Kopftuch-Urteil:Recht auf Zumutung

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Darf eine Rechtsreferendarin aus religiösen Gründen im Gerichtssaal ihr Haar bedecken? Nein, hat nun der Bayrische Verwaltungsgerichtshof entschieden. Doch auch, wenn der Fall ein Grenzfall ist: Das Urteil schränkt die Religionsfreiheit zu sehr ein.

Von Matthias Drobinski

W enn eine Rechtsreferendarin aus religiösen Gründen ein Kopftuch trägt - darf sie dann im Gerichtssaal arbeiten? Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat dies verneint und ein Urteil des Augsburger Verwaltungsgerichts aufgehoben, aus formaljuristischen Gründen. Das aber wird dem Verhältnis von individueller Glaubensfreiheit und der Pflicht des Staates zu weltanschaulicher Neutralität nicht gerecht.

Zugegeben: Dies ist ein Grenzfall. Im Gerichtssaal tritt der Staat dem Bürger mit aller Gewalt gegenüber. Er kann ihn ins Gefängnis schicken oder freisprechen, ihm Strafen auferlegen, Entschädigungen zusprechen. Wer immer vor Gericht erscheinen muss, hat das Recht auf unvoreingenommene Richter und Staatsanwälte. Und es gibt Situationen, in denen jemand eine Justizvertreterin mit Kopftuch für befangen halten kann, gerade, wenn es um Fragen der Religion, Sitte und Moral geht.

Der Anspruch des Bürgers auf Neutralität bedeutet aber nicht, dass er vor Gericht nur auf glaubensfreie Menschen treffen darf - ein solcher überzeugungsfreier Gerichtssaal ist eine Fiktion. Richter und Staatsanwälte sind konservative Christen und linke Agnostiker, Buddhisten, Juden, Atheisten. Sie dürfen sich dazu bekennen, und das ist gut so. Ihre Neutralität besteht darin, dass sie sich in ihrer Verhandlungsführung und in ihren Urteilen nicht von ihrer Religion und ihren Überzeugungen leiten lassen. Sie dürfen das Recht nicht als Instrument zur Durchsetzung ihrer Weltanschauung einsetzen. Eine Richterin, die mit ihren Urteilen ein bisschen Scharia in Deutschland einzuführen versucht, darf so wenig einen Platz im Rechtsstaat haben wie ein Staatsanwalt, der seine Arbeit als gute Möglichkeit begreift, den Islam in Deutschland zu eliminieren. Nur muss das im Einzelfall nachgewiesen werden.

Ansonsten steht im Prinzip das konkrete Recht auf Glaubensfreiheit des Einzelnen über dem Recht der anderen, mit diesem Glauben nicht konfrontiert zu werden. Das gilt erst recht für den Fall der Rechtsreferendarin, die lediglich eine Ausbildung am Gericht macht. Es gibt zudem von ihr keine einzige Äußerung, die an ihrer Rechtstreue zweifeln ließe.

Wer alles Religiöse verbannen will, hofft - vergebens - auf eine konfliktfreie Gesellschaft

Religionsfreiheit ist das Recht auf gegenseitige Zumutung. Es ist um dieser Freiheit willen zumutbar, eine Frau mit Kopftuch im Gerichtssaal zu ertragen. Es müsste aber auch der Referendarin zugemutet werden, diesen Gerichtssaal zu verlassen, wenn sie befangen sein könnte. Das Recht auf gegenseitige Zumutung hat seine Grenzen. Eine Burka hätte bei keiner Staatsvertreterin etwas zu suchen: Der Bürger kann erwarten, auf ein offenes Gesicht zu treffen.

Religionsfreiheit heißt, sich durchs Dickicht vieler schwieriger Fälle schlagen zu müssen. Aber alles andere ist in einer pluralen Gesellschaft eine Illusion. Die Auseinandersetzung ist ja nicht weg, wenn man religiöse Symbole aus dem Gerichtssaal verbannt, gar insgesamt aus dem öffentlichen Leben. Wer das fordert, hofft oft auf eine konfliktfreie und homogene Gesellschaft. Doch die lässt sich nicht schaffen - auch nicht damit, den Islam zu einer Religion minderen Rechts zu erklären, wie es die AfD wünscht.

Und sollte es einmal eine Richterin mit Kopftuch geben, die den muslimischen Vater hart bestraft, weil er seine Tochter zwangsverheiraten wollte - dann könnte das dem Rechtsstaat sehr dienen.

© SZ vom 08.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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