Schadstofftests der Autokonzerne:Forschen, bis es passt

  • Die Autokonzerne versuchten systematisch, die Folgen von Dieselabgasen schönzureden.
  • Nachdem nun Schadstofftests an Affen und Menschen bekannt geworden sind, gibt man sich empört.
  • Doch manche hochrangige Vertreter der Autobauer wussten Bescheid.

Von Markus Grill, Max Hägler, Antonius Kempmann und Klaus Ott

Es ist alles so schön geplant für diesen Donnerstag bei der Daimler AG in Stuttgart, einem der drei großen deutschen Autokonzerne. Vorstandschef Dieter Zetsche will bei der Bilanzpressekonferenz großartige Zahlen und vielversprechende Perspektiven präsentieren. Doch nun wird vieles überlagert durch die neuesten Enthüllungen in der Abgasaffäre. Ein von Daimler, Volkswagen und BMW betriebener Verein, der angeblich der Forschung diente, hat in den USA Tests mit Dieselschadstoffen an Affen vorgenommen. Später kamen Versuche mit Menschen hinzu, an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Den Auftrag ließ sich der Verein fast 76 000 Euro kosten. 25 Versuchspersonen atmeten Stickstoffdioxid (NO₂) ein. Nach Angaben der Uniklinik ging es um NO₂-Grenzwerte am Arbeitsplatz. NO₂ ist auch in Dieselabgasen enthalten und steht im Mittelpunkt der Affäre um manipulierte Messergebnisse und der politischen Debatte über hohe Schadstoffwerte in vielen Städten.

Die Tier- und Menschenversuche sollten beweisen, wie ungefährlich NO₂ sei. Mit dem Auffliegen der Tests wird es jetzt noch ungemütlicher für die Autokonzerne. Die Empörung ist groß, bis hin zu Bundeskanzlerin Angela Merkel, die Aufklärung fordert. "Diese Tests an Affen oder sogar Menschen sind ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag. Daimler-Chef Zetsche und seine Leute ahnten schon am Wochenende, was da kommen würde, und entschlossen sich zur Flucht nach vorne. "Wir sind über das Ausmaß der Studien und deren Durchführung erschüttert", erklärte Daimler. "Wir verurteilen die Versuche auf das Schärfste." Der Stuttgarter Konzern mit der Edelmarke Mercedes hat eine interne Untersuchung eingeleitet. Der Vorstandschef will wissen, wie es zu diesen Versuchen kommen konnte.

Da braucht Zetsche eigentlich nur Udo Hartmann zu fragen, den Umweltbeauftragten des Konzerns. Der saß jahrelang, bis 2017, im Vorstand der Europäischen Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT). Jenes Vereins, der hinter den Menschen- und Tierversuchen steht. Die EUGT war am 7. Mai 2007 bei der Robert Bosch GmbH in Berlin gegründet und 2017, nach Beginn der Abgasaffäre, wieder aufgelöst worden. Bosch ist einer der weltweit größten Autozulieferer. Mit von der Partie waren bei der Vereinsgründung auch BMW, Daimler und Volkswagen. Der Jahresbeitrag für die Unternehmen wurde auf 125 000 Euro festgelegt. Die Vollmacht von Daimler für die Gründungsversammlung hatte auch Wolfgang Herb unterschrieben, einer der Spitzenleute in Stuttgart. Als Herb Ende 2016 nach 25 Jahren bei Daimler in den Ruhestand ging, hatte er es bis zum Chief Compliance Officer geschafft. Also bis zum obersten Ordnungshüter im Unternehmen, der für saubere Geschäfte sorgen soll.

Heute tun die Konzernspitzen von Daimler wie auch von BMW und VW so, als sei man überrascht vom Treiben der eigenen Vereinigung. In den Chefetagen der Konzerne sollte aber der Zweck des Vereins und dessen Wirken bekannt gewesen sein. Zu den Vereinsvorständen zählte neben Hartmann von Daimler auch Hans-Georg Kusznir von VW, der in der beim Vorstand angesiedelten Konzernpressestelle wirkte, ehe er in die Abteilung für Außen- und Regierungsbeziehungen aufrückte. Als ein enger Mitarbeiter von Thomas Steg, einem früheren Sprecher der Bundesregierung, der heute als Cheflobbyist von VW agiert.

Schon die Gründung des Lobbyvereins begann mit versuchter Täuschung

Hartmann, Kusznir sowie Manager von Bosch und BMW, das waren keine kleinen Nebenfiguren, die den in Berlin ansässigen Verein steuerten. Der hatte laut Satzung unter anderem die Aufgaben, den Wissensstand zu "umweltmedizinisch relevanten Auswirkungen des Verkehrs" zu dokumentieren und Netzwerke zwischen Verkehrsunternehmen und Forschern aufzubauen. Die Netzwerke dienten weniger dem Gesundheits- und Umweltschutz, sondern eher dem lange Zeit erfolgreichen Versuch, Dieselabgase zu verharmlosen und so den Konzernen hohe Investitionen in die Schadstoffreinigung zu ersparen. Zu einer Studie zum Reizgas Stickoxid heißt es etwa in einem Tätigkeitsbericht, die Werte aus Stuttgart könne man nicht heranziehen, da vorwiegend nur die höheren NO₂-Konzentrationen von Messorten an Straßen erfasst würden. Damit sei keine Aussage über die tatsächliche Belastung der Stadtbewohner durch NO₂ möglich. Erst viel später flogen bei VW die Manipulationen auf, mit denen Abgaswerte geschönt worden waren.

Bereits die Gründung des angeblichen Forschungsvereins hatte mit einer versuchten Täuschung begonnen. Die Autokonzerne wollten sich mit dem Titel "Europäisches Institut für Umwelt- und Gesundheitsforschung im Transportsektor" schmücken. Doch das Amtsgericht Charlottenburg verweigerte dem Verein die Eintragung unter diesem Namen. Bei einem Institut müsse es sich entweder um eine universitäre oder um eine vom Staat eingerichtete oder geförderte Einrichtung handeln. Ansonsten müsse der Name geändert werden, "da andernfalls eine Täuschungsgefahr besteht", beschied das Gericht die Konzerne. So kam es zu dem Namen Forschungsvereinigung statt Institut.

Nach dem VW-Skandal traten Forscher zurück

Wenn sich die Manager zur Mitgliederversammlung der EUGT trafen, saß immer wieder mal Professor Helmut Greim mit am Tisch. Greim, der früher an der Technischen Universität München gelehrt hatte, war in dem Verein Vorsitzender des Forschungsbeirats. Wegen seiner Nähe zur Industrie und Stellungnahmen in deren Sinne ist er in den vergangenen Jahren wiederholt in die Kritik geraten. Gleichwohl wurde er vom Bundestag mehrmals als Sachverständiger geladen und gehört, beim Thema Glyphosat ebenso wie im Abgas-Untersuchungsausschuss des Parlaments.

Im Gegensatz zu Greim ist einer seiner Kollegen im Forschungsbeirat der EUGT nach dem Auffliegen der VW-Manipulationen empört zurückgetreten. Ulrich Keil, Professor an der Uni Münster, sagte dazu auf Anfrage, dass "wir betrogen worden sind" und dass er da nicht mehr mitgemacht habe. "Es war beschämend, dass Wissenschaftler so vorgeführt wurden." Als er im Verein über Tempolimits habe reden wollen, weil sich so die Abgase enorm reduzieren ließen, sei ihm beschieden worden: "Das wird hier nicht diskutiert." Auch zwei andere Wissenschaftler aus dem siebenköpfigen Forschungsbeirat seien nach dem Beginn des VW-Skandals ausgetreten, sagt Keil.

Das hätte alles keine Rolle mehr gespielt, wären jetzt nicht die Tier- und Menschenversuche bekannt geworden. Beim Test an der Uni Aachen, heißt es in einem EUGT-Report, hätten "keine entzündlichen Wirkungen von NO₂ an den Atemwegen festgestellt" werden können. Also alles ganz harmlos? Das behauptet inzwischen nicht einmal mehr die Autoindustrie. Daimler erklärt: "Wir distanzieren uns ausdrücklich von der Studie und der EUGT."

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