Strategie der Sozialdemokraten:So kann die SPD in der großen Koalition gewinnen

Verlieren die Sozialdemokraten durch die Groko weiter an Unterstützung - oder müssen sie sich nur besser verkaufen?

Von Benedikt Peters

Vor einiger Zeit hat es sich Ralf Stegner zur Gewohnheit gemacht, auf Twitter Musiktipps zu versenden. Jeden Morgen schickt der SPD-Vizechef den Leuten "da draußen im digitalen Orbit" den Link zu einem Lied. Dieses ist akkurat ausgewählt, es soll etwas über Stegners Gefühlslage verraten, und manchmal auch über die Gefühlslage seiner Partei. Vergangenen Sonntag etwa, es hakte gerade gewaltig in den Koalitionsverhandlungen, teilte der Mann aus Schleswig-Holstein "Stranded" von Van Morrison. Mittwoch, als es nach einer durchverhandelten Nacht endlich eine Einigung mit der Union gab: Hans Hartz, "Die Weißen Tauben sind müde". Die meisten Likes aber bekam Stegner am Tag zuvor. Er twitterte "Rolling Stones - Sympathy for the devil", und er machte auch keinen Hehl daraus, wen er damit meinte. Nämlich die Union. Aus Stegners Sicht ist das Bündnis mit den Schwarzen ein Pakt mit dem Teufel, schließlich hat die SPD in den zurückliegenden großen Koalitionen viel an Wählerzustimmung eingebüßt.

Dass die große Koalition, die jetzt nur noch die Parteibasis per Mitgliederentscheid verhindern könnte, den Sozialdemokraten schaden wird, gar muss, glaubt nicht nur Stegner. Es glauben wohl auch viele Tausend Mitglieder der SPD. 43,4 Prozent der Delegierten stimmten auf dem Bonner Parteitag schon gegen die Aufnahme der Koalitionsverhandlungen mit der Union. Auch außerhalb der SPD sind entsprechende Ansichten verbreitet. "Der Erfolg dieser Koalition wird das Ende der SPD sein", schreibt zum Beispiel ein Spiegel-Kolumnist. Und Linken-Chefin Sahra Wagenknecht unkte gleich nach der Einigung, damit habe sich die SPD "ihr eigenes Grab geschaufelt."

Aber stimmt das so wirklich?

Die jüngeren Wahlergebnisse der SPD mögen das vielleicht nahelegen. Mit 34,2 Prozent war die Partei 2005 in die Groko gegangen, mit 23 Prozent kam sie vier Jahre später wieder heraus. 2013 dann ging man wieder mit der Union zusammen, und am Ende der stand mit 20,5 Prozent das schlechteste SPD-Wahlergebnis in der Geschichte der Bundesrepublik.

Dass der Abstieg der Sozialdemokraten in der Groko aber kein Automatismus ist, zeigt sich schon, wenn man den Blick etwas weitet. Denn das erste Bündnis zwischen Union und SPD, 1966 geschlossen unter dem CDU-Kanzler Kurt Georg Kiesinger, bescherte den Sozialdemokraten ein Plus bei den Wählern - und kein kleines. Mit 42,7 Prozent der Stimmen kam sie bei den Bundestagswahlen 1969 auf den bis dahin besten Wert in der Nachkriegszeit.

Ganz so weit zurückblicken müsste die SPD aber gar nicht. Sie könnte sich auch fragen, was genau in den vergangenen Groko-Tagen eigentlich schief gelaufen ist, beim Regieren und im Wahlkampf. Wer sich umhört im Umfeld der Partei, kommt nicht zu dem Schluss, dass der Teufel für die SPD in der Union steckt. Sondern in der eigenen Kommunikation. Frühere Wahlkampfmanager und Kommunikationsfachleute nennen immer wieder drei Bereiche, in denen die Partei enormen Verbesserungsbedarf hat.

Mehr Visionen

Wer das Wort Visionen in den Mund nimmt, ist schnell beim ehemaligen Bundeskanzler und SPD-Politiker Helmut Schmidt, der Menschen mit Visionen zum Arzt schicken wollte. Für den Politikberater Frank Stauss fehlt es der Partei aber genau daran. "Die potenziellen Wähler erwarten von der SPD, dass sie die Partei ist, die die Zukunft gestaltet", sagt Stauss, der für die SPD bereits viele Wahlkampagnen entworfen hat, unter anderem 2005 für Gerhard Schröder. Diese Erwartung sei bei SPD-Wählern stärker ausgeprägt als bei eher konservativen Parteien, so Stauss. Schließlich habe die Partei seit ihrer Gründung immer für den gesellschaftlichen Fortschritt gekämpft. Aber: "Den Anspruch, eine Zukunftspartei zu sein, hat die SPD in den letzten Jahren vernachlässigt." Stattdessen habe sie sich zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Und dabei versäumt, eine große gesellschaftliche Vision zu entwerfen, die auch bei den Bürgern ankommt.

Stauss glaubt, dass die Zukunft der Arbeit dafür das passende Thema sein könnte. Schließlich brächten Digitalisierung, Globalisierung und die wachsenden Unterschiede zwischen Stadt und Land einen radikalen Wandel. Im Arbeitsministerium unter Andrea Nahles sei das durchaus erkannt worden, die entsprechende Kampagne "Arbeiten 4.0" sei aber nicht intensiv genug von der Parteiführung aufgegriffen und verbreitet worden.

Stauss ist nicht der Einzige, der das so sieht. Lucas Gerrits glaubt ebenfalls, dass sich die Partei wieder stärker als Zukunftspartei inszenieren müsse. Er arbeitet als Politikberater und Campaigner für die Grünen und die SPD. "Die SPD sollte wieder gesellschaftliche Grundsatzdebatten anstoßen und die politische Agenda bestimmen". Gerrits warnt: "Die SPD wird dann gewählt, wenn sie Reformen anpacken will. Sind diese, wie zum Beispiel der Mindestlohn, umgesetzt, müssen neue Vorstöße kommen."

Besser kommunizieren

Es geht aber nicht nur um Visionen für die Zukunft. Die SPD sollte ihre Kommunikation nach Ansicht einiger Fachleute grundsätzlich überdenken. Ein Fehler bestehe darin, dass die Spitze der SPD viele ihrer potenziellen Wähler schlicht überschätze. "Die Menschen hören nicht jeden Tag Deutschlandfunk, lesen Qualitätszeitungen oder sehen die Tagesschau", sagt etwa Georg Brockmeyer, ein ehemaliger SPD-Wahlkampfmanager, der inzwischen für die österreichischen Sozialdemokraten arbeitet. Viele SPD-Politiker nutzten aber genau diese Medien, um ihre Botschaften zu platzieren. So ließe sich erklären, warum sich erfolgreiche Regierungsprojekte, etwa die Einführung des Mindestlohns oder der Ehe für alle, nicht in mehr Wählerstimmen niederschlügen. "Die SPD braucht ein kontinuierliches Kommunikationsmanagement. Die Parteispitzen müssen ihre Botschaften so lange wiederholen, bis sie ihnen aus den Ohren qualmen", sagt Brockmeyer. Lautstark ausgetragene Debatten, bei denen die SPD mit unterschiedlichen Botschaften in die Öffentlichkeit tritt, seien hingegen schädlich.

"Für manchen ist die Sprache der Sozialdemokraten auch einfach zu kompliziert. In den Koalitionsverhandlungen etwa forderten sie unter anderem Nachbesserungen bei der "sachgrundlosen Befristung" und beim "Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige". "Das ist nicht nur kompliziert. Da kann sich auch kaum jemand etwas darunter vorstellen", sagt Politikberater Gerrits. "Die SPD sollte diese Begriffe in eine verständliche, sozialdemokratische Sprache übersetzen, um Menschen emotional zu erreichen." Statt "Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige" sollte sie sagen: "Wir führen Familien zusammen von Menschen, die von Folter und Tod bedroht sind." Bei der CDU klappe dies manchmal besser. In der schwarz-gelben Koalition etwa bewarben die Christdemokraten die sogenannte "Lebensleistungsrente" für Geringverdiener. "Ein großes Wort für einen Rentenaufschlag, der letztlich zehn bis fünfzehn Euro pro Monat betragen sollte", sagt Gerrits. "Bei den Menschen ist der Begriff aber trotzdem hängen geblieben. Und die SPD konnte nur schwer gegen eine 'Lebensleistung' argumentieren."

Mehr Vorbereitung

Besonders wichtig wird die Kommunikation dann, wenn die nächste Bundestagswahl ansteht. "Einen vernünftigen Wahlkampf sollte man zwei Jahre lang vorbereiten", sagt Brockmeyer. Vor seinem Wechsel nach Österreich hatte der 42-Jährige 2017 die Kampagne des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil organisiert - eine der wenigen, die in den vergangenen Jahren erfolgreich war. Bei der Bundes-SPD hingegen stand erst Ende Januar vergangenen Jahres fest, dass Martin Schulz Spitzenkandidat der Sozialdemokraten wird. Der damalige Parteichef Sigmar Gabriel hatte die Entscheidung so lange hinausgezögert, dass bis zur Wahl noch acht Monate blieben. "Das war miserabel organisiert", sagt Brockmeyer. "Das reicht nicht, um eine vernünftige Strategie zu entwickeln." Programm und Person müssten zusammenpassen, die Partei müsse geeint dahinterstehen. "Alles das gab es nicht." Das Thema Gerechtigkeit sei daher ein Schnellschuss gewesen. Hätte er entscheiden dürfen, so der 42-Jährige, hätte er Schulz als den großen Europäer inszeniert.

Manche Wahlkampfmethoden hält Brockmeyer zudem für veraltet. "Der Infostand am Samstagnachmittag ist für viele noch immer das Mittel der Wahl", sagt er. Dabei ließen sich dadurch nur wenige Leute erreichen, ebenso wie durch klassischen Häuserwahlkampf. "Hausbesuche können ein gutes Mittel sein. Sie müssen aber gezielt eingesetzt werden." In Niedersachsen habe sein Team Datensätze ausgewertet, um zu sehen, wo die Besuche sich lohnen könnten. "Im Bund ist das nicht passiert."

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