekterweise vom Hirntod. Das tut der offizielle Organspender-Ausweis leider nicht. Er ist im Umgang mit diesem Begriff selber halbherzig - er scheut sich, den Sachverhalt beim Namen zu nennen; es heißt dort: "nach meinem Tode". Tot ist ein Mensch, dessen Lebensfunktionen insgesamt erloschen sind. Vor dem Ende der Sechzigerjahre des vorigen Jahrhunderts, also vor der Erfindung des Hirntods, war der medizinisch festgestellte Tod mit dem alltäglichen Todesbegriff bedeutungsgleich. Eine Organentnahme aus einem toten Organismus zum Zweck der Verpflanzung wäre sinnlos. Also muss der Organismus künstlich am Leben erhalten werden. Er darf nicht eines natürlichen Todes sterben, ehe die Organe entnommen sind. Deshalb wurde der medizinische Kunstbegriff "Hirntod" eingeführt.

Die Formulierung, die der Ausweis dem potenziellen Spender in den Mund legt, verschleiert diesen Sachverhalt. Ich halte es für unzumutbar, die Unklarheit, deren Zweck, Spender nicht abzuschrecken, offenbar ist, durch meine Unterschrift zu beglaubigen. Ehrlich wäre es, vom Spender die Erlaubnis einzufordern, dass sein Sterben, wenn es irreversibel von Natur aus geschieht, zur Organentnahme aufgehalten wird. Oder einfach und wahrheitsgemäß zu formulieren: nach meinem Hirntod. Prof. Hermann Braun, Bielefeld

Was fällt ihnen noch alles ein?

"Es ist letztlich das Nicht-ertragen-Können von Leiden, das immer wieder dazu zwingt, andere leiden zu machen." Die Erkenntnis von H. E. Richter aus dem Buch "Der Gotteskomplex" trifft genau die Problematik der Organtransplantation. Ursprünglich als Ausnahmemedizin gedacht, wird die Organtransplantation inzwischen zum Standardangebot, das man Patienten mit Organversagen in der medizinischen Behandlung schuldig ist. Dies bringt der Artikel "Klinisch tot" von Bruno Meiser unverblümt zum Ausdruck. Ohne einen Hauch von Selbstzweifel und gegen sein medizinisches Wissen will er seine Kollegen in den Kliniken und die Politiker unter Druck setzen, dass sie die Organentnahme aus einem noch lebenden Menschen forcieren. Der Bevölkerung wird vorgemacht, dass die Organentnahme "nach dem Tod" geschehe, aber in der Patientenverfügung soll sie darum bitten, dass die Intensivbehandlung bis zur Durchführung der Organentnahme aufrechterhalten wird. Für wie dumm hält er die Deutschen, die diesen Widersprüchen nicht glauben wollen? Es erinnert an die Praktiken in einer Diktatur, wenn der Transplantationsbeauftragte wie ein Kommissar auf der Intensivstation herumspionieren und ohne Wissen der Angehörigen einen potenziellen "Spender" melden soll. Offensichtlich gibt es dankenswerterweise noch immer genug Ärzte, die sich dem Schutz des vor ihnen liegenden Patienten verpflichtet fühlen und ihm weder die Schmerzmittel verweigern noch ihn mit einer Hirntoddiagnose in seinem Zustand quälen wollen.

Man sollte endlich aufhören, zwei Leidsituationen miteinander zu verknüpfen und Menschen gegeneinander aufzubringen, und sollte stattdessen die millionenschweren Werbungskosten in Forschung für neue Verfahren für organgeschädigte Menschen stecken. Und jetzt soll das "Standardangebot" erweitert werden auf Organentnahme nach Herzstillstand. Was fällt diesen Medizinern noch alles ein, wenn die Ehrfurcht vor einem auf Schutz angewiesenen Menschen verloren geht!

Die Widerspruchslösung verschafft dem Staat das Verfügungsrecht und den Zugriff auf den Patienten. Die Alternative zu all diesen auf Erhöhung der Organentnahme zielenden, skrupellosen Vorstößen der Transplantationsmediziner wäre, wenn Gesetz würde, dass nur jeder für sich entscheiden könnte (enge Zustimmungslösung) bei umfassender ehrlicher Aufklärung der Bevölkerung. Nur dann könnte man auch von einer Spende im Sinne des Wortes reden. Erdmute Wittmann und Gisela Meier zu Biesen, Sinzig-Bad Bodendorf

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