Biografie:Wie Wein und Wasser

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Erika Mann und Therese Giehse waren zwei gegensätzliche Frauen, die doch einiges verband: Eine problematische Liebe und ihr künstlerisches Engagement. Über ihre vielfältige Beziehung hat die Münchner Autorin Gunna Wendt nun ein Buch geschrieben

Von Yvonne Poppek

Es gibt ein Foto von November 1935, das zeigt Erika Mann im Pierrot-Kostüm. Die schwarzen Haare der großen, schlanken Frau sind kurz geschnitten. Ihr Gesicht ist im Profil zu sehen, sie wirkt in sich gekehrt, knabenhaft, gleichzeitig heroisch und zerbrechlich. Von Therese Giehse existiert eine Aufnahme ungefähr aus der gleichen Zeit. Auch sie ist, wie Erika Mann, in einer Nummer des politischen Kabaretts "Die Pfeffermühle" zu sehen. Therese Giehse sitzt eine schauerliche Blondperücke auf dem Kopf, sie steckt in einem sackartigen Kleid, das um die Körpermitte so gegürtet ist, als existierte keine Taille. Halb geschlossene Lider, vorgeschobenes Kinn, perfekt verleiht Giehse ihrem Gesicht den Ausdruck fast schon aggressiver Selbstzufriedenheit. "Die Dummheit" heißt ihre Rolle. Wie auch sonst.

Hält man diese beiden Fotos nebeneinander, scheint es kaum Verbindendes zu geben, hier die moderne, androgyne, hübsche Frau, die sich ausprobiert, dort die im Dienst des Theaters stehende, über alle Attraktivität erhabene Schauspielerin. Aber dennoch: "Sie hatten die Chance, ein Traumpaar zu werden und zu bleiben: Erika Mann und Therese Giehse, denn sie waren so gegensätzlich wie man überhaupt nur sein kann, und das scheint oft die Basis großer Liebesbeziehungen und Freundschaften zu sein", schreibt Gunna Wendt. Es ist das Fazit, das die Münchner Autorin in ihrem Buch "Erika und Therese" (Piper Verlag) nach etwa 270 Seiten Doppelporträt zieht. Es ist ein ebenso schlichtes wie einleuchtendes.

In ihrer Auseinandersetzung mit den Biografien dieser beiden Frauen hat sich Wendt auf die gemeinsamen Jahre von Erika Mann und Therese Giehse konzentriert. Im März 1927 lernten die sich in München kennen, Anfang 1937 zerbrach ihre Beziehung in den USA. "Diese Jahre sind für mich die spannendste Phase", sagt Wendt. Die starke Gegensätzlichkeit der beiden sei der Antrieb gewesen, dass sie sich dem Buchprojekt gewidmet habe. Entstanden ist eine Mischung aus Biografie und Roman. Wendt stützt sich auf historische Daten: "Die Ereignisse erfinde ich nicht, auch nicht die Begegnungen", sagt sie. Die Gewichtung des historisch belegten Materials liege allerdings bei ihr, erklärt sie. Wendt fühlt sich in dieser Herangehensweise dem Fernsehen und Kino verwandt, nennt in diesem Zusammenhang Fritz Lehners Schubert-Film "Mit meinen heißen Tränen", "Molière" von Ariane Mnouchkine oder Paul Schraders "Mishima".

Mehrere Jahre verband sie eine innige Liebe, später, wie auf dem Foto, das 1947 entstanden ist, eine Freundschaft: die Schauspielerin Therese Giehse (links) und die Schriftstellerin und Schauspielerin Erika Mann. (Foto: Münchner Stadtbibliothek / Monacensia)

Diese Vorgehensweise ist nicht wissenschaftlich, insofern für eine reine Biografie natürlich angreifbar. Aber ihre Bücher behaupten sich zwischen Biografie und Roman. "Erika und Therese" ist nicht das erste Buch dieser Art von Gunna Wendt. Sie hat sich so einigen bekannten Persönlichkeiten genähert, meist Frauen. Viele von ihnen haben etwas mit München zu tun, lebten auch Anfang des 20. Jahrhunderts: Franziska zu Reventlow etwa, Lena Christ, Liesl Karlstadt. Wendt erweitert zunehmend diese Gesellschaft, fühlt sich wohl in dieser Ära. Mittlerweile hat sie einen Punkt erreicht, "zu dem ich mich in diese Zeit hineinversetzen kann", sagt Wendt. Es funktioniere fast wie auf Knopfdruck.

Die vergangenen zwei Jahre hat sie sich also wieder intensiv ein Jahrhundert zurückversetzen können: Erika Mann, das erste Kind von Thomas und Katia Mann, wurde 1905 in München geboren und starb 1969 in der Schweiz. Mit dem zweitgeborenen Bruder Klaus war sie eng verbunden, oft stellten sie sich als Zwillinge vor. "Erika Mann hatte alle Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, sie hatte viele Talente, hat vieles ausprobiert", sagt Wendt. Sie liebte Theater und Literatur, stand selbst auf der Bühne, schrieb Texte. Sie probierte Drogen aus, reiste um die Welt, fuhr gerne und schnell Auto, konnte diese sogar reparieren. Aber sie übernahm - geprägt als älteste von sechs Geschwistern - auch Verantwortung für andere. "Sie hatte immer ihre Zöglinge", sagt Wendt. "Dieses fürsorgliche Moment habe ich erst spät entdeckt."

Rein äußerlich sei das Leben von Erika Mann aufregender als das von Therese Giehse, sagt die Autorin. Ausführlich hat Wendt recherchiert, beispielsweise im Literaturarchiv der Monacensia. Dort befinden sich die Nachlässe der beiden Frauen - neben weiteren Briefen, Manuskripten und anderen Archivalien der Familie Mann. Von Erika Mann lassen sich die Unterlagen - Briefe, Fotos, Notizen, Stücke - sogar digital nachlesen. Die Quellenlage zu Erika Mann ist demnach umfangreicher als die der beliebten Münchner Schauspielerin. Giehse wurde 1898 als jüngstes von fünf Kindern des jüdischen Kaufmannsehepaars Gertrude und Salomon Gift in München geboren. Für sie war früh klar, dass sie Schauspielerin werden will - und diesen Weg verfolgte sie zielstrebig. Nach Schauspielunterricht und Lehrjahren in der Provinz reüssierte sie von 1926 an im Ensemble der Kammerspiele. Das Publikum war von ihr hingerissen, darunter auch Thomas Mann und seine Familie.

In ihrem Doppelporträt zeichnet Wendt die Wege der Frauen nach, widmet sich wechselweise in kurzen Kapiteln den Ereignissen in beider Leben. Erst mit der Gründung des Kabaretts "Die Pfeffermühle" am 1. Januar 1933 erzählt Wendt die Entwicklungen nicht mehr parallel, sondern führt sie zusammen. "Die Pfeffermühle" ist das gemeinsame Projekt der Frauen. Erika Mann schrieb rückblickend darüber: "Gründer: Klaus und ich, die Giehse und Magnus Henning, unser Musikus. Was wollten wir? Die Nazis bekämpfen. Deshalb nannten wir uns ,literarisch'. Aus Berechnung und - obwohl wir auch das waren - unvermeidlich, quasi heillos, von Haus aus. Regie: Giehse; Star: Giehse; Co-Direktion: Giehse."

In "Erika und Therese" sind die Kapitel zur "Pfeffermühle" die dichtesten. Tatsächlich sind aber auch die Entwicklungen rasant, der Mut des Ensembles zu politischem Kabarett ist unglaublich, zumal ihre Bühne in der Neuturmstraße ans Hofbräuhaus angrenzte, einen beliebten Veranstaltungsort der Nazis. "Den Mut hab ich bewundert", sagt Wendt. "Dass die Angst nicht ihr Handeln bestimmt hat." Die Zeit des Kabaretts in München dauerte nur kurz. Bereits im März 1933 flohen beide in die Schweiz. In Zürich belebten sie ihr Projekt neu, gingen auf Tournee, wurden genauso geschätzt wie bedroht. In Amerika gehen ihre Wege schließlich auseinander: Therese Giehse blieb die Kultur und vor allem die Sprache fremd, Erika Mann jedoch wollte dort ihren Weg gehen. Die Konsequenz war die Trennung.

So unterschiedlich die beiden Frauen auch gewesen seien, so habe sie doch keinen Liebling unter den beiden, sagt Wendt. Beide seien sehr integer gewesen, nicht korrumpierbar, seien überzeugt gewesen von dem, was sie taten. Ihre persönliche Lehre aus der Beschäftigung mit Erika Mann und Therese Giehse sei deshalb: "Das zu tun, was man selbst richtig findet. Sich nicht von außen abhängig zu machen." Und dann noch: "Die Mischung aus beiden wäre es: so geerdet wie Therese Giehse und so experimentierfreudig wie Erika Mann."

Gunna Wendt: Erika und Therese , Lesung am Do., 8. März, 20 Uhr, Bücher Lentner, Balanstraße 14

© SZ vom 08.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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