Olympia:Ein Hoch auf Individualität im Leistungssport

Medal Ceremony - Winter Olympics Day 7

Die deutschen Rodel-Doppelsitzer zeigen ihre Medaillen.

(Foto: Getty Images)

Die hervorragende Bilanz der Deutschen bei Olympia zeigt, dass die geplante Leistungssportreform des DOSB Unsinn ist. Menschen werden nicht stärker oder schneller, nur weil man sie in Förderklassen einteilt.

Kommentar von Volker Kreisl

Was war nur am Freitag los? Gar keine Medaille! Dabei war die Maschine gerade in Schwung gekommen und das Publikum dieser Winterspiele auf seine Kosten. Die Erfolgsmeldungen aus Pyeongchang rissen nicht ab, zuverlässig kam jeden Tag mindestens einmal Gold aufs Konto, dazu diverse Stücke Silber und Bronze.

Aber am Freitag war nur Pause, es war ohnehin kein Tag für deutsche Favoriten, die hervorragende Bilanz (neunmal Gold, zweimal Silber, viermal Bronze) des Deutschen Olympischen Sportbundes bei diesen Winterspielen bleibt aktuell. Das sind kühle Statistiken; was die Planer des DOSB tiefer zufriedenstellte, war ein früh erreichtes, eher emotionales Ziel: Sotschi vergessen zu machen. Die Spiele vor vier Jahren waren in vielen Disziplinen misslungen, schon nach sechs Tagen übertraf nun die Mannschaft von 2018 das Ergebnis von 2014.

Solch blindes Medaillenzählen ist im Grunde falsch, unter anderem, weil es etwa die Leistung eines Fünftplatzierten außer Acht lässt und einen falschen Eindruck der wahren Verhältnisse in einer Disziplin erweckt. Diesmal ist die Bilanz der Wintersportmannschaft aber nützlich. Erstens, weil mancher Olympiasieg derart bewegend war, dass nun wohl etliche Schüler fragen, ob sie auch zum Skispringen, Eiskunstlaufen oder zur Nordischen Kombination dürfen. Zweitens, weil sie den Unsinn der geplanten deutschen Leistungssportreform widerlegt.

Der emotionale Sieg von Skispringer Andreas Wellinger war unter extremen Bedingungen nach Mitternacht zustande gekommen, mit ihrem Sprinterfolg hatte Biathletin Laura Dahlmeier eine außerordentliche Leistung am Schießstand vollbracht. Eric Frenzel, der nordisch kombinierende Fahnenträger, hatte pünktlich ein schweres Formtief überwunden. Und das Eiskunstlaufduo Savchenko/Massot war nach dem Kurzprogramm schon Vierter, kam dann aber mit einer derart ausdrucksstarken Kür zurück, dass der Rest eingeschüchtert Fehler machte und die beiden später vor Glück heulten. Diese Momente hinter der Medaille sind das Entscheidende, ähnlich wie die Geschichte hinter einer Niederlage. Insofern hat auch Felix Loch mit seinem finalen Patzer auf dem Weg zu fast sicherem Rodel-Gold Werbung gemacht für den Sport. Diesen Moment wollte ihm niemand wünschen, objektiv gesehen werden sich aber mehr Menschen an diesen einen Sonntag erinnern als an Lochs Goldmedaillen.

Der Erfolg fußt auf weichen Faktoren wie Geduld und Reife

Die Reformer im deutschen Sport sind zwar nicht für das Belohnen von Momenten zuständig, sie müssen objektive Leistungen voranbringen. Nur stellt sich die Frage, wie gut die Bilanz wäre, hätte man die neuen Reformmaßnahmen in aller Konsequenz zuvor auf die Sieger von Pyeongchang angewandt. Skispringer Wellinger hätte vor diesem Winter statt nach München an den Stützpunkt Oberstdorf ziehen müssen, weil das Konzept Konzentration vorsieht. Tatsächlich tue ihm die Großstadt gut, sagt er. Auch das Eislauf-Duo, der Gold-Fahnenträger und die Rekordbiathletin sind deshalb so gut, weil sie individuell arbeiten können.

Ski- und Kufensportler mögen weniger Konkurrenz haben als der große weite Sommersport, das Prinzip ist aber dasselbe. Es geht um Leistung. Dahinter stecken Menschen, und die werden nicht stärker oder schneller, nur weil man sie wie vom DOSB geplant in Förderklassen einteilt, den Schwächeren die Trainer streicht, sie zwingt umzuziehen und Einheitstrainingspläne zu befolgen, damit sie übertriebene Medaillenziele erfüllen.

Der aktuelle Erfolg des Wintersports fußt auf hartem, aber individuellem Training, exzellentem Material, und auch auf weichen Faktoren wie Geduld, Vertrauen, menschlicher Reife, Selbstbewusstsein und innerer Motivation. Dafür braucht es keine Reform. Die nackten Zahlen von Pyeongchang bestätigen es.

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