Fernost:Sieben Höllen

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Dennis Gastmann reist nach Japan. Er schont dabei weder sich noch das Land noch die angeheiratete Verwandtschaft.

Von Hans Gasser

Selbst wer nie in Japan war, hat eine bestimmte Vorstellung davon, zum Beispiel: Alle sind höflich, alle arbeiten sich fast zu Tode und in ihrer wenigen Freizeit verkleiden sich Frauen als Mangafiguren und Männer schnüffeln an benutzten Damenslips, die sie aus einem Automaten gezogen haben. Vielen Europäern ist das Land fremd, gleichzeitig aber vertrauter als etwa China oder Indonesien. Man glaubt etwas zu wissen und weiß doch gar nichts.

Diese Erkenntnis ist nicht die schlechteste Haltung für einen Autor, der sich wie Dennis Gastmann aufmacht, in wenigen Wochen das Land zu durchreisen, um darüber ein Buch zu schreiben. Dass er diese Reise mit seiner frisch angetrauten Frau in den Flitterwochen unternimmt, ließe für den Text eigentlich nichts Gutes erhoffen. Weil aber diese Frau Halbjapanerin (eine "Halbe", wie sie sich selbst nennt) ist und die Reise immer wieder zu ihren Verwandten führt, inklusive Gastmanns umtriebiger Schwiegermutter Katsumi ("die Schönheit des Sieges"), entwickelt das Buch von Anfang an einen Sog, dem man sich nicht entziehen möchte.

Die beiden Frauen spielen eine wichtige Rolle in der amüsanten, sehr subjektiven Reiseerzählung, sie dienen als Reiseleiterinnen, Übersetzerinnen und Welterklärerinnen. Dass Gastmann sich seiner Frau Natsumi, einer bis in die Haarspitzen rationalen Controllerin, immer wieder mal wie ein störrisches Kind widersetzt, wenn sie ihn im Schnelldurchlauf durch das Land peitscht, birgt einiges an Komik. Selbstironie gehört für ihn dazu. Als Gastmann, der vor sieben Jahren schon einmal in seiner Funktion als Autor und Moderator der NDR-Sendung "Mit 80 000 Fragen um die Welt" in Japan gewesen ist, nun mit Natsumi am Harajuku-Bahnhof nach den Cosplayern sucht, jenen als Comicfiguren verkleideten Menschen, outet er sich als vorgestrig. Nach längerem Zögern antwortet ihm ein Junge auf die Frage nach dem Ausbleiben der exzentrisch Verkleideten: "Wissen Sie, dieses Cosplay-Ding ist lange vorbei. Spielt es da, wo Sie herkommen, noch eine Rolle?"

Dennis Gastmann: Der vorletzte Samurai. Ein japanisches Abenteuer. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2018. 256 Seiten, 19,95 Euro. E-Book 16,99 Euro. (Foto: Verlag)

Überhaupt ist Gastmann ein talentierter Beobachter, der das Skurrile und das Aberwitzige sprachlich fein und pointenreich herausschält. Natürlich spielt er mit den ganzen Klischees, von der Robotermanie über den Hygienefimmel bis zu den nur in Spurenelementen vorhandenen Englischkenntnissen selbst weit gereister Japaner. So redet er beim Familienessen auf seinen Cousin ein, bis ihn Natsumi zur Seite nimmt. "Wer sollte denn ahnen, dass er zwar Jahre in Manhattan verbracht hatte, aber kaum Englisch verstand?"

Man erfährt so manches über japanische Familienverhältnisse und die große Angst vieler Japaner, Fremden und Vorgesetzten gegenüber das Gesicht zu verlieren. Es gibt nur einen Ort, wo diese Angst außer Kraft gesetzt wird, durch den Genuss von Bier und Sake: das Izakaya, die japanische Kneipe, die oft nur aus einem Tresen besteht und in der man das beste Essen und die schlechtesten Freunde bekommen kann oder umgekehrt. Gastmann und Natsumi suchen deshalb viele Izakayas auf, sie treffen Trinker und Taxifahrer, gealterte Friseure, besoffene Australier und schweigsame Wirte. Die Verwandlung der Japaner in diesen Kneipen schildert Gastmann so: "Leise wird laut, devot wird dominant, und aus dem, der eben noch seine Kunden hofierte, wird einer, der erst johlt, dann schreit und mit einem letzten ,Kampai!' auf den Tresen drischt, bevor er in den Schoß seines Abteilungsleiters sackt." Am nächsten Tag erscheint er natürlich pünktlich im Büro: "Makellos wie eh und je, wird niemand auf die Idee kommen, ihn auf all das anzusprechen. Was im Izakaya geschieht, bleibt im Izakaya."

Es ist der modernste Zug der Welt, die Tickets aber rattern aus dem Nadeldrucker

Das junge Paar "Gasutomang", wie die Gastgeber dessen Namen aussprechen, reist landestypisch mit dem Shinkansen-Schnellzug durch das Land, von Tokio bis nach Hokkaido und wieder runter auf die vulkanbestimmte Südinsel Kyushu. Dabei geht es auch viel um diese Art des Reisens und die Widersprüchlichkeiten eines von Technik sehr faszinierten Volkes. So gibt es hier zwar wohl die meisten Roboter und technischen Geräte pro Kopf, wer aber als Ausländer mit einem Japan Rail Pass durchs Land fahren will, muss ganz analoge Prozeduren über sich ergehen lassen. Die Staatsbahn sei zwar vor 30 Jahren privatisiert worden, doch die Ausstattung scheine in den Achtzigern stecken geblieben zu sein: "Nostalgisch ratterten die Nadeldrucker hinter den Tresen der Beschäftigten, die noch mit Taschenrechnern hantierten. Im surrenden Röhrenlicht wirkten sie ähnlich fahl wie die Spiralkabel an den telekommunikativen Knochen, mit denen sie ins Land hinausriefen." Ein Mitarbeiter druckt ihnen dann tausend Reservierungszettelchen und Verbindungen für ihre Fahrt einzeln aus und erklärt das alles wortreich seiner Frau. Gastmann dazu: "Geduld ist die Kunst, nur langsam wütend zu werden, heißt es im Japanischen."

Die Sehenswürdigkeiten, die die beiden besuchen, sind zumeist die klassischen, vom Roboterrestaurant in Tokio über die Kieferninselchen von Matsushima und das Geisha-Viertel Kyotos bis hin zu den sieben Höllen von Beppu, dem alten, etwas schrägen Thermalort. Doch egal wohin der Autor kommt, die hohen Erwartungen, die er mitbringt und die er sich teils aus historischer Literatur erlesen hat, werden fast immer enttäuscht. Zu viele Touristen, zu viel Kommerz, zu viel Beton.

Das liest sich sehr unterhaltsam für Sofareisende und hat ehrlichen Informationswert für Japan-Aspiranten. Was das Buch aber ausmacht, sind die präzisen Beobachtungen von Menschen und ihren Verhaltensweisen, ob das die eigene Verwandtschaft ist, der berühmteste Deutsche in Japan oder ein Hoteldirektor. Und auch wenn Gastmann schließlich in aufopferungsvoller Recherche noch dem hartnäckigen Mythos des gebrauchten Damenslips aus dem Automaten nachgeht: Am Ende des Buches hat man zwar viel über das Land erfahren, aber verstanden, nein, verstanden hat man es nicht.

© SZ vom 13.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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