Berlinale:Meisterleistung oder Terrorporno?

Szene aus dem Film "Utøya 22. Juli"

Die Erinnerung an das Geschehen wachhalten: Szene aus Erik Poopes Wettbewerbsbeitrag "Utøya 22. Juli".

(Foto: Festival)

Nach Erik Poppes aufwühlendem Film "Utøya 22. Juli" wirkt die Romy-Schneider-Hommage "3 Tage in Quiberon" fast wie Wellness.

Von David Steinitz

72 Minuten dauerte der Anschlag des Massenmörders Anders Breivik auf der norwegischen Insel Utøya, wo er 2011 ein Sommerzeltlager stürmte und 69 Menschen erschoss, darunter hauptsächlich Jugendliche. Kann man von diesem Nachmittag im Kino erzählen, als Spielfilm? Man muss, hat der norwegische Regisseur Erik Poppe am Montag in Berlin gesagt.

Der 57-Jährige hat auf der Berlinale seinen Film "Utøya 22. Juli" vorgestellt, der im offiziellen Wettbewerb um den Goldenen Bären läuft. "Worte können nicht beschreiben, was damals geschah", sagte der Filmemacher auf der Pressekonferenz vor der Premiere. "Ich glaube, ein Spielfilm ist die richtige Form, um die Erinnerung an das Geschehen wachzuhalten."

Unabhängig davon, ob man ihm zustimmt oder nicht, bei der Vorführung des Films herrschte eine gespenstische Stille im Publikum. Und das will etwas heißen, denn im Berlinale-Palast, der immerhin knapp zweitausend Zuschauer fasst, ist fast immer Rascheln, Husten und Taschenwühlen zu hören.

Nun aber: "Utøya 22. Juli". Erik Poppe, der früher ein gefragter Fotograf war und seit den Neunzigerjahren auch Filme dreht, wollte von diesem Tag allein aus der Perspektive der Opfer erzählen.

Dazu entschloss er sich nach langen Gesprächen mit den Überlebenden und den Angehörigen der Toten, die kritisieren, dass in der Berichterstattung der Täter im Mittelpunkt gestanden habe. Einige der Betroffenen haben den Film vorab zu sehen bekommen, unter psychologischer Betreuung.

"Eine Insel ist der sicherste Ort der Welt"

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Poppe hat zu den dramatischen Erlebnisberichten, die er und seine beiden Drehbuchautoren Siv Rajendram Eliassen und Anna Bache-Wiig zusammengetragen haben, eine fiktionale Hauptfigur erfunden, mit der die Zuschauer den Terror erleben. Die 19-jährige Kaja (Andrea Berntzen) ist gemeinsam mit ihrer kleinen Schwester ins Feriencamp der sozialdemokratischen Parteijugend gefahren, um ein paar heitere Sommertage zu verbringen.

Der Handyempfang auf der Insel ist schlecht, aber aus den Nachrichten hören die Jugendlichen zu Beginn des Films von einem Anschlag in Oslo. Da hatte Breivik gerade eine Autobombe vor dem Bürogebäude des Ministerpräsidenten gezündet, es war der Beginn seiner Mordserie.

Nervöse Anrufe der Jugendlichen folgten, die bislang durch das bunte Meer aus Zelten über die Insel tobten. Sie erkundigen sich, ob die Eltern in Sicherheit sind, freuen sich, fernab der Hauptstadt zu sein. "Eine Insel ist der sicherste Ort der Welt", sagt Kaja, während sie sich eine Waffel mit Marmelade holt. Dann rennen plötzlich schreiende Teenager an ihr vorbei.

Panik über die Tonspur

Was folgt, ist eine 72-minütige Einstellung - laut Filmemachern am Stück gedreht - voller Terror und Todesangst. Kaja flieht mit einigen Freunden in einen Aufenthaltsraum, bald fallen am Hintereingang Schüsse. Die Jugendlichen rennen in den Wald, drücken sich in den Schlamm, blinzeln durch die Äste und das Gebüsch hindurch in Richtung Lager, können nichts erkennen. Während die Gruppe in Panik Richtung See stürmt, schleicht sich Kaja zurück zum Zeltlager, um ihre Schwester zu suchen. Sie findet Tote, Verletzte.

Die Schüsse kommen näher, ihr Lärm ist atemberaubend. Einen Großteil der Panik beschwört der Regisseur über die Tonspur herauf. Der Film ist ein absoluter Stresstest, keine Totale, die einen erleichternden Überblick über das Geschehen verschafft. Der Zuschauer wird in den Schlamm, unter das Gebüsch geworfen. Nur einmal, ein paar Sekunden, ist von ferne ein vermummter Mann zu sehen.

Ist dieser Horrortrip eine künstlerische Meisterleistung oder nur ein Terrorporno, der die Zuschauer in eine Betroffenheitshaltung zwingt, aus der sie nicht herauskommen?

Diese Frage wurde nach der Vorführung natürlich leidenschaftlich diskutiert. Die Antwort liegt irgendwo in der Mitte. "Utøya 22. Juli" ist der bislang heftigste Film dieses Festivals, ein aufwühlendes Erlebnis, wie man es nur selten im Kino hat. Ob man sich dem aber wirklich aussetzen möchte, muss jeder Zuschauer selbst entscheiden.

Eine Begegnung, wie ein Duell

3 Days in Quiberon - 68th Berlin Film Festival, Germany - 16 Dec 2016

Romy Schneider (Marie Bäumer) vor der Kamera des Fotografen Robert Lebeck (Charly Hübner) in "3 Days in Quiberon".

(Foto: Rohfilm Factory / Prokino / Peter Hartwig)

Im Vergleich dazu wirkte der zweite wichtige Wettbewerbsfilm des Tages fast schon wie Wellness. Die deutsch-österreichisch-französische Koproduktion "3 Tage in Quiberon" erzählt von der Entstehung eines legendären Interviews, das die Schauspielerin Romy Schneider 1981 dem Journalisten Michael Jürgs vom Stern in ihrem Hotel gab.

Schneider (Marie Bäumer) war damals an einem Tiefpunkt, sie hatte sich zur Erholung in einen bretonischen Kurort zurückgezogen, rauchte und trank aber trotzdem heimlich. Über die Vermittlung des Fotografen Robert Lebeck (Charly Hübner) willigte sie in ein Interview mit dem Reporter (Robert Gwisdek) ein, obwohl sie mit der deutschen Presse üble Erfahrungen gemacht hatte.

Die deutsch-iranische Regisseurin Emily Atef inszeniert die Begegnung fast schon wie ein Duell, in dem sich die beiden Kontrahenten vorsichtig durch ihren Zigarettenrauch hindurch taxieren: die weltberühmte, vom Schicksal gebeutelte, tablettenabhängige Schauspielerin; und der Jungjournalist, der unbedingt einen Scoop will und sie deshalb wie ein Interviewrambo mit intimen Fragen bestürmt.

Der Film ist komplett in Schwarz-Weiß gedreht, eine nostalgische Erinnerung an eine längst vergangene Kinoära. Marie Bäumer verwandelt sich so gut das eben möglich ist in Romy Schneider, zeigt sie als zerrissene Person, die selbst nicht mehr so genau weiß, wer sie eigentlich ist und wer sie sein will. Aber richtig kopieren kann man das Original-Romy-Lächeln, das immer so einzigartig zwischen schüchtern und frivol über ihr Gesicht balancierte, natürlich nicht.

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