Wertedebatte:Anleitung zum Konservativsein

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Vielleicht hilft die Konkurrenz von rechts den Unionsparteien, den Konservativismus neu zu entdecken.

(Foto: dpa)

Eine gesunde Gesellschaft braucht beides: die drängenden Visionäre und die bedächtigen Bewahrer. Ein kluger Konservativismus gibt Deutschland Maß und Haltung.

Kommentar von Matthias Drobinski

Ist Jens Spahn konservativ? Oder Annegret Kramp-Karrenbauer? Dem Gesundheitsminister in spe sind zu viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen, er gilt als wirtschaftsliberal - findet aber die Ehe für alle gut. Die neue Generalsekretärin der CDU wiederum steht sozialpolitisch eher links; die Ehe für Lesben und Schwule aber ist ihr fremd. Beide hat gerade der CDU-Parteitag gefeiert als Köpfe und Gesichter eines neuen Konservatismus; beide stehen aber eher für die Unsicherheit der Partei, wie dieser Konservatismus aussehen soll.

Das ist nicht neu für die CDU. Konrad Adenauer vermied es, seine Partei konservativ zu nennen - das waren die Antidemokraten der Weimarer Republik gewesen, die zu Hitlers Steigbügelhaltern wurden. Die Unionsparteien nannten sich christlich und versprachen, keine Experimente zu wagen, der Rest waren Habitus und bürgerliches Lebensgefühl, das keiner weiteren Erläuterung bedurfte. Erst 1978 heißt es im Parteiprogramm, die CDU habe eine konservative Wurzel - als Reaktion auf den listigen Erhard Eppler von der SPD, der den Begriff "wertkonservativ" für Umweltschützer und Atomkraftgegner reklamierte. Nicht einmal das ist also neu für die CDU: dass die politische Konkurrenz behauptet, wahrhaft konservativ zu sein.

Diese ideologische Unschärfe hat die Union zur erfolgreichsten Nachkriegspartei gemacht: Wo die SPD so lust- wie leidvoll um ihre Programmatik stritt, konnte die Union immer dort sein, wo sie die Mitte sah. Das hat aber umso mehr ein Begründungsvakuum hinterlassen, je weniger die Union eine Milieupartei war, in der nicht erklärt werden musste, was konservativ bedeutet. Das haben die CDU-Delegierten gespürt, als sie Spahn und Kramp-Karrenbauer feierten: Es bräuchte einen Konservatismus jenseits des verschwindenden Selbstverständlichkeits-Konservatismus; einen der sich nach links und, noch schärfer, von rechts abgrenzt. Es bräuchte ihn als Haltung und Maßstab über die Grenzen der Union hinaus.

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Dieser Konservatismus könnte allen Visionen von der großen Gesellschafts- und Menschenverbesserung seinen skeptischen Realismus entgegensetzen: Schön und gut, aber wie soll das funktionieren? Er würde darauf setzen, dass die Vernunft den schlimmsten Blödsinn verhindert. Er müsste gegen den zunehmenden Druck auf den Einzelnen, sich als außergewöhnlich zu präsentieren, das Recht auf Normalität reklamieren: Man muss weder sich noch die Welt täglich neu erfinden. Ein Paar, das sich entscheidet, dass die Frau auf den Beruf verzichtet und sich um die Kinder kümmert, gehört so wenig unter Verdacht gestellt wie ein Mensch, dem Fremde und Fremdes zunächst einmal unheimlich sind.

Es wäre ein Konservatismus, der findet, dass der Staat nicht alles richten muss, der auf die Verantwortung und den Wert des Individuums setzt, auf die Bindungskraft von Vereinen und Verbänden. Er würde die Kraft des Zusammenhalts der Bürger und ihrer leitenden Werte betonen, gegen die totale Individualisierung und gegen das Desinteresse an dem, was über die Befolgung von Gesetzen hinaus die Menschen verbindet. Er könnte Heimatliebe und Weltläufigkeit verbinden. Er würde bürgerliches Verhalten wertschätzen, könnte den Wert des positiven Wissens gegen das Ausufern des Gefühlten und des Vorurteils stellen, das historische Gedächtnis gegen die Vergesslichkeit. Er würde verlustsensibel nach den Kosten fragen, wenn die Menge ruft: Der alte Zopf kann weg.

In einer funktionierenden Gesellschaft braucht es auch die visionären Kräfte, die unruhigen und weltverbesserischen; die Alleinherrschaft des Konservatismus würde ein Land erstarren lassen. Als Kraft der verlangsamenden Vernunft aber ist er ein wichtiges Gegengewicht zu den Beschleunigungskräften der Globalisierung, die den Menschen zu entwurzeln drohen.

Die Unionsparteien haben selber oft genug diesen Konservatismus belächelt, ihn manchmal gar verhöhnt, wenn sie der Flexibilisierung des Menschen samt seiner Beziehungen das Wort redeten. Jetzt hilft vielleicht auch die Konkurrenz von rechts, ihn neu zu entdecken. Die AfD ist nämlich ganz und gar nicht konservativ. Sie ist eine Veränderungspartei, sie will ein anderes Land schaffen, in dem ein klar umgrenztes "Wir" gegen "die da" steht, in dem die Menschenwürde Grenzen hat, wenn sie dem "Wir" in die Quere kommt. Dem Konservativen sind solche Kollektivismen ein Graus. Und selten war seine Frage: "Wohin wird das führen?" so wertvoll wie heute.

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