Bundesverfassungsgericht:Karlsruhe droht der Verlust des Gleichgewichts

Bundesverfassungsgericht verhandelt zu Tarifeinheitsgesetz

Michael Eichberger - ein CDU-naher Richter (dritter von links) - scheidet aus dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts aus, ein Grüner rückt ein. Klingt nach Routine, ist es aber nicht.

(Foto: Uli Deck/picture alliance/dpa)
  • Bislang herrscht im Bundesverfassungsgericht eine gewisse politische Ausgewogenheit.
  • Dieses Gleichgewicht droht nun zu kippen, weil einem CDU-nahen Richter ein Kandidat der Grünen folgen soll.
  • Die Partei sollte schon 2016 zum Zuge kommen, ließ sich aber auf 2018 mit ihrer Nominierung vertrösten.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Eigentlich ist es nur eine Personalie. Die ist zwar bedeutend, erstens, weil Verfassungsrichter-Stellen immer wichtig sind, zweitens, weil es gilt, Michael Eichberger zu ersetzen, der im Ersten Senat zu den tragenden Säulen gehört. Aber das erklärt nicht die aufgeregte Atmosphäre, die in den letzten Wochen im Bundesverfassungsgericht herrschte. Als der Name für Eichbergers Nachfolge bekannt wurde, formierte sich eine ungewöhnlich deutliche Ablehnung. Und zwar deshalb, weil der neue Mann dem so sorgsam austarierten Gericht eine politische Unwucht zufügen könne.

Eichberger war ein Kandidat der CDU; als Nachfolger wird ein Kandidat der Grünen gehandelt, Claudio Nedden-Boeger, Richter am Bundesgerichtshof. Anders ausgedrückt: Ein Schwarzer scheidet aus, ein Grüner rückt ein.

Um zu verstehen, warum das ein Problem sein soll, muss man den komplexen Mechanismus der Richterkür kennen. Gewählt werden die sechzehn wichtigsten Richter der Republik je zur Hälfte von Bundesrat und Bundestag, und zwar mit Zweidrittelmehrheit. Weil damit eine Partei nicht ohne die andere kann, haben Union und SPD sich wechselseitig das Vorschlagsrecht für jeweils acht Posten eingeräumt. Gelegentlich fiel dabei auch ein Posten für die kleineren Parteien ab; auf dem FDP-Ticket wurde zuletzt Andreas Paulus nach Karlsruhe geschickt, die Grünen haben für die Wahl von Susanne Baer gesorgt.

Man darf die Richter zwar nicht als Parteigänger verstehen, viele haben gar kein Parteibuch, und nicht wenige haben ein Eigenleben entwickelt und "ihrer" Partei mehr Ärger als Freude bereitet. Aber das Zweidrittelquorum sorgte für so etwas wie Symmetrie in den beiden Senaten, was zu einer oftmals abwägenden, kompromissgeneigten Rechtsprechung führt. Kurzum: Das Gericht segelt, von gelegentlichen Zickzack-Manövern abgesehen, in der Mitte. Und die Deutschen, die den Konsens lieben, belohnen das mit schwindelerregenden Zustimmungswerten.

Die Grünen wollten schon 2016 zum Zuge kommen, ließen sich dann aber auf 2018 vertrösten

Weil aber die bequeme Übersichtlichkeit des Rechts-links-Schemas inzwischen einer vielfältiger werdenden Parteienlandschaft gewichen ist, haben die Grünen ihren Anspruch angemeldet, und zwar aus eigenem Recht: Mit neun Regierungsbeteiligungen in den Ländern haben sie die Macht, jeden Bundesrats-Kandidaten zu blockieren. Sie wollten eigentlich schon 2016 zum Zuge kommen, ließen sich dann aber auf 2018 vertrösten. Eigentlich sollte die Personalie auf der letzten Ministerpräsidentenkonferenz wasserdicht gemacht werden.

Nun wurde sie auf die nächste Sitzung vertagt, und das soll auch mit den Bedenken aus Karlsruhe zu tun haben. Die Grünen, namentlich Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, wollen aber an ihrem Vorschlag festhalten, ist aus Teilnehmerkreisen zu hören. Dass die Grünen den Posten bekommen, sei ihnen beim jüngsten Treffen von den Unions- wie auch von den SPD-regierten Ländern zugesagt worden. Sich erneut vertrösten zu lassen, dieses Mal auf 2020, komme nicht infrage.

Dabei hat eigentlich niemand etwas gegen die Person, oder besser gesagt: Keiner kennt Nedden-Boeger wirklich, man weiß nur, dass er als Mitglied des zwölften BGH-Zivilsenats ein guter Mann fürs Familienrecht wäre. Die Bedenken gelten vielmehr der Balance: Wenn ein Grüner in den Ersten Senat einrücke, dann werde daraus ein irgendwie linker Senat. Tatsächlich stünden dann zwei CDU-Richtern drei von der SPD und zwei von den Grünen nominierte Juristen gegenüber; hinzu kommt ein FDP-Mann, den man nicht wirklich zum konservativen Lager zählen kann. Ein politisch einseitiger Senat könne aber das Vertrauen in die Überparteilichkeit des Gerichts gefährden, sein bei Weitem wichtigstes Kapital. Das ist übrigens gerade auch von Richtern zu hören, die dem rot-grünen Spektrum zuzurechnen sind.

Sind die Bedenken aus Karlsruhe berechtigt? Oder sind die hohen Richter da etwas überempfindlich? Richtig ist jedenfalls, dass das Gericht viel fragiler ist, als man gemeinhin glaubt. Seine machtvolle Position speist sich aus dem großen Vertrauen, das es in der Bevölkerung genießt. Und die Formel für dieses Vertrauen lautet nun mal: je parteiferner die Institution, desto höher die Wertschätzung.

Andererseits zeugt der Vorstoß der Grünen von einem veränderten politischen Spektrum. Die Wirklichkeit in den Parlamenten wandelt sich, und dies schlägt auf die Zusammensetzung des Gerichts durch - legitimerweise, muss man sagen. Denn wenn die Richter von der Politik gewählt werden - und wer sonst könnte sie wählen -, lässt sich der politische Farbenwechsel nicht aus den Personalfragen heraushalten. Letztlich ist die Diskussion um den grünen Kandidaten also eine allergische Reaktion auf eine Zeitenwende - auf das Ende der schwarz-roten Polarität. Kaum auszudenken, was geschieht, wenn irgendwann Linke und AfD solche Ansprüche anmelden.

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