Studie:Ärmer als gedacht

Wintermorgen in Niedersachsen

Mit Kindern steigt das Risiko, in die Armut zu rutschen.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Eine Frage der Berechnung: Familien sind finanziell häufig schlechter gestellt als bisher angenommen, sagt die Bertelsmann-Stiftung.

Alleinerziehende und ärmere Familien stehen finanziell oft schlechter da als bisher angenommen. Das geht aus einer neuen Studie von Forschern der Bochumer Ruhruniversität im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung hervor. Der Untersuchung zufolge wurden "vor allem arme Familien bisher reicher gerechnet, als sie tatsächlich sind" und arme Haushalte reicher gerechnet. Bei den gängigen Berechnungsmethoden wird demnach systematisch unterschätzt, wie sich das Armutsrisiko von Familien mit jedem weiteren Kind erhöht.

Nach der in der EU üblichen Definition gilt als von Armut bedroht, wer als Alleinstehender weniger als 60 Prozent des jeweils mittleren Einkommens verdient. Die Grenze erhöht sich bei mehreren Menschen im Haushalt und liegt für Alleinerziehende mit einem Kind um knapp ein Drittel höher, für ein kinderloses Paar um die Hälfte höher und für eine Familie mit zwei Kindern gut doppelt so hoch. Diese Gewichtung geht zurück auf eine Skala der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD).

Die von der Stiftung beauftragten Forscher kritisieren nun, die OECD-Skala gewichte Kinder zu niedrig. Für die Studie verglichen sie empirische Daten des Statistischen Bundesamtes zur Einkommenssituation von Familien und kinderlosen Paaren seit Anfang der 1990er Jahre. Dabei wurde ermittelt, welche Zusatzkosten durch Kinder und Jugendliche entstehen - von Windeln über Schulmaterial bis zu Klassenfahrten.

Die neue Bertelsmann-Studie berechnet nun die sogenannten Äquivalenzskalen anders. Diese benutzen Forscher, um verschieden große Haushalte miteinander vergleichen zu können. Ein Beispiel: Eine Familie mit vier Personen hat gegenüber einem Single den Vorteil, dass sie nicht vier Esstische für den gleichen Wohnkomfort braucht. Dadurch spart die Familie Geld, und dies wird bei den Äquivalenzskalen berücksichtigt. Diese Einsparungen wurden nach den Berechnungen der Forscher aber zu stark gewichtet. Das Armutsrisiko von gering verdienenden Eltern liege deshalb knapp drei Prozentpunkte über den bisher geschätzten Werten.

Ein Beispiel: Die Studie der Bertelsmann-Stiftung geht davon aus, dass 68 Prozent der Alleinerziehenden 2015 armutsgefährdet waren. Nach der OECD-Methodik sind es mit 46 Prozent deutlich weniger. Außerdem habe sich von 1991 bis 2015 die Einkommensschere zwischen wohlhabenden und armen Familien viel stärker auseinander entwickelt als bislang angenommen. Nach den Berechnungen der Forscher war 2015 etwa jedes achte Paar (13 Prozent) mit einem Kind armutsgefährdet, etwa jedes sechste Paar mit zwei Kindern (16 Prozent) und fast jedes fünfte (18 Prozent) mit drei Kindern. "Kinder sind leider ein Armutsrisiko in Deutschland", sagte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums sagte, die Studie gebe keinen Anlass, an der bisherigen Berechnung etwas zu ändern.

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