Lokaltermin:La Cour de Lise

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Das Elsass ist das Esszimmer des Herrgotts, hieß es früher. Dieser Satz ist bis heute gültig, findet Philipp Maußhardt. Zumindest, wenn man auf dem Bauernhof La Cour de Lise bei Straßburg isst.

(Foto: N/A)

Das Elsass ist das Esszimmer des Herrgotts, so hieß es früher. Dieser Satz ist bis heute gültig, findet Philipp Maußhardt. Zumindest, wenn man ins Dorf Willgottheim bei Straßburg fährt. Dort haben ein früherer Sternekoch und seine Frau einen alten Bauernhof zum Restaurant gemacht. La Cour de Lise verbindet aufrichtige Gastfreundschaft mit französischer Klassik.

Wer zu früh kommt, den belohnt Madame Bossée. Weil die Küche noch in den Vorbereitungen steckt und Gäste erst ab 19 Uhr bewirtet werden, serviert die Chefin des Hauses einen Cassis in der offenen Scheune mit Blick auf den Garten. "Sie sollten ihn im Frühjahr erst sehen, wenn alles blüht", schwärmt sie. Buchsbaum-Hecken, Rosen-Rabatte, ein Pool - hinter der Toreinfahrt des Gehöfts aus dem 18. Jahrhundert versteckt sich ein Paradies. Als Isabelle Bossée dann charmant lächelnd entschwindet, weiß sie wohl, dass die Umgebung ihre Wirkung wieder nicht verfehlen wird. Schließlich tragen Restaurant und Anwesen nicht nur ihre Handschrift, sie sind auch nach ihr benannt: "La Cour de Lise" - Lises Hof.

Schon wenige Minuten später kann man die Chefin durch die Scheibe beobachten, wie sie im Kamin des Restaurants ein Feuer entfacht. Ein paar Fenster weiter steht ein Koch konzentriert am Herd. Das muss ihr Mann sein, Jean-Paul Bossée. Der hatte sich früh zwei Michelin-Sterne erkocht, doch vor zehn Jahren den Gourmet-Zirkus überraschend verlassen und sich mit seiner Frau den alten Bauernhof in dem Dorf Willgottheim, 20 Kilometer nordwestlich von Straßburg gekauft. Im Gastraum trifft das Auge auf eine Art Wohlfühlprogramm: schneeweiße Tischdecken, weiße Stühle und Lampen kontrastieren zu dunklen Balken. Der flackernde Kamin, die freundliche Abnahme des Mantels ("ein sehr schöner Mantel, Monsieur") - alles wirkt wie echte Gastlichkeit, und sogar das Schild zum Klo trägt einen schönen Namen: Commodités, was charmant nach "Bequemlichkeit" klingt.

Auf der Speisekarte ist vorab Überraschendes zu lesen: Küchenchef Bossée verneigt sich vor dem kürzlich verstorbenen Paul Bocuse, jenem gottähnlichen Wesen der französischen Küche, das er als Jungspund noch in seiner "Lyoner Zeit" kennengelernt hatte. Ihm zu Ehren - und weil Bocuse "ganze Generationen von Küchenchefs geformt hat" - kocht Jean-Paul Bossée an diesem Tag Rezepte nach Art seines Vorbildes. Das heißt "simple mais de goût", also einfach aber mit Geschmack.

Schon bringt Isabelle Bossée eine kleine Suppenschüssel, eine Hühner-Consomée als Gruß aus der Küche. Man schaut hinein und glaubt, direkt in das Auge von Bocuse zu blicken: Sahne. Jeder halbwegs moderne Jungkoch würde jetzt entsetzt aufschreien. Aber tierische Fette waren immer in Greifnähe des Übervaters der französischen Küche, der auf die Frage, warum seine Soßen so gut schmecken, einmal geantwortet haben soll: "Butter, Butter und nochmals Butter."

Der Magen ist nach dem tatsächlich herrlichen Süppchen (als Geschmacksträger funktioniert Sahne eben immer) also eingeordnet. Der nächste Kalorienkracher kommt in Form einer Foie gras du Chef, und wer dabei jetzt nicht andächtig wird, dem kann nicht geholfen werden. Denn Gänseleber in allen Formen bekommt man heute wirklich fast überall. Aber bei ihrer klassischen Variante - als selbstgemachte Pastete, serviert nur mit einem Klacks süßer Beilage (in diesem Fall Orangen-Gelée) - wird man lange suchen müssen, um eine ähnlichen Qualität zu finden wie hier: fest im Biss, aber cremig, im Geschmack einen Hauch Sherry - allein für diese Foie gras hat sich der Weg schon gelohnt.

Das "Menu Dégustation" (65 Euro), das alle zwei Wochen wechselt, ist da noch jung, vier weitere Gänge warten. Der nächste lässt einem etwas Luft zum Durchatmen: ein luftiger Flan aus Feldsalat und Petersilienwurzel ist in dieser Kombination so ungewöhnlich wie unspektakulär. Was daran Bocuse ist? Er schwimmt in einer beurre blanc - klassischer französischer Buttersauce. Zum Glück sind die Portionen so bemessen, dass die Freude auf das anschließend servierte Duo von Hummer und Lachs nicht getrübt wird. Den Lachs hat die Küche mit fein gehackten Kräutern zu einer Nocke verarbeitet, die neben den kleinen, aus den Zangen gelösten Hummerstücken auf einem Bett aus Kürbismousse thront, umspült von einer intensiv gelben Fischsauce. Das schmeckt wie die Erinnerung an eine Zeit, in der Köche noch keine Türmchen bauten oder Reagenzgläser benutzten. So altmodisch zu kochen, ist schon wieder mutig.

Keine Experimente! Schließlich war Bocuse der Adenauer der Haute Cuisine und Jean-Paul Bossée ist - zumindest an diesem Tag- sein folgsamster Jünger. Jetzt wollen wir aber auch den Hauptgang, ein Filet mignon vom Kalb, ganz so wie ER ihn zubereitet hätte. Kein Schnickschnack, keine Ablenkung. Und so liegt es kurze Zeit später auch tatsächlich vor uns. Wir schließen die Augen, beißen in das zarte Stück und lassen den leichten Anflug von Honig und Koriander wirken, der sich unaufdringlich dazugesellt. "Respecter le produit!" steht in der Bocuse-Bibel als erstes Gebot, und Bossée hat sich streng daran gehalten. Da braucht es keine mächtige Sauce aus einem tagelang eingekochten Fond. Der Bratensaft mit einer zur Unsichtbarkeit klein geschnittenen Julienne genügt vollkommen.

Auch beim Dessert wird das Versprechen gehalten: Die Fondant-Schokolade läuft wie Lava aus der Schoko-Tarte und bildet zum Eis aus Kokosmilch einen würdigen Antagonisten. Die nostalgische Reise in eine vergangene Koch-Epoche ist rundum geglückt. Es hätte weiß Gott schief gehen können. Beim Passieren des Ortsschild liest man auf einmal ein Fragezeichen am Ende des schönen Ortsnamens: Willgottheim? Nein, so nehmen wir an, er würde hier bleiben wollen.

© SZ vom 03.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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