Theater:Wie immer unerträglich

Der Kaufmann von Venedig

Grandios offensiv: Burghart Klaußner mit Lou Strenger.

(Foto: Thomas Rabsch)

Roger Vontobel hat am Düsseldorfer Schauspielhaus Shakespeares "Kaufmann von Venedig" inszeniert. Dieses Stück braucht einen außergewöhnlichen Akteur als Hauptfigur. Einen wie Burghart Klaußner.

Von Martin Krumbholz

Sucht man nach einer schönen Rolle für einen exzeptionellen Schauspieler, drängt sich rasch Shylock auf, der Jude in Shakespeares "Kaufmann von Venedig". Eben erst durfte man Joachim Meyerhoff am Hamburger Schauspielhaus bewundern, jetzt Burghart Klaußner bei der Düsseldorfer Konkurrenz. Der rachsüchtige Geldverleiher, der das Stereotyp des Juden in der Literatur über Jahrhunderte geprägt hat, scheint auch 70 Jahre nach dem Holocaust einen unwiderstehlichen Reiz auszuüben. Shylock ist kein Monstrum wie Christopher Marlowes "Jude von Malta", aber monströse Züge trägt er zur Genüge. Dass er nicht tatsächlich ein Pfund Fleisch aus dem Körper seines Feindes schneiden darf, wie ihm der Pfandbrief verspricht, verdankt sich einem windigen Theatercoup. Zuzutrauen wär's ihm gewesen, das ist entscheidend.

Die Shylock-Figur ist der einzige gravierende Missgriff des großen Menschenerfinders Shakespeare. Dass das Stück in Venedig spielt, ist ein Akt der Projektion: In England gab es kaum Juden, in Venedig aber wurde im 16. Jahrhundert das erste Ghetto überhaupt gegründet, es diente dem Schutz der jüdischen Minderheit. Der Mangel an realen Vorbildern ermöglichte dem Elisabethaner, den Schurken seiner "Komödie" mit fantastischen Eigenschaften auszustatten und noch die bizarrsten Regungen mit dessen jüdischer Herkunft zu erklären. Dabei fällt die (eher schmale) Rolle auch aus dem Rahmen der anderen Shakespeare-Schurken wie Richard III., Jago und so weiter: Diese machen das Publikum zu ihren Komplizen. Genau das tut Shylock nicht, obwohl es ihm an der entsprechenden Rhetorik durchaus nicht mangelt - er hätte keine Chance.

Roger Vontobel, der das Stück in Düsseldorf inszeniert, besitzt im Allgemeinen das Talent, spannende Geschichten spannend und meist ohne Schnörkel zu erzählen. Muriel Gerstner hat die Bühne als eine Art Showroom eingerichtet, mit LED-Laufband und abschließendem Glittervorhang. Vontobel gibt sich alle Mühe, die christliche Boygroup um den homosexuellen Kaufmann Antonio und seinen leichtlebigen Freund, den Glücksritter Bassanio mit den Insignien übelster Ressentiments zu versehen. Lustig ist das überhaupt nicht.

Und Klaußner? Er macht nichts falsch. Er agiert die Figur offensiv, manchmal grandios aus, ohne sie in die Nähe der Karikatur zu treiben. Er bohrt den Daumen in die Handfläche, wenn er erregt ist, er legt ein Tänzchen hin im Vorgefühl des vermeintlichen Triumphs. Die Kippa trägt er unterm Hut, und die hochmütige Portia, seine selbsternannte Richterin, gespielt von Minna Wündrich, wird sie ihm vom Kopf schälen, behutsam zwar, aber es sieht doch so aus, als würde sie ihn skalpieren. Die Demütigung, die Shylock am Schluss erfährt, inklusive Enteignung und Zwangskonversion, ist unerträglich. Daran kann keine Inszenierung der Welt das Geringste ändern.

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