Aufgehobene Doping-Sperren:Und plötzlich ist Russland wieder Erster im Medaillenspiegel

Eröffnungszeremonie Olympische Winterspiele Sotschi

Der Sportgerichtshof Cas hat die lebenslangen Sperren gegen 28 russische Athleten aufgehoben.

(Foto: dpa)
  • Der Sportgerichtshof Cas hebt die Sanktionen gegen 28 russische Wintersportler auf. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hatte sie wegen mutmaßlicher Verstrickung in das russische Dopingprogramm lebenslang von Olympia ausgeschlossen.
  • Im Grunde ist damit eingetreten, was Juristen dem IOC prophezeit hatten: dass es kaum möglich sein würde, jedem Einzelnen, der von der Massenverschwörung profitiert hat, das im Nachhinein rechtssicher nachzuweisen.

Von Claudio Catuogno

Am Donnerstag stand in Pyeongchang die Eröffnung des olympischen Dorfes auf dem Programm, eine kleine Zeremonie mit Friedenstauben aus Papier. Thomas Bach sagte, was man so sagt, wenn man als IOC-Präsident ein olympisches Dorf eröffnet: "Wir können jetzt schon sagen, dass dieses olympische Dorf eines der besten ist, wenn nicht das beste." Schon am Mittwoch hatte Bach selbst sein Zimmer bezogen, Gebäude 101, 15. Stock. Grellbunte Bettwäsche, Blick auf die Berge. Die Bilder, die von dem frohen Ereignis zur Verfügung gestellt wurden, sollen wohl Normalität ausstrahlen. Normalität, die es eine Woche vor Beginn der Winterspiele längst nicht mehr gibt.

Ebenfalls am Donnerstag trat in Pyeongchang der Generalsekretär des Internationalen Sportgerichtshofs Cas vor die Presse - und verkündete die nächste herbe Schlappe für Bachs Internationales Olympisches Komitee. Der Cas hob die Sanktionen gegen 28 russische Wintersportler auf, die das IOC wegen mutmaßlicher Verstrickung in das 2015 aufgeflogene russische Dopingprogramm lebenslang von seinen Spielen ausgeschlossen hatte. Sogar ihre 2014 in Sotschi errungenen Platzierungen und Medaillen bekommen sie zurück. Und aus Sicht des obersten Sportgerichts steht auch dem Start der 28 in Pyeongchang nichts im Wege. Elf weitere Sportler bleiben zwar von den Spielen in Südkorea ausgeschlossen - ihre lebenslangen Sperren sind aber ebenfalls ungültig.

Da helfen auch keine Bettdecken mit aufgedruckten Sportarten-Piktogrammen mehr, um den schönen Schein zu wahren.

Der Cas betonte, die Athleten seien nicht für "unschuldig" erklärt worden

Das IOC betonte in einer ersten Reaktion, die Cas-Entscheidung bedeute nicht, "dass Athleten aus der Gruppe der 28 zu den Spielen eingeladen werden". Weil Russlands Olympia-Komitee als Reaktion auf das Dopingprogramm suspendiert ist, können Sportler aus dem Land in Pyeongchang nur mit IOC-Einladung starten, ohne Flagge und Hymne, als "Olympische Athleten aus Russland". Auf der vor einer Woche veröffentlichten Einladungsliste stehen 169 Athleten. Doch Sportminister Pawel Kolobkow forderte prompt weitere Einladungen: Das IOC müsse reagieren, sagte er der Agentur Interfax, "wir sind froh, dass die Gerechtigkeit endlich triumphiert hat". Die Entscheidung bestätige, dass die Athleten "sauber" seien.

Genau das besagt sie allerdings nicht. Der Cas betonte, die Athleten seien nicht für "unschuldig" erklärt worden, bloß die Beweise für ihre Beteiligung seien "nicht ausreichend". Im Grunde ist damit das eingetreten, was Juristen dem IOC prophezeit hatten: dass es kaum möglich sein würde, jedem Einzelnen, der von der Massenverschwörung profitiert hat, das im Nachhinein rechtssicher nachzuweisen. Zumal ja alles Bestreben der beteiligten Funktionäre, Politiker, Geheimdienstler und Labor-Mitarbeiter gerade dies zum Ziel hatte: Positivproben verschwinden zu lassen.

Indizien hatte es durchaus gegeben: Die reichten von Kratzern an den Testfläschchen (die auf eine diskrete Öffnung hindeuteten) über Salz in der Probe (was ebenfalls für Manipulation spricht) bis hin zu männlicher DNA im Urin von Eishockeyspielerinnen. Auch weitere Erkenntnisse, die die Ermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada bereitgestellt hatten, wurden bewertet. 43 Sportler hatte das IOC lebenslang gesperrt, 39 von ihnen waren vor den Cas gezogen - 28 erhielten vollständig recht, elf teilweise. Details zur Begründung wurden nicht genannt. Zu hören ist, dass die Richter etwa Salz in der Probe als hinreichendes Indiz für eine Sperre ansahen, Kratzspuren nicht unbedingt. Und auch daran, dass sich der Kronzeuge Grigorij Rodtschenkow in jedem Fall richtig erinnerte, gab es Zweifel. Der ehemalige Leiter des Moskauer Labors war ein Drahtzieher des Betrugs, nach seiner Flucht in die USA wird er vom FBI beschützt. Rodtschenkow hatte per Videoschalte vor dem Cas ausgesagt.

Der irreführende Zorn auf die Cas-Richter

Unter jenen Athleten, die nun wieder auf einen Olympia-Start hoffen, sind Skeleton-Olympiasieger Alexander Tretjakow, Langlauf-Olympiasieger Alexander Legkow und der Silber-Gewinner im Rodeln, Albert Demtschenko. Dass sie ihre 2014 errungenen Erfolge behalten, hat kuriose Folgen: Russland rutscht wieder auf Rang eins des Sotschi-Medaillenspiegels. Und der deutsche Rodler Andi Langenhan bleibt nun doch Vierter. "Das war eine Achterbahn der Gefühle, die ich durchmache", sagte er; so ging es am Donnerstag vielen Athleten.

Entsprechend groß ist jetzt der Zorn auf die drei Cas-Richter, unter ihnen die deutschen Juristen Christoph Vedder und Dirk-Reiner Martens. Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), verschickte etwa ein Statement, in dem er die Entscheidung als "Schlag ins Gesicht des sauberen Sports" wertete. Sie zeige erneut, "wie schwierig es ist, harte Sanktionen im Anti-Doping-Kampf vor Gericht durchzusetzen". Das "inakzeptable staatliche Dopingsystem" könne nun "nicht in der gebotenen Härte bestraft werden". Weiter folgert Hörmann: Dass nicht einmal individuelle Sperren juristisch haltbar seien, lege "bedauerlicherweise den Schluss nahe, dass der vielfach geforderte Komplett-Ausschluss der russischen Mannschaft keinesfalls juristisch durchsetzbar gewesen wäre".

Die Frage ist allerdings, ob derlei Wortmeldungen bewusst oder unbewusst den Tatbestand der Irreführung erfüllen. Denn in Wahrheit legt die Schlappe vor dem Cas vor allem offen, dass Thomas Bach und seine IOC-Kollegen einen untauglichen Weg gewählt haben mit ihrem Beschluss, das System nicht kollektiv, als System, zu bestrafen, sondern in jedem Einzelfall nach Beweisen zu fahnden. Dass die IOC-Charta einen Komplettausschluss Russlands ermöglicht hätte, ist weitgehend unstrittig. Der Cas hat schon entsprechend geurteilt. Lebenslange Ausschlüsse hingegen hat der Cas oft verworfen. Man muss deshalb wohl davon ausgehen, dass Bach die Niederlage sogar bewusst in Kauf genommen hat: Jetzt liegt der schwarze Peter nämlich beim Sportgericht. Man hätte ja gern hart durchgegriffen. Man durfte nur nicht. Und nun? Werden viele Russen in Südkorea am Start sein, und schon bei der Abschlussfeier soll das Land mitsamt Hymne und Flagge wieder offiziell aufgenommen werden in die olympische Familie.

Es ist gewiss nicht der Sportgerichtshof Cas, der einen harten Anti-Doping-Kampf unmöglich macht.

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