Kino:Werden Filme nach "Me too" anders aussehen?

Kino: Bernardo Bertolucci, Marlon Brando und Maria Schneider beim Dreh von "Der letzte Tango".

Bernardo Bertolucci, Marlon Brando und Maria Schneider beim Dreh von "Der letzte Tango".

(Foto: AP )

Vielleicht muss sich das Kino tatsächlich etwas Neues einfallen lassen. Aber den Tatbestand der Zensur, den Kritiker der Debatte gerade wittern, erfüllt das nicht.

Von Susan Vahabzadeh

Wir leben in einer Konsensgesellschaft, in der es kaum noch jemand aushält, eine gegenteilige Meinung einfach mal stehen zu lassen. Das wird sichtbar, wenn Frauen verlangen, Matt Damon wegen einer absolut vernünftigen Anmerkung zum Unterschied zwischen Belästigung und Vergewaltigung aus dem Film "Ocean's 8" herausschneiden zu lassen. Es haben sich allerdings nur 28 000 Leute diesem Ansinnen anschließen mögen - weltweit. Alle, die "Me Too" mittragen, müssen sich hingegen vorwerfen lassen, sie zögen in den Krieg gegen die Freiheit der Kunst. Am Rand von "Me Too" mag es Mimosen geben, die die Welt sogar rückwirkend umgestalten wollen - die Künstlerseelen sind mindestens genauso empfindlich, und neuerdings auch lauter.

Ist das Kino in Gefahr, nur weil die Branchenverbände jetzt eine Beschwerdestelle für Opfer sexueller Belästigung einrichten wollen? Werden die Filme anders aussehen nach "Me Too?" Das befürchtet der Regisseur Michael Haneke ("Das weiße Band").

Er gab dem Kurier vor ein paar Tagen ein Interview - er habe Angst, sagt er da, wir befänden uns auf dem Weg zurück ins Mittelalter: "Verdächtigte Schauspieler werden aus Filmen und Serien herausgeschnitten, um keine Besucherzahlen einzubüßen. Vor diesem Feldzug gegen jede Form von Erotik bekommt man es als Künstler mit der Angst zu tun." Und weiter: "Was mich aber an der jetzigen Debatte stört, ist die völlig unreflektierte Gehässigkeit, die blinde Wut, die sich nicht an Fakten orientiert und vorverurteilend das Leben von Menschen zerstört, deren Straftat in vielen Fällen noch gar nicht erwiesen ist."

Um sich an Fakten zu orientieren: Es wurden nicht "verdächtigte Schauspieler" aus Filmen herausgeschnitten, sondern bislang nur einer, Kevin Spacey, dem von mehr als dreißig Männern vorgeworfen wird, er habe sie belästigt. Die Vorwürfe waren zumindest glaubwürdig genug für die britische Polizei, die in drei Fällen ermittelt. Mit der Freiheit der Kunst hat das wenig zu tun, die britische Polizei interessiert sich nur für Straftaten. Es geht dabei ganz und gar nicht um den Inhalt von Kevin Spaceys Arbeit - zur Debatte steht ausschließlich seine Person. Es gibt also gar keinen Grund, den Untergang der abendländischen Kultur herandämmern zu sehen wegen "Me Too" - es sei denn, man möchte mit dem Verweis auf ein paar Auswüchse, die den deutschen Sprachraum gar nicht betreffen, gerne eine längst fällige Debatte ersticken.

Jede Frau, auch eine Schauspielerin, kann verlangen, unbelästigt ihrer Arbeit nachzugehen

Man kann ja durchaus darüber streiten, ob die Reflexe, die bestimmte Filme und Serien im Moment mit einem Bann belegen, wirklich zielführend sind. Der angewiderte "House of Cards"-Fan, der nun wegen Spacey die letzte Staffel gar nicht mehr sehen und die anderen nicht wiedersehen mag, straft auch 200 unschuldige Künstler mit Nichtachtung - unter anderem Robin Wright, die in der Serie Spaceys Frau spielt und nun für die letzten Folgen ins Zentrum gerückt wurde. Wright hat nichts getan, und sie sollte tatsächlich an ihrer Arbeit gemessen werden und nicht an den Verfehlungen ihres Co-Stars. Es hat ja am Set nicht nur ein männlicher Star oder Regisseur, der seine Macht missbraucht, ein Recht auf künstlerische Entfaltung.

Überhaupt kommt in der neu entfachten Angst um die künstlerische Freiheit die künstlerische Freiheit der beteiligten Frauen, oder auch der von Spacey belästigten Schauspieler, ein wenig zu kurz. Auch eine Schauspielerin ist Künstlerin und kann verlangen, dass sie unbelästigt ihrer Arbeit nachgehen kann. Es geht hier gerade sehr viel durcheinander, was Freiheiten und Zensur betrifft: Wer wird zensiert, und wer ist der Freiheitskämpfer? Wem wird das Wort abgeschnitten?

Vielleicht wird sich das Kino einfach etwas Neues einfallen lassen müssen. Das ist normal.

Die Diskussion hat nur begonnen, weil sehr, sehr viele Frauen auf der Welt den Skandal um den Filmproduzenten Harvey Weinstein zum Anlass nahmen, endlich mal den Mund aufzumachen. Es mutet seltsam an, wenn sie nun wieder schweigen sollen - weil behauptet wird, ihre Äußerungen würden automatisch die Äußerungen eines Künstlers beschneiden. Der seinerseits eben nicht verlangen kann, dass alle anderen den Mund halten müssen, weil sonst seine Genialität behindert wird. Dass zur Freiheit, die das Genie braucht, um sich zu entfalten, keine strafbaren Handlungen gehören, versteht sich wohl von selbst, und dass irgendwann mal jemand damit durchgekommen ist, kann nicht der Maßstab für die Gegenwart sein oder gar für die Zukunft.

Manchmal beenden Skandale die Karriere, seit es das Kino gibt, schon zur Stummfilmzeit, man lese nur Kenneth Angers "Hollywood Babylon". Es ist aber müßig, sich mit den Vergehen der Toten zu befassen - ganz besonders dann, wenn ihre Filme gar nicht reflektieren, wie sie als Menschen gewesen sind. Interessanter ist da schon, wie mit den Lebenden verfahren wird. In Hollywood geht es gerade rabiat zu beim Thema "Me Too". Weil es in ganz Amerika rabiat zugeht - die extremen Positionen in der "Me Too"-Debatte beziehen sich nicht aufs Kino, sondern auf den Kampf um die Zustimmung der Frauen bei den Kongresswahlen im Herbst. Daraus ergeben sich die neuen, hohen Standards in Hollywood, die über Belästigung längst hinausgehen. Quentin Tarantino muss seine Hauptdarstellerinnen nicht in Gefahr bringen, um seine Filme zu machen - und es wird derzeit auch nicht mehr von ihm erwartet, als dass er das in Zukunft unterlässt.

Ob nun widerwärtige Menschen bessere Filme machen, wie immer wieder in den Diskussionen um die Abgründe der Genies behauptet wird - das lässt sich schwer sagen. Fassbinder hat sein Team gern gequält, und vielleicht brauchte er das, um die Qualen seiner Figuren zu beschreiben. Haneke, selbst genial im Ausleuchten düsterer Abgründe, hat im Kurier-Interview erklärt, ihm persönlich falle bei "aggressiver Stimmung nichts ein". Soll es eben auch geben. Ist Steven Spielberg ein mittelmäßiger Filmemacher, weil er dem Vernehmen nach ein netter Limotrinker ist? Man kann, vor allem, wenn man vor Hanekes Arbeit den größten Respekt hat, behaupten: Genie ist keine Ausgeburt der Aggression.

Man darf sich nicht einreden lassen, Szenen der Erniedrigung seien automatisch Kunst

Was nun die Furcht um die Erotik angeht: Das Kino hat sich längst verändert. Im Jahr 2000 machte der Regisseur Tarsem Singh den von meist männlichen Kritikern hochgelobten Film "The Cell" - da sah man lauter bleiche Frauenleichen und in Traumsequenzen die junge Jennifer Lopez, mit Hundehalsband und angekettet. Solche Filme hat Hollywood auch vor "Me Too" nicht mehr produziert. "The Cell" hatte eigentlich außer ästhetisierten Tabubrüchen wenig zu bieten. Damals reichte das. Heute würden, anders als vor achtzehn Jahren, viele Frauen und manche Männer diesen Film einfach ablehnen, weil sie Frauen in Ketten nicht unterhaltsam finden. Was jemand als erotisch betrachtet, muss er oder sie schon selbst entscheiden dürfen - die Geschmäcker sind halt verschieden. Dass man sich nicht einreden lassen muss, Szenen der Erniedrigung seien automatisch Kunst , hat die französische Feministin Benoîte Groult schon vor vierzig Jahren geschrieben.

Vielleicht ist es einfach so, dass junge Zuschauer zum Tabubruch ein ganz anderes Verhältnis haben als die Generationen zuvor. Nehmen wir mal Bernardo Bertoluccis "Der letzte Tango in Paris": Der war 1972 skandalös. Aber könnte dieser Film wirklich noch ein Publikum aufregen, das schon im Teenageralter Pornos en masse im Internet gesehen hat? Oder, darüber hinaus: Als es noch kein Pornhub gab, etwa zur Jahrtausendwende, ging das amerikanische Independent-Kino an die Grenzen zur Pornografie, mit Larry Clarks "Ken Park" (2002) etwa, das europäische Kino experimentierte sogar mit Pornodarstellern - so machten es Leos Carax und Catherine Breillat. Viele Tabus sind dem Kino nicht mehr zu brechen geblieben, weder was die Darstellung von Gewalt angeht noch was explizite Sexszenen betrifft.

Vielleicht wird sich das Kino einfach etwas Neues einfallen lassen müssen. Das ist normal. Die 68er haben sich auch nicht vorschreiben lassen, dass sie alle Heinz-Rühmann-Fans werden müssen, nur weil der ihren Eltern gut gefallen hat. Um es mal an einem anderen Beispiel zu verdeutlichen, bei dem keiner aufschreien kann, da ginge es doch aber auch um Gegenstände, die auf den Schrotthaufen der Geschichte gehören: William Faulkner gilt, schon wegen "Schall und Wahn", als einer der wichtigsten amerikanischen Schriftsteller, und er wurde lange nach seinem Tod 1962 noch gelesen. Inzwischen scheint er in Vergessenheit zu geraten - vielleicht gerade wegen seiner Stärke, weil er von der Zeit der Rassentrennung in den USA erzählte wie keiner seiner Zeitgenossen. Es ist unendlich schade, wenn kaum noch jemand "Als ich im Sterben lag" liest - aber das Nichtlesen erfüllt noch nicht den Tatbestand der Zensur.

Wenn heute jemand einen Film macht, dessen weibliche Figuren oder Handlung weiblichen, manchmal auch männlichen Zuschauern nicht passt, wird er damit leben müssen, dass diese Zuschauer auf den Erwerb einer Kinokarte für seine Filme verzichten. Das ist keine Zensur, kein Kulturkampf. Da regelt der Markt, was der Zeitgeist verlangt.

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