Saloon in Kanada:"Klar kann man hier übernachten - wenn man starke Nerven hat"

Last Chance Saloon von Außen

"Last Chance Saloon" in Kanadas Wildem Westen

(Foto: LCSaloon Wayne)

Spuk im Hotel, Bier in Einmachgläsern und Einschusslöcher in der Wand: Im "Last Chance Saloon" im kanadischen Wayne lebt der Geist des Wilden Westens weiter - wortwörtlich.

Von Lisa Wazulin

Manchmal, wenn der letzte Gast die Bar verlassen hat, breitet sich im alten Saloon eine unheimliche Stille aus. "Ich bemerke dann etwas aus dem Augenwinkel, aber dann ist da niemand", erzählt Dave Arsenault und blickt in die Runde. Vielleicht sind es die ausgestopften Jagdtrophäen an den Wänden, die alte Spieluhr in der Ecke oder die kahlen Schädel von erlegten Bisons, die in diesem Augenblick die Spukgeschichte von Besitzer Arsenault glaubwürdig machen. Dank des eigentümlichen Charmes des historischen Saloons inmitten der kanadischen Einöde fühlen sich Besucher hier aber nicht nur wie im Gruselfilm, sondern auch wie im Western.

Der Weg in diesen wilden Westen führt über neun von elf Brücken, durch kurvige Canyonschluchten der Badlands am Fluss Rosebud River entlang und durch eine Stadt, die fast ausgestorben ist - wäre da nicht der Saloon. Ein Schild am Ortseingang von Wayne zeigt die kümmerliche Zahl der Einwohner an, die mittlerweile auf unter 40 geschrumpft ist. Vierzehn Kilometer südöstlich der Kleinstadt Drumheller, die mit dem größten Dinosauriermuseum der Welt ein echter Touristenmagnet ist, verdankt die einstige Bergbaustadt ihr Fortbestehen nämlich auch dem Ruf des Saloons: Angelehnt an die Canyon-Wand, unweit einer stillgelegten Kohlemine, sichert der hundert Jahre alte "Last Chance Saloon" mittlerweile das Dasein der winzigen Gemeinde Wayne.

Harleys statt Pferde

Ähnlich wie in den USA, wo gleichnamige Bars die letzte Gelegenheit boten, legal Alkohol zu kaufen, verdankt der Saloon seinen Namen den Trinkgewohnheiten kanadischer Bergleute: Für sie war der Saloon die letzte - oder einzige - Möglichkeit für ein Feierabendbier unter Kumpels. Heute kommen Touristen, Westernfans und Geisterjäger aus aller Welt ins kanadische Hinterland: Für Cowboyflair sorgt die historische Fassade des Saloons, für Gänsehaut das Gerücht über Geister von ermordeten Bergleuten. Sie sollen im angrenzenden Hotel Rosedeer spuken.

Das Aussehen des Saloons samt Hotel hat sich seit der Gründung kaum verändert: Noch immer zieren riesige Wagenräder die hölzerne Fassade, ein Schild mit der Aufschrift "Last Chance Saloon - est. 1913" prangt über dem Eingang. Nun schwingen sich Motorradfahrer genau dort vom Sattel ihrer Harleys, wo einst Cowboys vom Rücken ihrer Pferde sprangen.

Auch Hollywood hat das authentische Flair des Saloons begeistert - seine Fassade war schon Kulisse in diversen Western. Im Sommer kann man sich im Hinterhof sein Steak selbst grillen und an der Außenbar auf echten Pferdesätteln statt auf Barhockern sitzen. Im Winter erzählen drinnen Einheimische bei Countrymusik und Bier aus Einmachgläsern den Touristen Schauergeschichten von heimgesuchten Hotelzimmern und den drei Einschusslöchern in der Wand über dem Klavier.

Kampf auf Leben und Tod im Hotel

Die Löcher soll Barkeeper Lawrence Wilson in den sechziger Jahren mit seinem 45er Revolver dort hinein geballert haben - weil drei Kunden nicht zahlen wollten. Unzählige Schwarzweiß-Fotos und Bergwerk-Überbleibsel wie Gaslampen, Blechschilder und Äxte zieren die Wände. Selbst die Bar, das Herzstück des Saloons, droht in der Fülle dieses nostalgischen Krimskrams fast unterzugehen.

Seit mehr als hundert Jahren ist der Saloon schon Treffpunkt für Einheimische - und seine Geschichte damit auch die Geschichte des Städtchens Wayne. Die ersten Ölfunde im Jahr 1947 in der Region Alberta hatten aus einer florierenden Bergbauerstadt eine scheintote Geisterstadt gemacht: Bis dahin schürften täglich mehr als 2000 Arbeiter in den umliegenden Bergen nach Kohle. Weil die Rosedeer Coal Mine direkt gegenüber liegt, strömten etwa 250 Arbeiter jeden Tag zum Essen und natürlich zum Trinken in den "Last Chance Saloon".

"Sechzig Bergleute wohnten bei uns im Hotel, das damals noch mit einem riesigen Esszimmer und zwei Küchen ausgestattet war", erinnert sich der ehemalige Besitzer Fred Dayman, der mittlerweile im Ruhestand ist. Sein Urgroßonkel hatte den Saloon vor mehr als hundert Jahren eröffnet. Aus Erzählungen seiner Mutter weiß Dayman, dass es unter den Minenarbeiter oft blutige Kämpfe gegeben hat, die vor dem Saloon ausgetragen wurden.

Zudem sollen viele Arbeiter Anhänger der Kommunistischen Partei gewesen sein. "Der Ku-Klux-Klan beherrschte damals die Gegend. Regelmäßig haben sie versucht, Arbeiter oben im Hotelzimmer mit Gewalt vom Kommunismus abzubringen. Dabei sollen sie oft zu weit gegangen sein", berichtet Dayman. Seitdem kursieren unheimliche Gerüchte über zu Tode gefolterte Kommunisten. Ihre ruhelosen Seelen sollen noch immer in den Hotelzimmern umher spuken und beleben damit den Ort: Sie locken Geisterjäger aus dem ganzen Land nach Wayne.

Die unheimliche Vergangenheit des Anwesens konnte Dave Arsenault nicht davon abhalten, den Saloon samt Hotel vom einstigen Besitzer Dayman abzukaufen. "Ich plante eigentlich, ein Bed&Breakfast zu eröffnen. Aber als die Daymans das hier alles aufgeben wollten, konnte ich nicht anders", sagt Arsenault. Vor fünf Jahren hat der ehemalige Landvermesser, der damals noch für die Öl- und Gas-Industrie arbeitete, den Saloon übernommen. Auch weil er selbst seine Hochzeitsnacht in der historischen Suite im Rosedeer Hotel verbrachte - ganz ohne Spuk.

Besitzer Dave Arsenault in der Lobby des Rosedeer Hotels in Wayne, Alberta

Besitzer Dave Arsenault in der Lobby seines Rosedeer Hotels in Wayne, Alberta.

(Foto: Lisa Wazulin)

Nach dem Kauf hat der 56-Jährige die Einrichtung des Saloons nicht verändert, sondern lediglich das Hotel neu hergerichtet. "Selbstverständlich kann man heute dort übernachten", sagt Arsenault und fügt lächelnd hinzu: "Wenn man starke Nerven hat." Sechs Hotelzimmer hat er renoviert, wobei der Kanadier sich an historischen Aufnahmen orientierte. Über eine unscheinbare Schiebetür gelangt man vom Saloon in die Lobby des Hotels. Im schummerigen Licht eines kleinen Kristallkronleuchters führt eine alte Holztreppe ins Dunkel.

"Eine Nacht kostet 80 Dollar, wir haben die Zimmer nach Themen eingerichtet", erklärt der Kanadier stolz. So gibt es etwa das Bergarbeiterzimmer, den Golfraum und auch noch immer die Honeymoon-Suite. Dass der dritte Stock für Gäste gesperrt ist, weil es dort spuken soll, erwähnt er nicht.

Dafür erzählt er von zahlreichen Besuchern, die sich als Erforscher des Paranormalen sehen. Ein 70-jähriger Gast etwa quartiert sich jedes Jahr im Winter für eine Woche ins Hotel ein, wenn es komplett leer ist. "Seltsamer Typ, aber er ist vom Spuk überzeugt", findet Arsenault. Und er selbst? "Man muss schon daran glauben. Oder eben sehr empfänglich für diese Phänomene sein."

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