Ungarn:"Wir wollen die großen Jungs loswerden"

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Junge Menschen auf einer von Studenten organisierten Anti-Regierungsdemonstration in Budapest. (Foto: Bernadett Szabo/Reuters)
  • Eine Wahl in der südungarischen Stadt Hódmezövásárhely zeigt, dass die Fidesz-Partei von Premier Orbán nicht unbesiegbar ist.
  • Stattdessen gewinnt ein unabhängiger Kandidat die Wahl.
  • Sechs Wochen vor der Parlamentswahl ist das eine alarmierende Nachricht für Ungarns Rechte.

Von Peter Münch, Wien

Aus dem südungarischen Städtchen Hódmezövásárhely kommt eine alarmierende Nachricht für Premierminister Viktor Orbán: Seine Fidesz-Partei ist nicht unschlagbar. Bewiesen hat das bei der Bürgermeisterwahl in der 47 000-Einwohner-Gemeinde ein unabhängiger Bewerber namens Péter Márki-Zay, der seinen von Fidesz aufgestellten Gegenkandidaten überraschend mit 57,5 Prozent der Stimmen besiegte.

Sechs Wochen vor der Parlamentswahl am 8. April gibt das der ungarischen Opposition neue Hoffnung, mit vereinten Kräften den seit 2010 ununterbrochen in Budapest regierenden Orbán allen Voraussagen zum Trotz doch noch in Bedrängnis bringen zu können.

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Der 45-jährige Wahlsieger Márki-Zay feierte seinen Erfolg in Hódmezövásárhely als "Beginn einer neuen Ära". Es gebe in der Bevölkerung den großen Wunsch, Korruption, Lügen und Einschüchterung in Ungarn zu beenden. "Wir haben uns erhoben und bewiesen, dass wir die großen Jungs loswerden wollen, die die ganze Klasse schikanieren", sagte er.

Die Bürgermeisterwahl war wegen des Tods des vorherigen Fidesz-Amtsinhabers nötig geworden. Márki-Zay hatte sie bereits vorab zu einer "Generalprobe" für die Parlamentswahl erklärt, weil sich in Hódmezövásárhely alle Oppositionskräfte von der sozialistischen MSZP über Liberale und Grüne bis hin zur rechtsradikalen Jobbik-Partei geschlossen hinter ihn gestellt hatten. Sie verzichteten auf die Aufstellung eigener Kandidaten und hoben im Januar den parteilosen Vater von sieben Kindern auf den Schild, der sich selbst als konservativen Katholiken bezeichnet. Früher sei er Fidesz-Anhänger gewesen und wegen Orbáns Regierungsstil abtrünnig geworden.

Die Anziehungskraft dieses parteiübergreifenden Kampfs gegen die übermächtige Regierungspartei zeigte sich auch in der mit 64 Prozent vergleichsweise hohen Wahlbeteiligung. Diskutiert wird nun, wie weit das Modell Hódmezövásárhely tatsächlich landesweit tragen könnte. In den bislang vorliegenden Umfragen führt Orbáns Fidesz-Partei mit mehr als 50 Prozent vor Jobbik und den Sozialisten. Allerdings zeigen sich sehr viele Wähler noch unentschieden, woraus die Opposition einen Wunsch nach Wandel folgert. Der kann jedoch wegen des ungarischen Wahlrechts nur mit engen Absprachen gelingen. Denn von insgesamt 199 Parlamentssitzen werden 106 direkt in den Wahlkreisen vergeben. Ein Mandat gewinnt hier jener Kandidat, der die relative Mehrheit der Stimmen erzielt.

Kurz nachdem Márki-Zays Kandidatur bekannt wurde, verlor er seinen Job

Eingeführt worden war diese Regelung 2011 von der Fidesz-Partei, die sich damit die Zersplitterung der Opposition zunutze machen wollte. Bei der vorigen Parlamentswahl hatte sie so mit weniger als 50 Prozent der Stimmen eine Zweidrittelmehrheit im Parlament erreicht. Um eine Wiederholung zu durchkreuzen, müssten die Oppositionsparteien also nun in möglichst vielen Wahlkreisen gemeinsame Kandidaten aufstellen. In der Praxis ist dies jedoch problematisch, weil Linke und Liberale sich nicht mit der rechtsextremen Jobbik-Partei gemein machen wollen, auch wenn die sich in jüngster Zeit moderater gibt als früher. Doch selbst bei Absprachen jenseits von Jobbik könnte zumindest die Mehrheit Orbáns geschmälert werden.

Aus der Fidesz-Niederlage in Hódmezövásárhely lässt sich auch herauslesen, dass die vielfältigen Korruptionsskandale der Regierung zu schaden beginnen. Die Stadt war immer eine Fidesz-Hochburg, viele Jahre lang amtierte hier als Bürgermeister der enge Orbán-Vertraute und Kanzleramtsminister János Lázár. In dessen Amtszeit fiel allerdings auch ein von der EU-Antikorruptionsbehörde Olaf aufgespießter Fall des Missbrauchs von EU-Fördergeld. Ein Unternehmen namens Elios, das zum Teil Orbáns Schwiegersohn István Tiborcz gehörte, soll regelwidrig in Dutzenden Gemeinden den Auftrag für eine neue Straßenbeleuchtung erhalten haben. Der erste Auftrag dazu wurde in Hódmezövásárhely vergeben. Olaf empfiehlt der EU-Kommission die Rückforderung von 43 Millionen Euro an Subventionen. Wie weit der Arm der Orbán-Regierung reicht, erfuhr im Wahlkampf auch Péter Márki-Zay.

Kurz nach Bekanntwerden seiner Kandidatur in Hódmezövásárhely verlor er seinen Job, und der örtliche Pfarrer wetterte von der Kanzel aus gegen ihn. Immerhin hat er nun wieder einen neuen Arbeitsplatz als Bürgermeister.

© SZ vom 27.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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