Deutsche Nationalhymne:Blühe, deutscher Bundesstaat!

Fußballfans singen 2010 die deutsche Nationalhymne

2010 sangen die Fans beim Public Viewing in Hamburg noch den altbekannten Text der Nationalhymne. Die Gleichstellungsbeauftragte der Bundesrepublik will das ändern.

(Foto: picture alliance / dpa)

Abschied vom "Vaterland"? "Couragiert" statt "brüderlich"? Der Vorschlag, den Text der deutschen Nationalhymne von Hoffmann von Fallersleben geschlechtsneutral umzudichten, birgt einige Tücken.

Von Johan Schloemann

Die Gleichstellungsbeauftragte im Bundesfamilienministerium, Kristin Rose-Möhring, hat vorgeschlagen, die deutsche Nationalhymne umzuschreiben, also die dritte Strophe von Hoffmann von Fallerslebens "Lied der Deutschen". Auch wenn Bundeskanzlerin Merkel inzwischen mitteilen ließ, sie sehe "keinen Bedarf einer Änderung", ist die Aufregung groß, nicht nur bei der AfD.

Allerdings gilt diese Aufregung eher der verhassten politischen, aber leider bisher kaum der metrischen und sprachlichen Korrektheit. Denn auch wenn man die Voraussetzung erst einmal akzeptiert, dass der Text aus dem Jahr 1841 geschlechtsneutral zu verändern sei, wie es etwa Kanada und Österreich mit ihren Hymnen auch schon getan haben - auch dann ist Rose-Möhrings Umdichtung nicht ohne Tücken.

Ihr erster Vorschlag, den Vers "Brüderlich mit Herz und Hand!" durch "Couragiert mit Herz und Hand!" zu ersetzen, kann nicht auf das "Studium der Angewandten Sprachwissenschaften" zurückgehen, das der Lebenslauf von Kristin Rose-Möhring ausweist. Denn das Versmaß, ein katalektischer trochäischer Vierheber, verlangt am Anfang der Zeile ein anfangsbetontes Wort. "Couragiert..." passt also, weil endbetont, gar nicht in den Vers. Jede Fußballfankurve würde beim Grölen der Hymne darüber stolpern. Damit fiele auch das stilistisch ähnlich schöne "Engagiert..." außer Betracht. Wie könnte man also "Brüderlich..." sonst emendieren? Mit anfangsbetonten Varianten wie "Voller Freud", "Voller Kraft" oder "Gleichen Sinns". Oder auch, wenn ein äquivalentes Adjektiv gesucht wird: "Gleichgesinnt" oder "Freundschaftlich".

Nicht in der Metrik, aber dafür in der Wortwahl fragwürdig ist der zweite Neutralisierungsversuch der Gleichstellungsbeauftragten: Kristin Rose-Möhring möchte das zweimal in der Hymne vorkommende "Vaterland" durch "Heimatland" ersetzen. Zum einen aber ist dieses "Heimatland" kaum einmal in der deutschen Literatur belegt, was den einfachen Grund hat, dass das einfache "Heimat" ausreicht. Zum anderen klingt "Heimatland" heute stark nach einer Lehnübersetzung des englischen "Homeland", was sogleich Assoziationen mit einem Heimat(schutz)ministerium erzeugt.

Gewiss ist das "Vaterland" patriarchalischen Ursprungs, weil früher jede Abstammung, jedes ererbte Land ans männliche Familienoberhaupt geknüpft war. Aber davon hat sich der massenhafte metaphorische Gebrauch des Wortes, so altmodisch wir es auch heute finden, ziemlich weit gelöst, so wie etwa auch die Marseillaise mit den "Kindern des Vaterlandes" beginnt, oder wie Heinrich Heine über eine Englandreise schrieb: "Als ich das Vaterland aus den Augen verloren hatte, fand ich es im Herzen wieder."

"Blühe, deutsches Heimatland!" hingegen klänge in Zeiten des Rechtspopulismus, ob gewollt oder nicht, viel nationalistischer, viel mehr nach eigener Scholle und ethnischer Abschottung. Mal ganz abgesehen davon, dass im demokratischen Vormärz-Nationalismus, aus dem der Text stammt, die Betonung vor allem auf "deutsches" lag, im scharfen Protest gegen die fürstliche Kleinstaaterei. Wollte man das "Vaterland" also tatsächlich zugunsten heutiger Gesinnungen abschaffen, müsste man eher so etwas vorschlagen wie "Blühe, deutscher Bundesstaat!", was auch ins Metrum passt und den Verfassungspatriotismus befördern würde, allerdings um den Preis einer gewissen emotionalen Abkühlung, den man für puren Verfassungsstolz eben zu bezahlen hat.

Eine gewisse Spannung zur Gegenwart sollte man aushalten

Angesichts solcher Schwierigkeiten stellt sich natürlich die Frage, ob die zeitgemäße Korrektur eines alten Hymnengedichts überhaupt ratsam sei. Wer sich mit Hoffmann von Fallersleben beschäftigt, wird schnell zugestehen müssen, dass dieser Philologe, Schwadroneur und Gebrauchsdichter tatsächlich vor allem männerbündische Versammlungen von Saufbrüdern als Publikum im Sinn hatte. Der erwähnte Heine fand in Hoffmanns Lyrik bloß "schlechte Späßchen, um Philister zu amüsieren bei Bier und Tabak".

Auch die scheinbar frauenfreundlichere zweite Strophe des Deutschlandliedes, die seit einem Briefwechsel zwischen dem damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss und Bundeskanzler Konrad Adenauer 1952 offiziell nicht mehr zur Hymne gehört, empfiehlt sich nicht als Ersatz, ist sie doch nicht unbedingt emanzipierend, sondern mindestens gomringersch gemeint: "Deutsche Frauen, deutsche Treue, / Deutscher Wein und deutscher Sang / Sollen in der Welt behalten / Ihren alten schönen Klang..." (Ergänze: Ein Bewunderer...)

Stimmt sicher alles - doch sollte man nicht so viel historisches Bewusstsein haben, dass man eine gewisse Spannung zur Gegenwart aushalten kann? Wie viel Identifikation erwartet man überhaupt? Jeder sollte wissen, dass der Nationalismus des 19. Jahrhunderts teils freiheitlich-demokratische, teils zerstörerische Folgen hatte. Beides steckt im Deutschlandlied (das mit der von Joseph Haydn immerhin eine der schönsten Melodien aller Hymnen hat). Ebenso sollte man wissen, dass sich die Sicht auf die Gleichberechtigung der Frau seitdem stark verändert hat.

Man könnte auch so argumentieren: Wenn der Nationalismus heute ohnehin als problematisches, gar männliches, aber vielleicht notwendiges Gemeinschaftskonstrukt gesehen wird, warum sollen dann seine historisch bedingten Symbole das nicht auch widerspiegeln? Auch wer andere Hymnen singt, greift ja heute nicht gleich zu den Waffen oder hat "das Schwert und das Zaumzeug bereit", wie es in Mexikos Hymne heißt. Bevor es wirklich mal dazu kommt, dass man Hoffmanns Text ändert, sollte man vielleicht lieber sein Kinderlied "Auf unsrer Wiese gehet was" zur Hymne machen. Da kommt in der zweiten Strophe ein anderes Geschlecht zu seinem Recht: "Ihr denkt, es ist der Klapperstorch (...) Nein, es ist Frau Störchin!"

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