Deniz Yücel:"Wer das für Terrorpropaganda hält, der kann nicht lesen"

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Demonstration für Deniz Yücel vor dem Bundeskanzleramt im vergangenem September. (Foto: dpa; Bearbeitung SZ)

Der Journalist Deniz Yücel ist seit mehr als 365 Tagen in türkischer Haft. Nun erscheint sein neues Buch. Die Herausgeberin erzählt, wie man mit einem Mann im Hochsicherheitsgefängnis kommuniziert.

Interview von Luise Checchin

"Wir sind ja nicht zum Spaß hier" heißt Deniz Yücels Buch, das er aus der Haft heraus veröffentlicht (Edition Nautilus, 224 Seiten, 16 Euro). Es umfasst Texte, die er im Gefängnis geschrieben hat, aber auch Artikel aus seiner Zeit als Journalist bei der Jungle World, der taz und der Welt. Doris Akrap, taz-Redakteurin und langjährige Freundin Yücels, hat das Buch herausgegeben. Sie ist Mitinitiatorin des Freundeskreises "Free Deniz", der sich seit einem Jahr mit zahlreichen Aktionen für die Freilassung Yücels einsetzt.

SZ: Frau Akrap, wissen Sie, wie es Deniz Yücel derzeit geht?

Doris Akrap: Genau weiß ich es nicht, weil ich ihn ja nicht sehen und auch nicht sprechen kann. Aber seine Anwälte und seine Ehefrau, die ihn regelmäßig besuchen dürfen, sagen immer: Es geht ihm den Umständen entsprechend gut.

Wie muss man sich das vorstellen: ein Buch planen mit einem Autor, der in einem Hochsicherheitsgefängnis sitzt?

Sehr nervenaufreibend und anstrengend. Und mitunter auch ziemlich komisch. Es ist ja keine wirkliche Kommunikation möglich gewesen. Die Textauswahl, die Überschriften, das Inhaltsverzeichnis: All diese Fragen konnte ich mit Deniz nur über seine Anwälte diskutieren. Ich habe Mails geschrieben, diese Mails nahmen die Anwälte zu ihren Besuchen mit. Deniz hat das dann gelesen und anschließend darauf geantwortet. Aber auch das dauerte immer mehrere Tage, denn die Anwälte können Deniz nicht jeden Tag besuchen. Das Gefängnis Silivri, wo er untergebracht ist, liegt immerhin zwei bis drei Stunden von Istanbul entfernt.

Und was waren die komischen Aspekte bei der Arbeit?

Deniz ist ein großer Pedant, sowohl inhaltlich als auch formal. Das ist natürlich einerseits toll, das macht ihn zu einem guten Autor. Aber diese Pedanterie hat mich zuweilen auch in den Wahnsinn getrieben. Gegen Ende der Produktion, als immer noch sehr viel zu tun war, bat er mich etwa, das gesamte Buch noch einmal nach den türkischen Sonderzeichen durchzugucken, die ja im deutschen Alphabet nicht vorhanden sind. Also der Punkt auf dem großen i im Wort "Istanbul" zum Beispiel. Den musste ich dann überall händisch ersetzen. Da hätte ich schon mehrmals gerne meinen Laptop an die Wand geschmissen.

Viele der Texte, auch die, die im Gefängnis entstanden sind, durchzieht eine große Leichtigkeit. Die wirkt mitunter wie eine Selbstbehauptungsstrategie.

Er hatte diesen Humor ja schon immer. Aber dass er ihn sich bewahrt hat, ist sicherlich ein Zeichen dafür, dass er an der Art, wie er bisher die Welt betrachtet hat, festhält. Und das ist auch das, was mich so beruhigt.

Zwei Texte im Buch gehören zu den Artikeln, die der Türkei als angebliche Beweise für ihre Vorwürfe der "Terrorpropaganda" und "Volksverhetzung" dienen: ein Interview mit dem Vizechef der PKK und eine Reportage über den Machtausbau Erdogans. Unterscheiden sich diese Texte in irgendeiner Form von den anderen, die Yücel als Türkeikorrespondent der Welt geschrieben hat?

Überhaupt nicht. Ich glaube, dass das, was man Deniz zur Last legt, relativ willkürlich ausgewählt worden ist. Nehmen wir das Interview: Darin stellt Deniz sehr kritische Fragen. Er konfrontiert diesen PKK-Anführer damit, dass es bei der PKK interne Hinrichtungen gab, und bringt ihn auch dazu, das zuzugeben. Wer das für Terrorpropaganda hält, der kann nicht lesen. Für dieses Interview würde man in anderen Ländern Journalistenpreise kriegen. In der Türkei kriegt man dafür Gefängnis.

Doris Akrap, taz-Redakteurin und seit vielen Jahren mit Deniz Yücel befreundet, kämpft seit einem Jahr für dessen Freilassung aus türkischer Haft. (Foto: privat)

Im vergangenen Mai haben Sie Angela Merkel in einem offenen Brief aufgefordert, mehr Druck auf die Türkei auszuüben. Haben Sie eine Antwort erhalten?

Nein, nie. Weder von ihr noch von irgendeinem Mitarbeiter des Kanzleramts.

Was würden Sie Merkel heute sagen wollen?

Immer noch dasselbe, was ich schon das ganze vergangene Jahr über gesagt habe. Dass ich hoffe und davon ausgehe, dass sie alles tut, was in ihrer Macht steht, ihn da rauszuholen. Natürlich ist mir auch bewusst, dass selbst eine deutsche Bundesregierung nicht allzu viel ausrichten kann. Aber sie könnte Druck aufbauen. Ich habe in meinem Brief ja eingefordert, dass man über wirtschaftliche Maßnahmen nachdenken sollte. Danach hat die Bundesregierung verkündet, dass Wirtschaftshilfen überprüft würden, dass Rüstungsgeschäfte auf Eis lägen. Das kann ich nicht wirklich überprüfen.

Wie wird sich Yücels Fall Ihrer Meinung nach entwickeln?

Das weiß wirklich niemand. Was man sagen kann, ist, dass die Beschwerde von Deniz vor dem europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg letztes Jahr angenommen worden ist und zwar sehr schnell. Das Gericht hat angekündigt, bis Ende Juni ein Urteil zu fällen. Wie sich die türkischen Behörden dann verhalten, ob sie ein Urteil befolgen, das - wovon ich ausgehe - positiv für Deniz ausfällt und anordnet, ihn freizulassen, ist nicht abzusehen. Aber darauf liegt zurzeit meine Hoffnung. Ansonsten hoffe ich, dass von türkischer Seite wenigstens bald eine Anklageschrift vorgelegt wird und es zu einem Prozess kommen kann.

Sie setzen sich nun seit einem Jahr für die Freilassung Deniz Yücels ein. Was haben die vergangenen Monate mit Ihnen gemacht?

Deniz schreibt in einem Text, dass er die Tage rückwärts zählt: Jeder Tag im Gefängnis ist einer weniger, der ihn von seiner Frau Dilek trennt. Ein bisschen so denke ich auch: Wieder ein Tag weniger, an dem ich mich in Chatgruppen und E-Mails mit Freunden und Kollegen darüber unterhalten muss, wer jetzt eigentlich was beim Autokorso macht und was für Herzballons wir aufblasen. Wir werden alle sehr froh sein, wenn das vorbei ist. Aber "vorbei sein", das ist natürlich so eine Sache. Selbst, wenn Deniz morgen aus dem Gefängnis kommen würde, wäre die Sache an sich nicht vorbei. Denn Deniz ist ja nur einer von Tausenden von Menschen, die aufgrund von absurden Vorwürfen in der Türkei im Gefängnis sitzen.

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