Curling:Herzmittel mit Nebenwirkungen

IOC-Präsident Bach pries die "Olympischen Athleten aus Russland" als "Vertreter einer neuen und sauberen Generation". Nun belastet ein Positivtest diese Erzählung.

Von Johannes Aumüller

Irgendwann trat der Pressesprecher der russischen Mannschaft heran. So, genug jetzt, sagte er zu Viktoria Moissejewa, wir müssen los, und während die beiden den Gang an die Kabine antraten, raunzte er sie an: Was hat du denen gesagt?

Moissejewa, 27, ist die Skipperin der russischen Curling-Frauen, mithin so etwas wie die Klassensprecherin der Sparte. Normalerweise bekommt sie nicht so viel Aufmerksamkeit, wenn sie mit ihren Kolleginnen auf einer der vier Bahnen im Gangneuner Curling-Zentrum ihre Partien absolviert. An diesem Montag ist das anders: Da ist sie nach ihrem morgendlichen Auftritt umringt von Journalisten. Und die wollen ihre Meinung hören zu dem Fall, der das russische Team derzeit so beschäftigt - und der so gravierende Konsequenzen haben könnte: den positiven Dopingbefund des Curlers und Bronzemedaillen-Gewinners Alexander Kruschelnizki. "Das ist ein Schock", sagte also die Skipperin.

Am Montagnachmittag bestätigte der Internationale Sportgerichtshof Cas, dass sich seine zuständige Doping-Kammer mit dem Fall beschäftigt. Damit bestätigte der Cas indirekt, dass nicht nur die A-, sondern auch die B-Probe Kruschelnizkis positiv war. Sonst wäre erst gar kein Verfahren eröffnet worden. Weitere Informationen gab es zunächst nicht. Die Befragung des Sportlers durch das eingesetzte Richtertrio des Cas soll offenkundig erst am Dienstagvormittag (Ortszeit) stattfinden. Gemäß Statuten soll die Kammer binnen 24 Stunden eine Entscheidung treffen.

Kruschelnizki hatte zusammen mit seiner Ehefrau Anastassija Brysgalowa in der Auftaktwoche der Spiele Bronze im neuen Mixed-Wettbewerb gewonnen. Auf welche Substanz er positiv getestet wurde, wurde offiziell nicht mitgeteilt. In der russischen Delegation ist es aber kein großes Geheimnis, dass es sich dabei um Meldonium handelt. Das ist eigentlich ein Mittel für herzkranke Menschen, kam aber insbesondere im osteuropäischen Sport über Jahre in erheblichem Umfang zum Einsatz. 2016 verbot es die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada. Danach gab es Dutzende positive Dopingtests, weil russische Sportler das Medikament trotz des Verbotes weiterhin eingenommen hatten. Der prominenteste Fall war die Tennisspielerin Maria Scharapowa, die, ebenfalls wegen Meldonium, eine 15-monatige Sperre erhielt.

Pyeongchang 2018 - Curling

Alexander Kruschelnizki holte im Curling-Mixed mit Ehefrau Anastassija Brysgalowa Bronze. Jetzt bedroht sein Positivtest die Pläne von Russland und dem IOC.

(Foto: Natacha Pisarenko/dpa)

Die Abwehrstrategie der russischen Delegation läuft offenkundig auf ein altbekanntes Muster hinaus: zu bestreiten, dass der Sünder absichtlich gedopt habe. "Es wäre dumm, das gleiche Mittel zu nehmen, das für so viel Wirbel gesorgt hat", sagte etwa Sergej Belanow, der Trainer der Curling-Frauen: "Alexander ist nicht dumm." Auch das Argument, Doping im Curling bringe doch nichts, fällt. Obwohl das in der Form nicht stimmt: Im Curling spielt nicht nur eine hohe Konzentrationsfähigkeit eine Rolle, sondern auch Kraft - beispielsweise beim Fegen des Eises. Vor allem aber: Kruschelnizki hat das im russischen Sport bis dahin sehr beliebte Medikament ja sicherlich nicht ohne Grund eingenommen, als es noch nicht verboten war.

Der Präsident des russischen Fachverbandes verwies zudem darauf, dass Kruschelnizki noch am 22. Januar im Trainingslager in Japan negativ getestet worden sei. Unter die Abwehrreflexe innerhalb der russischen Delegation mischt sich daher auch schon die Legende, dass der Curler Opfer eines Komplottes geworden sei; beispielsweise, dass ihm ein neidischer Mannschaftskollege kurz vor den Spielen etwas untergeschoben haben könnte. Aber selbst im eigenen Lager reagiert man skeptisch auf diese Version. Skipperin Moissejewa sagt dazu: "Das ist einfach schwer zu glauben. Wir kennen alle Kollegen, wir sind im Prinzip sehr eng. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das jemand gemacht hat. Er wüsste, dass er nicht nur das Leben eines Einzelnen zerstört hat, sondern des ganzen Landes." Zugleich dürfte der russischen Delegation auch bewusst sein, dass in der aktuellen Lage eine Erklärung, in der ein großer Unbekannter die Hauptrolle spielt, ein grellendes Echo hervorrufen würde.

Es geht schließlich bei Kruschelnizkis Positivbefund nicht um einen x-beliebigen Dopingfall, wie beispielsweise beim japanischen Shorttracker Kei Saito, der in der vergangenen Woche als erster Athlet bei den Spielen positiv getestet worden war (auf das Maskierungsmittel Acetazolamid). Sollte der Cas Kruschelnizki sanktionieren, würde nicht nur Russlands Mixed-Duo Bronze aberkannt werden und das norwegische Team nachrücken. Sondern es geriete die Konstruktion einer ganzen Erzählung in Gefahr.

Viktoria Moissejewa, Skipperin der russischen Curling-Frauen

"Das ist eine Katastrophe, wenn das für diese und weitere Spiele Konsequenzen hätte."

Russlands Olympia-Komitee ist aufgrund des Dopingskandals der vergangenen Jahre suspendiert worden. In Pyeongchang dürfen nur 168 Sportler starten - als "Olympische Athleten aus Russland" und unter neutraler Flagge. Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), pries diese Gruppe wiederholt als "Vertreter einer neuen und sauberen Generation russischer Sportler". Diese Argumentation war ohnehin stets schwierig. Etwa bei einem Blick darauf, dass manche der so überraschend erfolgreichen Langläufer bei Jurij Boradowko trainieren, der 2010 im Zuge eines Dopingskandals als Trainer gesperrt worden war. Mit einem bestätigten Dopingfall wäre die Rede von der neuen und sauberen Generation endgültig dahin.

Zudem will am Samstag das IOC auf Empfehlung einer Kommission um Exekutivmitglied Nicole Hoevertsz entscheiden, ob Russland bereits zur Schlussfeier wieder offizielles Mitglied der olympischen Familie wird - und auch die Fahne wieder zu sehen sein wird. Sollte der Dopingfall bestätigt werden, "wird die Bewertungskommission dies berücksichtigen", sagte ein IOC-Sprecher. Alles andere hätte er sich aber auch nicht erlauben können (siehe Kommentar).

Entsprechend fürchten nun russische Athleten wie die Curlerin Viktoria Moissejewa eine weitergehende Bestrafung. "Das ist natürlich eine Katastrophe, wenn das nicht nur auf diese, sondern für weitere Olympische Spiele Konsequenzen hätte", sagt sie: "Das würde unseren Sport extrem zurückwerfen. Es ist schrecklich darüber nachzudenken."

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