Italien:Wahl im Land der Verwirrten

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Berlusconi (hier bei einem Fernsehauftritt am Donnerstag in Rom) tritt wieder mal an. Skeptisch schaut der frühere Premierminister Matteo Renzi auf einem Bild im Hintergrund. (Foto: AP)

Die Folgen der Wirtschaftskrise wirken in Italien verheerend nach. Das Vertrauen in die Politik tendiert gegen null. Das könnte nun einem ganz alten Bekannten nutzen - Silvio Berlusconi.

Kommentar von Oliver Meiler

In den italienischen Kinos läuft in diesen Wochen vor den Wahlen ein Film, der dem Land auf kluge und auch krude Weise den Spiegel vorhält. Er heißt "Made in Italy", wie die Etiketten auf all den schönen und köstlichen Dingen, die hier im Land hergestellt werden. Gemacht hat ihn Luciano Ligabue, der Liedermacher und Rocker aus der Emilia. Der Film ist ein Blockbuster. Er erzählt die Folgen der Wirtschaftskrise und verwebt sie mit dem Schicksal eines Angestellten einer Wurstfabrik im Norden. Der verliert nicht nur seinen Job, sondern auch eine Menge Gewissheiten und verinnerlichter Mythen. Sein müdes Gesicht spricht Bände der Entzauberung. Die italienische Leichtigkeit: weggefegt.

Am 4. März wählen die Italiener ein neues Parlament. Und obschon die Wirtschaft nach zehn Jahren wieder wächst, die Exporte anziehen und der Konsum steigt, liegt noch immer schwere Nüchternheit auf dem Land. Denn der neue Elan erreicht bei Weitem nicht alle. Unter den Jungen sind noch immer 36 Prozent arbeitslos. Die sozialen Ungleichheiten sind in der Krise größer geworden, und mit ihnen die Abstiegsängste der Mittelklasse. Diese Ängste nähren diffuse Ressentiments, auch gegen Zuwanderer. Von der Politik sind die Italiener nachhaltig enttäuscht, wie eine Studie zeigt. Nur fünf Prozent vertrauen den Parteien. Oder anders: Spektakuläre 95 Prozent misstrauen ihnen.

Der Rechten fehlen 600 000 Stimmen

In dieser Stimmung wählen die Italiener. Besonders stark trifft der Verdruss die Sozialdemokraten, die Italien in der letzten Phase der "verlorenen Dekade" regiert haben. Sie leiden an einem ähnlichen Syndrom wie die Sozialdemokraten in Deutschland und Frankreich: Der dritte Weg kommt vielen linken Wählern wie ein Abweg vor, weil er ihnen zu viel Liberalismus ins Soziale mischt, zu viel Nähe zu den Unternehmen und den Banken. Zu viel Realismus.

Doch Italien brauchte gerade davon einiges. Der sozialdemokratische Partito Democratico hat in der vergangenen Legislaturperiode viel reformiert. Nicht alles war gut, aber fast alles gut gemeint. Manche Minister gehören deshalb zu den populärsten Politikern im Land. Der beliebteste ist Premier Paolo Gentiloni. Dennoch droht den Sozialdemokraten eine krachende Niederlage, vielleicht sogar von historischem Ausmaß. Klingt paradox, spiegelt aber die Verwirrung des Moments. Natürlich leidet die Partei auch daran, dass ihr eben erst der linke Flügel abgefallen ist. Das kostet sie sechs Prozent der Stimmen.

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Aber nicht nur die Linke ist in Wallung, sondern die gesamte italienische Politik. Prognosen mag niemand erstellen. Das liegt auch daran, dass ein neues, kompliziertes Wahlgesetz erstmals zur Anwendung kommt. Legt man die Umfragen aller Institute übereinander, lassen sich aber einige Tendenzen erkennen.

Von den drei großen Blöcken im Wettbewerb hat nur das rechtsbürgerliche Bündnis um Silvio Berlusconi überhaupt eine kleine Chance, in beiden Parlamentskammern eine Mehrheit zu gewinnen. 40 Prozent der Stimmen sind dafür mindestens nötig. Davon sind die liberale Forza Italia, die rechtsextreme Lega, die postfaschistischen Fratelli d' Italia und ihre christdemokratischen Freunde laut jüngsten Umfragen zusammen drei bis vier Prozentpunkte entfernt - es fehlen 600 000 Stimmen. Doch selbst wenn sie es schaffen sollten, heißt das noch nicht, dass sie auch gemeinsam regieren würden. Berlusconi beteuert zwar, die Hetze der Lega sei nur "Pyrotechnik", er werde die Alliierten schon zähmen. Doch eigentlich trennt sie fast alles: die Sicht auf Europa, die Rentenfrage, die Steuern, sogar die Integrationspolitik.

Verpasst die Rechte die Mehrheit, könnte Berlusconi versuchen, seinen wahren Traum zu verwirklichen und an einer großen Koalition aller europafreundlichen Moderaten mitzubauen, linken wie rechten. Fragt sich nur, ob die Mitte wirklich groß genug wäre, das Land zu tragen. Das Szenario der sogenannten "Larghe intese" (wörtlich: der breiten Einverständnisse) gefällt Brüssel und Berlin am besten. Und den Finanzmärkten. Es steht für Stabilität, obschon Berlusconi, 81 Jahre alt, darin eine zentrale Rolle spielen würde. Natürlich ist das skurril.

Allerdings gibt es eine Alternative, die hochgradig giftig wäre: eine Allianz von Cinque Stelle und Lega, von Wutbürgertum und Rechtspopulismus. Anti-Alles. Arithmetisch wäre ein solches Bündnis wohl mehrheitsfähig. Die Fünf Sterne haben bisher nie mit anderen koaliert. Nun öffnen sie sich, auch zur Lega. Es wäre eine Katastrophe - "Made in Italy". Zum Glück ist sie sehr unwahrscheinlich.

© SZ vom 15.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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