Im Alten Kino:"Schifoahn" interruptus auf Country Roads

Altes Kino, Speckmann & Pusch

Auf Zuruf aus dem Publikum greifen Bastian Pusch und Andreas Speckmann Titel und Interpreten auf.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Das Duo "Notenlos" verbindet scheinbar unvereinbare Musikstile zu verblüffend neuen Klangerlebnissen

Von Ulrich Pfaffenberger, Ebersberg

Der hohen Kunst der Improvisation zu begegnen, ist im Konzertsaal und im Jazzkeller keine Überraschung, selbst auf der Rock-Bühne gehört sie zum guten Ton. Für die meisten dürften daher Pop und Schlager als improvisatorisches Niemandsland gelten. Es sei denn, sie haben am Freitagabend im Alten Kino den Auftritt des Duos Notenlos verfolgt. Dann sieht die Welt heute ganz anders aus, hört sich auch anders an.

Auf Zuruf aus dem Publikum greifen Bastian Pusch und Andreas Speckmann Titel und Interpreten auf, packen aus der Tiefe von Raum und Wissen Stilrichtungen und Tonlagen dazu und erzeugen so verblüffende Klangerlebnisse. "Country Roads" lieber als Rondo von Mozart oder in der La Brass Banda-Version "Auf der Landstraß' bin i dahoam"? Als Medley im Stil von Daliah "Police" Bach-Lavi oder in der Opernfassung aus Verdis Fragment "Reise der Aida über die Landstraße"? Die Grenze zum musikalischen Ulk liegt da nahe, wobei echte Heiterkeit dem deutschen Musikbetrieb nicht schadet. Aber, dass es einem die Tränen vor Lachen in die Augen treibt, als Pusch den Grönemeyer gibt, und man gebannt darauf wartet, mit welchem Trick Speckmann dem Funk im Stil eines Prince den letzten Dreh gibt, das ist hohe Kunst: die Kunst des musikalischen Kabaretts.

Verbunden ist sie mit ausgesucht feinsinnigem Gespür für die richtige Technik im richtigen Moment. Womit nicht nur Spieltechnik gemeint ist, sondern auch die Elektronik der beiden E-Pianos. Mit einem analogen Klavier ließen sich die meisten Effekte, die Simulation von Instrumenten und ganzen Klangkörpern, nie erzielen. Doch die beiden lassen sich nicht von der Technik beherrschen, sie spielen mit ihr in einer Art, wie nur Könner und Kenner es können, die sich blind auskennen im literarischen Unterholz von E- und U-Musik. Beatbox, Hiphop, Folkrock, Swing - die Bandbreite ihres Repertoires scheint grenzenlos, ihre Textsicherheit auch.

Nur so lässt sich erklären, wie es ihnen gelingt, Nils Holgerssons "Flieg nicht so hoch, kleiner Gänserich" mit "Highway to Hell", "Coming home for Christmas", mit "Ich geb' Gas" und "King of he road" und "Dave is on the road again" glaubwürdig in Einklang zu bringen. Eine vollkommenere Hommage an die B 304 war nie zu hören, nicht einmal im zweiten Set des Abends, als in einem aus Zuschauer-Vorschlägen geschmiedeten Musical namens "Rainer, die Wildsau aus Ebersberg" der Titelheld mit der geliebten Hebamme Helga in den Sonnenaufgang fährt, "Wasserburg rules". Es ist die reine Freude, an Pusch und Speckmanns absurdem Wortwitz teilhaben zu dürfen. Aus willkürlich hingeworfenen Puzzlestücken zaubern sie ein Tonbild, das so noch keiner kennt, lassen über dem Wummern der Hammond-Bässe die spitzen Zungen der Verbalakrobatik tanzen und senden blitzende Verse ins Dunkel des Piano-Donners. Poetry-Slam-Fans hätten ihre helle Freude an solchen Einfällen.

Nur scheinbar fügt sich der dritte und letzte Teil ins Programm. Pusch und Speckmann sitzen an ihren Pianos und lassen sich Wunschtitel aus dem Publikum zurufen. Sobald jemand den Buzzer drückt, wird die laufende Nummer unterbrochen und der nächste Titel beginnt. Wie Zappen an der HiFi-Anlage, nur live. Doch die beiden Musiker liefern sich der schieren Willkür aus, bereit für den Beweis, dass ihnen nichts fremd und heilig ist, was in den Ohren der Generation Bayern 3 klingt, inzwischen umgesiedelt nach "B1". Die anfängliche Zurückhaltung unter den Zuhörern weicht denn auch schnell. In immer kürzeren Abständen stürmt jemand nach vorn, um zugunsten des eigenen Favoriten den Vorläufer stillzulegen. Ob die Melodie schon ganz zu hören war, ob der Refrain schon erreicht ist - egal. Selbst Heiligtümer wie "Schifoan" werden abgewürgt. Dreizweieins meins. Es ist widerlich. Genauso wie einst beim Schulball, als die selbsternannten besseren "Aufleger" sich der Position am Regler bemächtigten, um ihren Ton anzugeben. Es kommt zum schnellen Vorlauf mit dem haltlosen Versprechen "das nächste ist noch besser".

Man könnte Mitleid mit den Musikern haben, die trotz cantus interruptus ihre musisexuelle Frustration einfach wegspielen. Perfektionisten, die sie sind, lassen sie uns aber vermutlich nur Zeugen eines blutigen Experiments sein: Haben wir vor Gourmets gespielt oder vor Gourmands? Der kräftige, leicht johlende Applaus lässt vermuten, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt, schmachtend am Rand der Landstraße.

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