Unternehmenskultur bei Volkswagen:Jeder für sich, alle gegen jeden

Lesezeit: 4 min

Der damalige VW-Vorstandschef Martin Winterkorn (re.) und Entwicklungsvorstand Ulrich Hackenberg 2009 bei der Automesse in Detroit. (Foto: Marijan Murat/dpa)

Martin Winterkorn und Ulrich Hackenberg arbeiteten zusammen im VW-Vorstand. Die Ermittlungen zum Dieselskandal geben Einblicke in eine zerrüttete Freundschaft und eine fragwürdige Unternehmenskultur.

Von Georg Mascolo und Klaus Ott

Manchmal enden Beziehungen, ob im Privatleben oder im Job, kurz und knapp per SMS. Der gemeinsame Weg: aus und vorbei. Im September 2015 schickte Ulrich Hackenberg, damals einer der führenden Männer im Volkswagen-Konzern, eine solche SMS an Martin Winterkorn, den Chef des weltweiten Auto- und Lkw-Imperiums. Hackenberg teilte Winterkorn in 20 Zeilen mit, dass er auf dessen Vorschlag nicht eingehe. Die "Methode", schrieb der eine Motorenexperte dem anderen, sei während der gemeinsamen Zeit bei der VW-Tochter Audi entstanden und dann von VW übernommen worden. Die Entscheidungswege seien aber nicht über seinen Schreibtisch gelaufen, erklärte Hackenberg, deshalb sei bei ihm auch nichts hochgekommen.

Methode, Entscheidungswege, nichts hochgekommen, das klang nebulös. Gemeint war: Hackenberg, damals noch Entwicklungsvorstand bei Audi und zuvor gewissermaßen Obertechniker im Konzern, würde nicht die Verantwortung übernehmen für die Abgasaffäre. Sondern sich weigern, für die Mitte September 2015 aufgeflogenen Manipulationen an Millionen Dieselfahrzeugen geradezustehen. Er würde also nicht haften für die "Methode", wie es beschönigend in der SMS hieß. Die Schuld auf sich zu laden, darauf habe Winterkorn gedrängt, erzählte Hackenberg gut ein halbes Jahr später, im April 2016, der Staatsanwaltschaft Braunschweig. Die Ermittler befragten den einstigen VW-Obertechniker als Zeugen zu der Abgasaffäre. Seit Neuestem ist Hackenberg nicht mehr Zeuge, sondern Beschuldigter. Die Staatsanwaltschaft München II hat am Donnerstag sein Haus durchsucht und ermittelt wegen Betrugsverdachts gegen ihn.

Volkswagen
:VW macht mehr Gewinn als vor dem Abgasskandal

Trotz Dieselkrise stieg der Erlös auf 11,4 Milliarden Euro. Denn im Ausland laufen die Geschäfte gut.

Was Hackenberg über sein Zerwürfnis mit Winterkorn ausgesagt hatte und was die Behörden nach Informationen von SZ, NDR und WDR sonst noch ermittelt haben, das ermöglicht tiefe Einblick in die Unternehmenskultur bei Volkswagen. Jeder für sich, alle gegen jeden. Und es nährt Zweifel, ob die beiden langjährigen Weggefährten wirklich so ahnungslos gewesen waren, wie sie immer wieder beteuert haben. Hackenberg und Winterkorn, gegen den längst auch ermittelt wird in Braunschweig, haben einen gemeinsamen alten Bekannten, der beide schwer belastet: Bernd Gottweis, der so eine Art Oberproblemlöser gewesen war bei Volkswagen. Oberchef Winterkorn, Obertechniker Hackenberg und Oberproblemlöser Gottweis wollten alle einst das Beste für VW und für sich selbst natürlich auch. Heute wollen sie alle nur noch eines: Mit möglichst heiler Haut davon kommen.

Hackenberg, genannt Hacki, und Winterkorn, genannt Wiko, waren sich sehr ähnlich gewesen. Beide kannten als ausgewiesene Motorenexperten jedes Detail und konnten mit ihren Ingenieuren über jede Schraube diskutieren. An der Seite von Wiko, erst Chef von Audi und dann von Volkswagen, machte auch Hacki Karriere. Als Entwicklungschef von Volkswagen war er es, der im Konzern das legendäre Baukastenprinzip austüftelte. Viele unterschiedliche Modelle, viele gleiche Teile, und das in mehr als 100 Fabriken weltweit. Das war die Zauberformel für niedrige Kosten und hohe Gewinne. Zuletzt, bis kurz nach Beginn der Abgasaffäre, war Hackenberg dann wieder bei Audi in Ingolstadt gewesen, als Entwicklungsvorstand.

Enttäuscht von Wiko

Das Verhältnis zwischen Winterkorn und Hackenberg hat Letzterer als sehr eng und gut beschrieben. Es soll sogar so eng gewesen sein, dass der VW-Chef noch kurz vor Beginn der Abgasaffäre dem Audi-Entwicklungsvorstand angekündigt habe, dieser solle in Ingolstadt aufrücken, nach ganz oben. Er, Winterkorn, wolle Audi-Chef Rupert Stadler zu sich nach Wolfsburg holen, und Hackenberg solle den Job von Stadler übernehmen. So hat es Hackenberg den Braunschweiger Ermittlern erzählt, was inzwischen auch anderen Behörden bekannt ist. Das wäre das krönende Ende einer langen Karriere gewesen. Doch dann enthüllten US-Behörden die Manipulationen, und plötzlich war alles anders.

Winterkorn habe ihn dringend sprechen wollen, berichtete Hackenberg den Ermittlern. Das Treffen habe im Audi-Forum am Münchner Flughafen stattgefunden, einem Konferenzzentrum. Winterkorn habe eingangs gesagt, dass dies ein "Scheißjahr" sei. Der Ärger mit dem VW-Patriarchen Ferdinand Piëch, andere Probleme, und nun die US-Behörden. Der VW-Chef habe Hackenberg erklärt, er wisse, dass dieser mit der Sache eigentlich nichts zu tun habe. Aber Hackenberg sei in jenen Jahren zuständig gewesen und müsse sich deshalb jetzt hinstellen und die Verantwortung übernehmen. Dann hätte das Unternehmen vielleicht eine Chance, da herauszukommen. Und er, Winterkorn, eventuell auch. Hackenberg fügte hinzu, Winterkorn habe ihn sehr ausgenutzt und die Verantwortung auf ihn abwälzen wollen. Darüber sei er, Hackenberg, sehr enttäuscht.

Dieselskandal
:Ermittler durchsuchen Wohnungen von Ex-Audi-Vorständen

Die Staatsanwaltschaft München II weitet im Dieselskandal das Verfahren gegen verantwortliche Audi-Mitarbeiter aus.

Das Treffen am Flughafen ist verbürgt, aber vom Inhalt gibt es noch eine zweite Version. Dieser zufolge soll Winterkorn gesagt haben: "Einer von uns muss den Kopf hinhalten, anders geht das nicht. Einer muss die politische Verantwortung übernehmen." Wiko habe mitnichten Hackis Kopf gefordert und sich auch nicht auf diesen "eingeschossen", wie Hackenberg den Ermittlungsbehörden berichtete. Wie dem auch sei, kurz darauf waren beide weg. Winterkorn bei Volkswagen und Hackenberg bei Audi. Und gesehen haben sollen sich die beiden seitdem auch nicht mehr. Das sei ein Drama, sagt einer, der diesen Fall gut kennt. Die beiden seien eigentlich befreundet. Gewesen, muss man wohl sagen.

Ein gutes Verhältnis hatten beide, Hackenberg und Winterkorn, früher auch zu ihrem VW-Kollegen Bernd Gottweis gehabt; Wiko vielleicht noch mehr als Hacki. Der einstige Chemielaborant hatte sich in mehr als vier Jahrzehnten im Konzern nach oben gearbeitet und vor seiner Rente auch den Ausschuss für Produktsicherheit (APS) geleitet, der sich um nahezu alles kümmerte, was Deutschlands größtem Autokonzern Probleme bereitete. Irgendwann waren das dann auch die Dieselfahrzeuge in den USA mit hohen, gesundheitsschädlichen Stickstoffdioxid-Emissionen gewesen. Gegen Gottweis, den Oberproblemlöser, wird ebenfalls ermittelt.

Ein gemeinsamer Bekannter belastet Winterkorn und Hackenberg schwer

Der Rentner hat bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig ausgesagt und sowohl Hackenberg als auch Winterkorn schwer belastet. Vor einem Treffen am 21. Juli 2015 bei VW hätten Motorenentwickler eine illegale Software zugegeben, mit der die Abgasreinigung abgeschaltet werde. Bei dem Treffen sei dann eine entsprechende Präsentation vorgelegt worden, in Gegenwart Hackenbergs und weiterer Führungskräfte. Diese Personen seien vorher schon "gebrieft" worden. Ein paar Tage später, am 27. Juli, will Gottweis Winterkorn darüber informiert haben, dass Volkswagen in den USA "beschissen" habe. Träfe das zu, dann hätten Hackenberg und Winterkorn es fast zwei Monate lang versäumt, für Aufklärung zu sorgen, ehe US-Behörden den Skandal publik machten.

Hackenberg und seine Anwältin äußerten sich zu alledem nicht. Den Ermittlern hatte Hackenberg gesagt, er habe erst nach Beginn der Affäre von Manipulationen erfahren. Winterkorn hat wiederholt erklärt, ihn treffe keine Schuld. Er habe nichts von dem Betrug gewusst. Die SMS von Hacki soll Wiko übrigens nie gesehen haben. Winterkorn lese keine Mails und SMS, sagt einer, der ihn gut kennt. Der Ex-VW-Chef habe ein ganz altes Handy, mit dem er lediglich telefonieren könne.

© SZ vom 24.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Automobilindustrie
:"Deutschland hatte Benzin im Blut"

Diesel, Stickoxide, Tierversuche: Der Autoexperte Stefan Bratzel beklagt die Abgehobenheit der Branche, kritisiert das jahrzehntelange Nichtstun der Politik - und erklärt, warum Autos für jüngere Menschen immer unwichtiger werden.

Interview von Michael Bauchmüller und Stefan Braun

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: