Kampf gegen Extremisten:Der Westen darf Afghanistan nicht vergessen

Kampf gegen Extremisten: Sprengstoff im Krankenwagen: Nach einem Anschlag im Herzen von Kabul am Wochenende tragen freiwillige einen Verletzten davon.

Sprengstoff im Krankenwagen: Nach einem Anschlag im Herzen von Kabul am Wochenende tragen freiwillige einen Verletzten davon.

(Foto: AFP)

Sonst wird der Terror weiter den Alltag der Afghanen verwüsten. Deutschland, aber vor allem die USA müssten endlich Konsequenzen ziehen.

Kommentar von Tobias Matern

Der Mensch entzieht sich gerne unangenehmen Situationen. Seine Psyche hält dafür einen Schutzmechanismus bereit: die Verdrängung. Dabei wird ein Sachverhalt ausgeblendet, in der Hoffnung, das Problem erledige sich von allein. Meist tritt das Gegenteil ein: Das Problem verschärft sich.

Auch in der internationalen Politik lässt sich das Phänomen der Verdrängung studieren, zur Zeit besonders an einem Beispiel - an Afghanistan. Dieses Land beflügelte einst Fantasien, früher bei den Hippies, die in Kabul kifften, später bei einer rot-grünen Bundesregierung, die sich nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten der außenpolitischen Reifeprüfung stellen wollte.

Als guter Verbündeter zog Berlin an der Seite der USA an den Hindukusch. Viele im Westen glaubten, in Afghanistan eine Demokratie nach ihren Vorstellungen errichten zu können, wenn die Taliban in Kabul erst gestürzt wären.

Nun sind mehr als 16 Jahre seit Beginn der vom UN-Sicherheitsrat legitimierten Intervention vergangen: Die USA, und mit ihnen Deutschland sowie die anderen westlichen Verbündeten, haben ihre Kampftruppen abgezogen, es gibt nur noch ein kleines, unterstützendes Kontingent für die afghanische Armee. Aber das Ergebnis der Mission ist niederschmetternd. Auch die afghanische Armee kann nicht leisten, was schon der Westen nicht vermochte: den Menschen ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln.

In den Provinzen bauen die Extremisten ihren Einfluss aus. In Kabul wüten die Taliban und die Terrormiliz Islamischer Staat. Sie zünden Bomben, weil sie stark genug sind, die ausgestreckte Hand von Präsident Aschraf Ghani auszuschlagen. Jüngstes Beispiel: Ein Krankenwagen voller Sprengstoff, gezündet im Herzen der Hauptstadt. Mehr Menschenverachtung ist kaum denkbar.

Die Afghanen, sie haben gar keine andere Wahl: Sie müssen die Schrecken immer wieder verdrängen, um ihren Alltag bestreiten zu können. Bis zum nächsten Anschlag. Der Westen hingegen hat eine Wahl.

Trump müsste Pakistan einbinden

Im Fall Deutschlands müsste das Nachdenken über diese Mission zu der Erkenntnis führen, dass Abschiebungen nach Afghanistan ausgesetzt werden müssen, weil der Einsatz des Westens ein unsicheres Land hinterlassen hat, in dem viele Menschen keine andere Möglichkeit haben, als zu fliehen.

Im Fall der USA müsste die Erkenntnis umfassender sein: Militärische Druckmittel hat Washington nur noch sehr begrenzt, es bleibt nur das Ringen um den diplomatischen Wurf. Präsident Donald Trump müsste dafür Pakistan einbinden, statt die Partnerschaft aufzukündigen, so quälend das für Washington auch ist. Nur mithilfe der Regierung in Islamabad werden Friedensgespräche mit den Taliban möglich.

Wenn das pakistanische Sicherheits-Establishment nicht eingebunden wird, kann es die Aussöhnung weiter untergraben. Um Pakistans Vertrauen zu gewinnen, führt der Weg für Trump über Peking. China hat sich zu einer wirtschaftlichen Schutzmacht Pakistans entwickelt und nutzt das vom Westen hinterlassene Vakuum in Afghanistan aus.

Nichts davon geschieht, keine Initiative, keine Reflexion, kein neuer Anlauf zum Frieden. Die Verdrängung des Einsatzes ist in vollem Gang. Der Terror wird weiter den Alltag der Afghanen verwüsten, und die Taliban können Schritt für Schritt ihre Macht ausbauen.

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