Evolution:Balzgesang ohne Töne

Um Parasiten zu entgehen, sind Grillen auf Hawaii verstummt. Doch auch die stillen Grillen finden Partnerinnen. Forscher gehen davon aus, dass sie einen anderen Weg gefunden haben, Weibchen auf sich aufmerksam zu machen.

Von Hanno Charisius

Wenn männliche Grillen auf Partnersuche sind, schaben sie mit ihren Flügeln über den Körper und produzieren dabei das typische Sommerwiese-am-Abend-Geräusch. Ihr Zirpen soll Weibchen anlocken, auf Hawaii aber verrät der Balzgesang die männlichen Werber auch an einen lebensgefährlichen Parasiten. Die Fliegen der Art Ormia ochracea legen ihre Eier in den Körpern der Sänger ab, die den schlüpfenden Larven dann als Nahrungsquelle dienen. Und da kommt die Evolution ins Spiel: Durch eine oder mehrere Mutationen in den Erbanlagen mancher hawaiianischer Grillen (Teleogryllus oceanicus) sind Flügel entstanden, die keine Geräusche mehr machen. Der Parasit findet seinen Wirt nicht mehr, und für die Partnersuche bedienen sich die stillen Grillen eines Tricks. Sie halten sich in der Nähe von noch immer lautstark zirpenden Artgenossen auf und versuchen, ihnen die Weibchen wegzuschnappen.

Wie erfolgreich diese Strategie ist, beschreiben britische Zoologen und Biologen um Nathan Bailey von der University of Cambridge in der aktuellen Ausgabe des Fachjournals Biology Letters. Auf manchen Inseln Hawaiis haben mittlerweile 95 Prozent der männlichen Grillen stille Flügel. Zur großen Überraschung der Fachleute bewegen aber auch die stillen Grillen ihre Flügel noch immer rhythmisch, obwohl es bei ihnen keinen erkennbaren Nutzen mehr hat. Aus biologischer Sicht ist das pure Energieverschwendung. Womöglich verbirgt sich hinter dem auf den ersten Blick unnützen Verhalten aber auch die Erklärung dafür, dass die Grillenpopulation auf Hawaii nicht längst zusammengebrochen ist. Das Abwerben der durch den Gesang anderer Männchen angelockten Weibchen kann schließlich nicht lange gut gehen. Die lauten Grillen können sich nicht vermehren und werden zudem von Fliegenlarven gefressen, Überlebenschancen: eher nicht so hoch.

Doch auch in Regionen, in denen nur noch wenige tönende Grillenmännchen ihr Lied schaben, sind die Populationen bislang nicht kollabiert. Für die Forscher ist das ein klarer Hinweise darauf, dass die stillen Grillen einen anderen Weg gefunden haben, Weibchen auf sich aufmerksam zu machen. Vielleicht liegt es doch am geräuschlosen Flügelschlag oder einem anderen Signal, das die Biologen bislang einfach nicht im Verhaltensrepertoire der Grillen ausmachen konnten.

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