Borussia Mönchengladbach:Mit Rucksack auf der Baustelle

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Wo landet die Borussia? Thorgan Hazard (oben, hier im Duell mit Stuttgarts Timo Baumgartl) zählt zu jenen Gladbacher Profis, die viel mehr können, als sie im Moment zeigen.

(Foto: Bernd Feil/M.i.S./imago)

Alles in Gladbach wächst, nur der Fußball stagniert: Schon gibt es eine leise Debatte um Trainer Dieter Hecking. Sportdirektor Max Eberl überrascht mit der These, die Mannschaft müsse "besser verteidigen".

Von Ulrich Hartmann, Mönchengladbach

Wenn der Sportdirektor Max Eberl in seinem Büro über die Krise von Borussia Mönchengladbach grübelt, dann braucht er bloß aus dem Fenster zu schauen, um etwas Aufbauendes zu sehen. Gleich neben dem Stadion wächst ein Gebäude in die Höhe, das bald ein Museum, einen Fanshop und ein Hotel beherbergen wird. Der Neubau gilt dem Klub als Symbol des Wachstums. Die Bauarbeiter werkeln zuverlässig, alles ist im Plan.

Schwierigkeiten hat die Borussia momentan nur bei ihrer Kernkompetenz: dem Fußballspiel. Die Bundesliga-Mannschaft hat vier der jüngsten fünf Pflichtspiele verloren und zuletzt drei Niederlagen ohne eigenen Treffer erlitten. Gladbach ist nur noch Zehnter und droht die Europapokal-Qualifikation zu verpassen.

"Diese kleine Krise beeinträchtigt die Gesamtentwicklung des Vereins aber überhaupt nicht", beruhigt Eberl alle nervösen Fans. Seinen Humor hat der gebürtige Niederbayer auch noch nicht verloren. "Die Arbeit auf der Baustelle wird nicht gestoppt, und unsere Spieler werden dort auch nicht zum Mithelfen verdonnert."

Braucht die Borussia mehr Tore? Eberl überrascht mit der These, man müsse "besser verteidigen"

Mancher Skeptiker hielte das vielleicht für eine gute Idee. Womöglich könnten die Borussen zurzeit besser ein Haus aufbauen als ein erfolgreiches Spiel. Seit sie beim 2:1 gegen Bayern München Ende November eine ihrer besten Saisonleistungen zeigten, haben sie ein Mal Unentschieden gespielt, sieben Mal verloren und zwei Heimsiege gefeiert, bei denen die Fans aber enttäuscht pfiffen. Das hat Eberl deshalb wütend gemacht, weil er der Elf in Willensfragen nichts vorwirft. "Diese Mannschaft ist absolut sauber und in Ordnung", sagt er, "aber sie beschäftigt sich gerade sehr, sehr, sehr, sehr mit der Situation - das ist eigentlich schön, aber auch hinderlich."

Eberl sagt wirklich vier Mal "sehr", man kann daraus schließen, wie sensibel die mit vielen jungen Spielern besetzte Elf ist und wie sehr, sehr, sehr, sehr ihr die Erfolglosigkeit gerade zu schaffen macht.

Der Weltmeister Christoph Kramer ist mit 26 einer der Erfahreneren im Team und spielt zentral im Herzen des Systems. "Diese Krise" sei schwer zu erklären, sagt er, aber als er versucht, die komplexen Zusammenhänge in einen Satz zu packen, formuliert er es so: "Für unser Spiel brauchen wir den Ball und viel Mut - und wenn das nicht gelingt, dann leidet unser Spiel."

Dieses Leiden machte sich zuletzt bemerkbar in unsauberen Pässen und Ballannahmen, in schlechter Rückwärtsbewegung, unergiebigen Standards, mauen Zweikampfwerten und miserabler Chancenverwertung. Im sogenannten letzten Drittel des Feldes fehlt oft die Dynamik. Von ihren bislang 34 Torchancen in der Rückrunde haben die Gladbacher nur jede elfte genutzt. Zwei dieser drei Tore verhalfen zu einem 2:0-Sieg gegen Augsburg, das dritte konnte ein 1:2 in Köln nicht verhindern. Zuletzt gab es ein 0:2 in Frankfurt, ein 0:1 gegen Leipzig, ein 0:1 in Stuttgart.

"Wir kriegen es momentan nicht hin, vor dem Tor gefährlich zu werden", sagt der Stürmer Lars Stindl. Zum Confed-Cup-Triumph der deutschen Mannschaft im vergangenen Sommer hat er in vier Spielen drei Treffer beigesteuert und sogar das goldene Tor zum Finalsieg gegen Chile geschossen. Für Gladbach hat Stindl seit drei Monaten nicht mehr getroffen.

Sein bislang letztes Tor hat er beim 4:2-Sieg in Berlin erzielt, seine bislang letzte Torvorlage gab er im darauffolgenden Spiel beim 2:1 gegen Bayern. Mit diesem Spiel haben die Gladbacher sich selbst einen Maßstab gesetzt, den sie seither nicht mehr erfüllen konnten. Eberl wurmt das, und er scheut sich nicht, Gründe anzuführen, die auch auf ihn selbst als Kaderplaner zurückfallen. "Vielleicht fehlt uns die Qualität, so eine Leistung wie gegen Bayern München über Wochen zu bringen", sagt er, "vielleicht fehlen uns ein paar Spieler, die uns diese Qualität mehr bringen könnten." Genau das aber - konstant hohe Leistungen - erwartet das anspruchsvoll gewordene Umfeld von einem Klub, der sich in den vergangenen sechs Spielzeiten zwei Mal für die Europa League und zwei Mal für die Champions League qualifiziert hat. Eberl findet diesen Anspruch übertrieben.

Bei jedem Rückschlag ist man in Mönchengladbach schnell wieder beim Dauerthema: dem regelmäßigen Verlust der besten Spieler. Marc-André ter Stegen, Marco Reus, Max Kruse, Andreas Christensen, Granit Xhaka, Mahmoud Dahoud - Führungsrollen im Kader wurden dadurch immer wieder vakant. Von jungen Burschen wie Michael Cuisance oder Denis Zakaria ist Führung noch nicht zu erwarten; schlimmer für den Klub ist, dass erfahrene Profis wie Raffael, Stindl, Kramer, Patrick Herrmann oder Jannik Vestergaard die Elf in schwierigen Situationen kaum mitreißen.

Am Ende landen alle Fragen immer beim Trainer. Dieter Hecking hat die Elf vor 13 Monaten nahe der Abstiegszone vom Trainer André Schubert übernommen und zurück ins Mittelfeld geführt. Von 50 Pflichtspielen unter ihm hat Gladbach 22 gewonnen. Die drei jüngsten Partien lassen nun die erste Debatte entstehen, Zweifel, die man im Klub nicht teilen mag. Die Spieler stärken Hecking den Rücken, und Eberl verurteilt die Schnelligkeit, mit der mal wieder ein Trainer in Frage gestellt wird: "Es ist das erste Mal, dass Dieter Hecking hier drei Spiele am Stück verloren hat, er hat einen Plan und viel Erfahrung, er weiß genau, was zu tun ist."

Weil bereits seit dem vergangenen Sommer die Frage nach einer Verlängerung von Heckings bis 2019 gültigem Vertrag kursiert, muss Eberl jetzt aufpassen, dass sein Abwarten in dieser Angelegenheit nicht als Zweifel interpretiert wird. Aber er hat da einen festen Standpunkt: "Schon im vergangenen Sommer habe ich gesagt, dass wir nicht ohne einen verlängerten Vertrag in das letzte Vertragsjahr gehen werden" - und das beginnt nun mal erst im Juli. Unveränderter Sachstand ist also: "Wir spielen die Saison zu Ende, und im Sommer reden wir über den Vertrag." Dieses Prozedere habe nichts mit den jüngsten Ergebnissen zu tun. "Wir sind mit Dieter Heckings Arbeit sehr zufrieden", sagt Eberl.

Auch bei der Lösung der Ergebniskrise hat Eberl seinen eigenen Ansatz: "Wir müssen besser verteidigen." Diese These überrascht auf den ersten Blick, ergibt aber Sinn, wenn man sieht, dass nur vier Mannschaften in der Bundesliga mehr Gegentore haben als die Gladbacher. So brauchen die Fans am Sonntag im Spiel gegen Dortmund auch eher nicht mit Gladbacher Harakiri zu rechnen. "Um neues Selbstvertrauen zu entwickeln, könnte man meinen, wir müssten mehr Tore schießen", sagt Eberl, "aber dieser Ansatz ist gegen Dortmund gefährlich. Wenn man in der fünften Minute in einen Konter läuft, und es steht 0:1, wird der Rucksack noch schwerer."

Nicht mehr lange, dann können ermüdete Zuschauer aus dem Stadion über einen Flur hinübergehen ins Borussia-Hotel und sich in Borussia-Bettwäsche kuscheln. Soll niemand behaupten, die Borussia böte ihrer Kundschaft auch in schwierigen Zeiten nicht angenehme Alternativen.

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