Kommentar:Der Kompromiss zum Familiennachzug ist kleinlich

Um den Familiennachzug wurde erbittert gestritten. Es ist ein Erfolg, wenn das jetzt vorbei ist. Das ist aber auch schon das Beste, was man über den Beschluss von Union und SPD sagen kann.

Kommentar von Stefan Braun, Berlin

Sie haben sich geeinigt! Das klingt in diesen Wochen des Streits, des politischen Stillstands und der parteipolitischen Verzagtheit wie eine große Nachricht. Und wenn man sich ansieht, wie heftig Union und SPD über den Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchtlinge gestritten haben, kann man festhalten: Es ist ein Erfolg, wenn der Streit vorbei ist. Endlich eine gute Nachricht bei so vielen schlechten.

Das aber ist schon das Beste, was man über den Beschluss von Union und SPD sagen kann: Erfreulicherweise behindert diese Frage nicht mehr die Lösung anderer, viel wichtigerer Probleme. So einschneidend es für Flüchtlinge ist, ob sie ihre Familien nachholen dürfen - die Lösung dieser Frage wird nicht über die Zukunft Deutschlands entscheiden.

Verglichen mit den Problemen in den Schulen, bei der Pflege, der wachsenden Spaltung der Gesellschaft ist das Thema Familiennachzug von Anfang an eine kleine Baustelle gewesen. Die Frage wurde als Symbol dramatisch aufgeladen und zuletzt zu dem einen großen Beleg dafür gemacht, ob sich Deutschland künftig abschottet oder öffnet. Das aber macht sich nicht an diesem Thema fest; und es spricht gegen die Vernunft, dass alle Parteien es trotzdem so behandelt haben.

Denn auch mit dem jetzt gefundenen Kompromiss haben Union und SPD noch lange keine Antwort darauf gegeben, wie dieses Land und wie die nächste Regierung künftig in einem umfassenden Sinne mit Flüchtlingen umgehen wird. Ob man also offen bleibt für Menschen, die wirklich in Not sind - oder ob die CSU künftig den Trend setzt.

Dass die CSU mit dem Wort "Christlich" im Namen derart garstig auftritt, zeigt nur, wie sehr sie die fremdenfeindliche, menschenverachtende Rhetorik der AfD wirklich fürchtet. Dass sie immer noch glaubt, auf diese Weise gegen ihre rechte Konkurrenz anzukommen, ist irritierend. Ausgerechnet sie, die die Familie als beschützenswertes Gut bis heute so demonstrativ vor sich herträgt, wirkt in dieser Frage derart hartherzig, dass man wirklich gespannt sein darf, wie das bei den Landtagswahlen ausgeht.

Der Kompromiss zum Familiennachzug selbst bleibt entsprechend ziemlich kleinlich. Beschlossen wurde, dass die längst existierenden Härtefallregelungen unangetastet bleiben. Damit wird nach der Intervention der Sozialdemokraten etwas festgeschrieben, was schon Rechtslage ist, aber im Sondierungspapier nicht explizit enthalten war. Das bedeutet: Zu den schon beschlossenen 1000 Flüchtlingen, die ab August monatlich als Familienmitglieder nachgeholt werden dürfen, können sogenannte Härtefälle hinzukommen.

Erfolgreiche Integration braucht sehr viel mehr

Doch weil die Härtefall-Definition nicht neu formuliert wird, dürfte die Zahl der Fälle bei einigen Hundert im Jahr liegen. Es sei denn, die Länder, die eine Mitsprache erhalten, nutzten die Regelung, um noch ein paar Hundert mehr ins Land zu holen. Gleichwohl ist das kein großer Triumph; es ist ein kleinliches Geschacher.

Aus diesem Grund ist dieses Ergebnis auch keine Antwort auf die Frage, ob die Vielleicht-bald-wieder-Groko verstanden hat, dass sie viel größere Anstrengungen unternehmen muss, wenn die Integration der schon im Land lebenden Flüchtlinge wirklich zu einem Erfolg werden soll.

Das nämlich würde verlangen, auch den erschöpften Helfern im Land stärker unter die Arme zu greifen. Es reicht mitnichten, wenn das Kanzleramt einmal im Jahr Flüchtlingshelfer feiert. Es geht in den Schulen, in den Kitas, in den Flüchtlingsorganisationen, in den Stadtverwaltungen längst um viel mehr. Es geht um ein adäquat großes, mit Geld unterlegtes Versprechen, die offensichtlichen Probleme bei der Integration zu lösen. Mit viel mehr gut bezahlten Lehrern und Betreuern, mit mehr Sozialpädagogen, mit mehr Klassen und mehr Geld - und mit mehr Strenge gegenüber allen Flüchtlingen, die sich den Integrationsangeboten verweigern.

Das - und nicht ein paar Hundert Menschen mehr beim Familiennachzug - wird darüber entscheiden, ob es Deutschland gelingt, die Aufnahme von Flüchtlingen zu meistern. Und die wachsende Spaltung im Land zu beenden.

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