Deutsch-türkisches Verhältnis:Gestern Feind, heute Freund

Deutsch-türkisches Verhältnis: Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan will nach Deutschland kommen.

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan will nach Deutschland kommen.

(Foto: AFP)

Ankara will nach der Freilassung des Journalisten Deniz Yücel schnell zu politischer Normalität übergehen. Doch solange Erdoğan Präsident ist, verbietet sich das.

Kommentar von Mike Szymanski

Es ist verstörend, mit welcher Selbstverständlichkeit Ankara nach der Freilassung des Welt-Journalisten Deniz Yücel aus türkischer Haft versucht, wieder zu business as usual überzugehen. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan will nach Deutschland kommen. Die Kanzlerin soll in die Türkei fliegen. Geht es nach dem Willen der Türken, hilft Deutschland demnächst beim Bau türkischer Panzer, bindet das Land stärker über die Zollunion ein und lockert die Visa-Vergabe. Gestern Feind, heute Freund. So schnell vergessen kann nur Erdoğan.

Es wird sich noch zeigen müssen, ob die Bundesregierung für Yücels Freilassung tatsächlich keine Deals eingegangen ist, wie sie behauptet. Die türkische Seite hat aber, das wird schon jetzt deutlich, klare Erwartungen. Berlin wird diese nur enttäuschen können. Sicher, die Freilassung Yücels ist ein diplomatischer Erfolg. Aber was ist davon zu halten, wenn es schon Grund zur Freude sein soll, dass Erdoğan Geiseln aus Deutschland freilässt? Nach Yücels Rückkehr verlagert sich allenfalls der Schmerzpunkt. Normalität im Verhältnis beider Länder wird es unter Erdoğan nicht mehr geben. Dafür ist in den vergangenen Jahren zu viel vorgefallen.

Fünf weitere Bundesbürger sitzen aus politischen Gründen in türkischer Haft

Jeder Tag von Yücels Haft war ein Tag des Unrechts, an dem Ankara Werte mit Füßen getreten hat, die Deutschland und der Westen hochzuhalten versuchen. Statt sich bei ihm und in Berlin zu entschuldigen, sieht es so aus, als werde die Regierung in Ankara Yücel auch für die Zukunft die Freiheit rauben zu reisen, wohin er will. Solange Erdoğan herrscht, wird Yücel wohl keinen Fuß mehr in die Türkei setzen können. Außerdem sitzen noch fünf weitere Bundesbürger aus politischen Gründen in türkischer Haft. Deshalb sind Worte des Dankes an die Türkei fehl am Platz. Im Miteinander der beiden Länder ist nichts geheilt, geschweige denn gut.

Kaum etwas illustriert dies so wie die Begegnung des Grünen-Politikers Cem Özdemir, eines ausgewiesenen Erdoğan-Gegners, mit der türkischen Delegation in einem Hotel während der Münchner Sicherheitskonferenz. Özdemir erhielt danach Polizeischutz, weil er sich von türkischer Seite bedroht fühlte. Dem deutsch-türkischen Verhältnis stehen zudem weitere Belastungsproben bevor. Mutmaßliche Drahtzieher des Putschversuchs im Juli 2016 sollen sich in Deutschland aufhalten. Berlin wird sie aber kaum einer türkischen Justiz überstellen können, die von Rache getrieben ist.

Erdoğan ist noch längst nicht am Ziel mit dem Umbau des Landes

Mit jedem Schritt der Annäherung an Ankara - und viele Türken wünschen sich den Weg aus der Isolation - läuft Deutschland zugleich Gefahr, eine Türkei zu unterstützen, die sich weiter von Europa entfernt. Erdoğan ist ja noch längst nicht am Ziel mit dem Umbau des Landes. Erst im nächsten Jahr - mit Präsidentschafts- und Parlamentswahl - wird die neue Präsidialverfassung vollkommen ins Werk gesetzt, die dann endgültig alle Macht in die Hände des Staatspräsidenten, also Erdoğans, legt.

Das willkürliche Vorgehen gegen Kritiker heute ist nur ein Vorgeschmack auf das, was erst möglich sein wird, wenn der Präsident sich bei den Wahlen durchsetzt. Für den Erfolg braucht er aber Deutschland und die EU, denn niemand sonst ist in der Lage, das Wohlstandsversprechen, das Erdoğan seinen Bürgern gegeben hat, auf lange Sicht einzulösen. Erdoğan benutzt Europa - das sollte jeder wissen, der ihm eine weitere Chance geben will.

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