SZ-Serie Nahverkehr weltweit:Vancouver ist ein Mekka für Radler und Fußgänger

Ein Skytrain fährt vor der Skyline von Vancouver

Der Skytrain wird als längstes automatisches Nahverkehrssystem der Welt bezeichnet - die Züge kommen ohne Lokführer aus.

(Foto: imago/ZUMA Press)

In der kanadischen Metropole muss das Auto immer mehr Platz abgeben. Doch beim Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs streiten Politik und Bürger ums Geld.

Von Bernadette Calonego

Vier Uhr nachmittags in Vancouver. Die dreispurige Lions-Gate-Brücke ist wieder mal verstopft. Weil das täglich so ist, benutzen manche Autofahrer die Brücke zwischen North Vancouver, West Vancouver und der Innenstadt nach ein Uhr mittags gar nicht mehr. Sie sind zu oft im Stau stecken geblieben. Vier der zwanzig schlimmsten Nadelöhre in Kanada finden sich in Vancouver. In Studien erscheint die Metropole am Pazifik regelmäßig unter Nordamerikas Städten mit den größten Autoverkehrsproblemen. Die nationale Zeitung Globe and Mail schrieb: "In Vancouver ist Pendeln die Hölle."

Besser dran sind die Passagiere in den Bussen, die eine Schnellspur benutzen, die auf die Lions-Gate-Brücke führt. Dann geht es mitten durch den Stanley Park, eine kleine Wildnis in der City. Vancouver ist die einzige Großstadt in Nordamerika ohne eine Autobahn, die in den Stadtkern führt. In den Sechzigerjahren gab es einmal Pläne, eine achtspurige Autobahn zu bauen, der Stanley Park und Chinatown komplett zum Opfer gefallen wären. Der junge Anwalt Mike Harcourt nahm damals am Kampf gegen die Autobahn teil. Er wurde später Vancouvers Bürgermeister und noch später der Premierminister des Teilstaates British Columbia.

Vielleicht war das der Anfang der Entwicklung von Vancouver zu einem Mekka für Radfahrer und Fußgänger. Die Innenstadt Vancouvers ist kompakt und nicht sehr groß, sie ist auch abends relativ verkehrsarm, weil überwiegend Fußgänger unterwegs sind. Für Radfahrer gibt es insgesamt 305 Kilometer Radwege auf Stadtgebiet.

Was es nicht gibt, ist eine U-Bahn wie in Toronto oder Montreal. Das soll sich nun wenigstens auf Teilstrecken ändern: Derzeit besteht der öffentliche Nahverkehr aus einer Flotte von über 1500 Bussen - alle sind für Rollstühle, Kinderwagen und Fahrräder zugänglich -, aus einer Fähre (SeaBus) und zahlreichen Bahnen. Allen voran der Skytrain, eine Schnell- und Hochbahn auf 79 Kilometern Länge. Der Skytrain wird als längstes automatisches Nahverkehrssystem der Welt bezeichnet, weil die Züge ohne Lokführer auskommen. Stündlich können damit 27 000 Passagiere pro Richtung transportiert werden. Bedient wird auch die Vorstadt Surrey. Gerade rechtzeitig für die Olympischen Winterspiele 2010 wurde die Canada Line gebaut, eine Schnellstrecke des Skytrain-Netzes, die von der Stadtmitte in die Stadt Richmond und an den Flughafen führt.

Transportbehörde in der Krise

Vancouver braucht jedoch noch mehr Schnellstrecken im öffentlichen Verkehr, denn kurz nach Eröffnung von neuen Haltestellen sind die Bahnen meist sofort an ihrer Kapazitätsgrenze angelangt. Die Transportbehörden der Region wollen nun unter anderem im Stadtzentrum, wo viele große Arbeitgeber sitzen, eine weitere Schnellstrecke bauen.

Im vergangenen Frühjahr nannten die Bürger von Vancouver und Umgebung in einer Umfrage das Verkehrswesen die zweitwichtigste Herausforderung - gleich nach der Wohnungsnot. Vor drei Jahren war die Transportbehörde TransLink in eine Krise geraten. TransLink verwaltet nicht nur den öffentlichen Verkehr, sondern auch große Brücken und wichtige Straßen in Vancouver und der weiteren Umgebung (auch "Metro Vancouver" genannt). Die Bürgermeister von Vancouver und der umliegenden Kommunen hatten damals vorgeschlagen, die Umsatzsteuer um ein halbes Prozent zu erhöhen, um die Ausbaupläne für den öffentlichen Nahverkehr in Höhe von fünf Milliarden Euro finanzieren zu können. In einer Volksabstimmung lehnte aber eine deutliche Mehrheit der Bürger diese Steuererhöhung ab.

Steve Brown, Manager für den Bereich Schnellverkehr in der Stadtverwaltung, erklärt, für viele Bürger sei TransLink schlecht geführt und die öffentlichen Gelder seien nicht effizient und transparent eingesetzt worden. Das heißt aber nicht, dass die Bewohner Vancouvers insgesamt unglücklich mit ihrem öffentlichen Verkehr sind, der laut Steve Brown im nordamerikanischen Vergleich stark genutzt wird. Neunzig Prozent sprachen sich in einer Erhebung dafür aus, die öffentlichen Transportmittel zügig auszubauen.

Die Ticketpreise sind niedrig

Zwar beschweren sich die Menschen in Vancouver immer wieder über prallvolle Busse, die nicht anhalten, oder über lange Wartezeiten. Aber die Tarife sind nicht teuer: Wer zum Beispiel mit dem Bus von Vancouver aus die 21 Kilometer hinaus nach Horseshoe Bay fährt, zahlt an Werktagen nur 2,60 Euro, an Wochenenden ist es noch billiger. Laut TransLink können 92 Prozent der Einwohner eine Bus- oder Bahnhaltestelle zu Fuß erreichen.

Derzeit werden 50 Prozent der operativen Kosten (ohne Kapitalkosten) des öffentlichen Nahverkehrs in Vancouver durch Fahrkartengebühren gedeckt. Das sei relativ hoch, verglichen mit anderen Städten, sagt Brown. Vor allem die Schnellbahnstrecken seien beliebt. "Der Skytrain hat kürzere Züge mit fünf Wagen, aber in den Stoßzeiten fährt alle 90 Sekunden ein Zug ab."

Noch werden in Vancouver nur 17 Prozent aller Passagiertransporte mit öffentlichen Verkehrsmitteln erledigt. Rechnet man indes die Ortswechsel per Fahrrad, zu Fuß und mit dem öffentlichen Nahverkehr zusammen, dann sind es 50 Prozent. Ziel der Stadtbehörden ist es, dass bis in zwei Jahren 50 Prozent der Leute Busse und Bahnen nutzen und bis zum Jahr 2040 zwei von drei Wegen damit zurückgelegt werden.

Weniger Platz für Autos

Seit den Neunzigerjahren sind auf Stadtgebiet keine zusätzlichen oder breiteren Straßen gebaut worden. Der Transportdirektor der Stadt, Lon LaClaire, sieht die Zukunft des Verkehrs in einer Kombination aus Fahrrad, Zufußgehen, Bussen und Schnellbahnen. Die Stadtbehörden wollen weniger private Fahrzeuge in der City. "Wir versuchen nicht, Staus zu begünstigen", sagt Steve Brown. "Aber wir schaffen nicht mehr Raum für Autos." Die Autofahrer trugen aber allein im Jahr 2015 durch Benzinsteuern 234 Millionen Euro zur Finanzierung des öffentlichen Verkehrs bei.

Ihre Klagen über Verstopfungen, Staus und Parknot haben die örtliche Zeitung Vancouver Sun vor einem Jahr dazu bewogen, dem Problem eine ganze Serie von Artikeln zu widmen. In Vancouver leben 640 000 Menschen, aber im "Metro Van-couver" genannten Großraum sind es 2,2 Millionen. In den kommenden 25 Jahren sollen es noch eine Million mehr werden. In Metro Vancouver werden bis zum Jahr 2041 an die 700 000 zusätzliche Fahrzeuge erwartet. Das wird die Straßen noch mehr verstopfen. Kritiker werfen der Stadt vor, die Autofahrer würden in Vancouver zugunsten der Radfahrer benachteiligt und regen sich auf, wenn wieder eine Fahrspur für Autos in einen Radweg umgewandelt wird.

Transportdirektor Lon LaClaire sieht jedoch nur einen Weg nach vorne. "Wenn es zu viele Autos auf den Straßen gibt, kann eine Stadt nicht funktionieren", sagte er der Vancouver Sun. "Wir müssen die Leute aus den Autos holen." In den kommenden zehn Jahren sollen beispielsweise eine U-Bahn-Strecke in der Innenstadt und Straßenbahnstrecken in den Vorstädten Surrey und Langley gebaut werden. Auch die Busflotte wird massiv aufgestockt. Für die Kosten von 3,6 Milliarden Euro hat die kanadische Regierung einen Zuschuss von 40 Prozent in Aussicht gestellt, die Regierung der Provinz British Columbia weitere 40 Prozent.

Vancouver, eine Pendlerstadt

Jetzt geht es um die restlichen 20 Prozent, die von den 21 Gemeinden in Metro Vancouver kommen sollen. Das ist die größte Herausforderung, denn die umliegenden Städte und Gemeinden sagen: Warum sollen wir für Verkehrsmittel zahlen, deren Linien uns gar nicht erreichen? Täglich strömen indes viele Menschen aus Metro Vancouver in die City, zur Arbeit, zum Einkaufen, zum Vergnügen. Und weil Vancouver für Normalbürger immer unerschwinglicher wird, leben immer mehr Bewohner in der umliegenden Region und pendeln nach Vancouver.

Laut Statistik verbringt ein Pendler für seine Fahrt zur Arbeit und zurück rund eine Stunde täglich im Auto. Mit dem Bus und der Bahn braucht er durchschnittlich neunzig Minuten. Ein Expertenausschuss empfiehlt nun Straßenzölle für weitere Brücken und Autostrecken, an denen regelmäßig Engpässe entstehen. Die Frage ist, ob die Politiker willens sind, diesen Empfehlungen zu folgen - und ob die Autofahrer eine solche Lösung akzeptieren.

Die SZ berichtet in dieser Serie über den Nahverkehr in den Metropolen der Welt. Alle Folgen finden sich unter www.sueddeutsche.de/nahverkehr

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