SPD:Das Prinzip Selbsttäuschung

Die SPD hat stets zu viel von ihren Vorsitzenden erwartet - Euphorie und Ärger liegen da dicht beieinander. Die Kritik der Basis an der SPD-Spitze ist berechtigt, der Generalverdacht aber nicht.

Kommentar von Nico Fried

Zu den Kompetenzen der SPD gehört es, in kürzester Zeit zwischen gegensätzlichen Welten zu schwanken. Die Sozialdemokraten haben das Land in 16 der vergangenen 20 Jahre mitregiert und oftmals erfolgreich reformiert - aber unter nichts glauben sie mehr zu leiden als unter dieser Regierungsbeteiligung. Sie haben es fertiggebracht, die eigene Zustimmung zu Martin Schulz binnen eines Jahres von 100 Prozent auf nahe null abzuschmelzen. Und nun droht noch das Selbstbewusstsein angesichts der Tatsache, dass die SPD den Weg in eine mögliche große Koalition mit zwei Parteitagen und einer Mitgliederbefragung vorbildlich basisdemokratisch planiert hat, dem Generalverdacht zu weichen, dass da eine Clique in Berlin nur ihre Machtspiele zu Lasten der Partei veranstaltet.

Das Misstrauen unter Sozialdemokraten sitzt tief. Und richtig ist: Große Teile des Spitzenpersonals haben dieses Misstrauen jahrelang vorgelebt. Unaufrichtigkeit, Heuchelei und gelegentlich auch die Intrige gehörten zum Umgang in der SPD wie die Willy-Brandt-Statue im Foyer der Parteizentrale. Die verpuffte Freundschaft zwischen Sigmar Gabriel und Martin Schulz ist keine Ausnahme, sondern nur eine öffentlich gewordene Variante zahlloser Rivalitäten in der SPD-Spitze.

Natürlich gibt es das in allen Parteien und bei anderen bisweilen auch brutaler. Aber nur in der SPD scheint der Zersetzungsprozess so kontinuierlich zu sein, so unaufhaltsam wie bei einer radioaktiven Substanz. Es ist kein Zufall, dass die Begrüßung ehemaliger Vorsitzender auf einem SPD-Parteitag bald fast so lange dauert wie das Totengedenken der CDU.

Die Partei hat stets zu viel von ihren Chefs erwartet

Martin Schulz ist jetzt auch einer von den Ehemaligen, erfolglos, konsterniert. Aber bei allen Fehlern, die er aneinandergereiht hat: Die Partei und auch ihre restliche Führung machen es sich zu leicht, wenn sie die Verantwortung immer nur auf den Vorsitzenden schieben. So war es schon bei Sigmar Gabriel, so war es bei Kurt Beck, so war es bei Matthias Platzeck, der dem Druck sogar gesundheitlich Tribut zollte. Alle wurden sie erst bejubelt und sind später gescheitert. Der Fall Schulz zeigt besonders drastisch, dass die Euphorie des Anfangs ihre Wurzel in derselben Irrationalität hat wie der Ärger am Ende. Die Partei hat stets zu viel von ihren Chefs erwartet. Die anschwellende Aggression gegen den Vorsitzenden ist deshalb immer auch der Versuch, die Erkenntnis einer neuerlichen Selbsttäuschung zu bemänteln.

Andrea Nahles hat es in dieser Hinsicht gut. Ihr Start ist kaum umjubelt. Dass sie nun nicht kommissarisch die Partei führen soll, sondern Olaf Scholz, zeigt zudem, dass die SPD transparent organisiert ist. Es gibt keinen Hinterzimmerbeschluss, der nicht von demokratisch legitimierten Gremien abgesegnet werden muss. Auch deshalb sollte es die Basis mit dem Misstrauen nicht übertreiben.

Außerdem gibt es, wie die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange mit ihrer Bewerbung um den Vorsitz beweist, kein Mitglied, das nicht die Möglichkeit hätte, sich einer Wahl zu stellen. So sehr die Parteispitze die Ursache für die verfahrene Lage als Erstes bei sich selbst suchen muss, so sehr sollte auch die No-Groko-Kampagne darauf achten, auf der Suche nach immer neuen Angriffspunkten nicht Teil einer destruktiven Kraft zu werden, die am Ende in der SPD womöglich viel mehr zunichte macht als nur eine weitere Regierungsbeteiligung.

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