Fahrradverkehr:München will nicht länger "Radlhauptstadt" sein

Marienplatz in München, 2017

Am Marienplatz wird Radfahren großgeschrieben - trotzdem gibt es auch im Rest der Stadt für Radler noch viele Gefahrenstellen.

(Foto: Robert Haas)
  • Acht Jahre nach ihrem Start läuft die Imagekampagne "Radlhauptstadt München" aus und wird neu ausgeschrieben.
  • Kritiker fordern, noch mehr für Radler zu tun - denn zu viele Projekte sind noch in der Planung oder müssen erst geprüft werden.
  • Der Stadtrat hat einen Grundsatzbeschluss Radverkehr mit etwa 50 Maßnahmen verabschiedet, die das Radeln attraktiver machen sollen.

Von Andreas Schubert

"Ja mia san mim Radl da", titelte die Süddeutsche Zeitung im April 2010. Damals startete die Stadt ihre Imagekampagne "Radlhauptstadt München". Und jetzt, nach acht Jahren, will man im Kreisverwaltungsreferat nichts mehr von der Radlhauptstadt hören. Ende des Jahres läuft die Kampagne aus und wird neu ausgeschrieben. Dann soll auch ein neuer Name her. Dem bisherigen Titel haftet inzwischen zu viel Häme an, als dass er noch ausreichend werbewirksam wäre.

So sehe das zumindest das KVR, erläutert Münchens Radverkehrsbeauftragter Florian Paul. Die Öffentlichkeitsarbeit für das Radeln solle zwar weitergehen, aber eben unter einem neuen Namen. Zu oft sei von der "selbsternannten Radlhauptstadt" die Rede gewesen, und zwar immer dann, wenn es etwa Missstände in der Fahrradinfrastruktur anzuprangern gab, wenn also über fehlende oder schlechte Radwege oder über einen unzureichenden Winterdienst auf Radwegen geschimpft wurde. Wer zum Beispiel auf Twitter den Hashtag #radlhauptstadt eingibt, findet vor allem Fotos von auf Radwegen geparkten Autos und negative Berichte von Radfahrern.

Der Anspruch der Kampagne war hoch, doch ihr Name erwies sich von Anfang als etwas unglücklich. Noch heute erinnern sich viele an den Radl-Joker, einen albern gekleideten Clown, der Anfang des Jahrzehnts die Münchner auf die Vorzüge des Radelns aufmerksam machen sollte und bald wieder abgeschafft wurde. Nicht nur Gegner der Kampagne führten wiederholt an, dass es statt einer solchen Werbung Taten bedürfe.

Beim Verein Green City, der zusammen mit der Agentur Helios die Öffentlichkeitsarbeit für die Radlhauptstadt mit allerlei verschiedenen Aktionen organisiert, zum Beispiel Sicherheitschecks, Massenausfahrten oder auch die Radlnacht, verweist man denn auch auf eine ganze Reihe von Aktionen für den Radverkehr. Dass der Name Radlhauptstadt in den sozialen Medien gleichwohl gemischte Reaktionen hervorruft, bestätigt Fabian Norden, politischer Referent bei Green City. Aber die Münchner nähmen die Aktionen durchaus gut an, der Name wecke also auch positive Assoziationen.

Ob das nun der Kampagne zuzuschreiben ist oder nicht: Tatsächlich hat der Radverkehr in München deutlich an Bedeutung gewonnen. Bei etwa zehn Prozent lag der Anteil der Radler am Gesamtverkehr im Jahr 2002. Dieses Jahr könnten es nach Einschätzung von KVR-Chef Thomas Böhle schon 20 Prozent werden. Allerdings hinkt dieser Prognose die Infrastruktur noch deutlich hinterher, so zumindest die Kritik vieler Radaktivisten.

Denn im aktuellen Grundsatzbeschluss Radverkehr, der an diesem Mittwoch im Stadtrat verabschiedet wurde, sind zwar etwa 50 Maßnahmen aufgeführt, die das Radeln in der Stadt attraktiver und sicherer und somit auch die Luft sauberer machen sollen. Doch viele Projekte sind erst noch in Planung respektive müssen erst geprüft werden. Auch dass in den vergangenen Jahren Kreuzungen sicherer gemacht und neue Radstreifen geschaffen wurden, reicht vielen noch lange nicht.

"Mutlos" nannte etwa Hep Monatzeder (Grüne) die Vorlage zum Beschluss im Stadtrat; er war als "Radl-Bürgermeister" einer der geistigen Väter der Radlhauptstadt-Kampagne. Die Grünen wollten nun ein ganzes Bündel schneller Maßnahmen durchsetzen, die bis 2025 realisiert werden sollten, zum Beispiel neue Radverkehrsachsen, Umbauten von Kreuzungen, neue Schnellwege. "Vom Anspruch, Radlhauptstadt zu sein, bleibt München weit entfernt", kritisierte auch Martin Hänsel vom Bund Naturschutz. "Von einem Grundsatzbeschluss zum Radverkehr muss man mehr Mut, ehrgeizigere Ziele und vor allem viel mehr konkrete und überprüfbare Maßnahmen sowie einen Zeitplan zur Umsetzung erwarten dürfen."

Diese Enttäuschung kann Bettina Messinger, die Radverkehrsbeauftragte der SPD, nicht so ganz nachvollziehen. Immer wieder fielen in verschiedenen Ausschüssen Beschlüsse, um die Situation für Radler zu verbessern, sagte Messinger. Und man habe in die Vorlage der Verwaltung für den Grundsatzbeschluss noch einige Änderungen eingearbeitet; damit komme "deutlich mehr Schwung in die Förderung des Radverkehrs".

Auch die SPD will, dass es bei einigen Projekten zügiger vorangeht - etwa den Radschnellverbindungen, mehr Aufstellflächen für Radler an Kreuzungen, eigenen Fahrradampeln und einer neuen Radlroute von der Paul-Heyse- über die Schwanthaler- in die Sonnenstraße. Doch Messinger betonte: "Für uns gilt bei Beschlüssen Qualität vor Schnelligkeit."

Wie eine künftige Werbekampagne aussehen wird, ist unklar. Den bisherigen Radlhauptstadt-Projektleiter Wigand von Sassen zieht es beruflich nach Berlin, seine Stelle soll im Herbst neu ausgeschrieben werden, ebenso die Öffentlichkeitsarbeit. Ob sich Green City wieder darum bewirbt, dazu will sich der Verein momentan noch nicht äußern.

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