Berufsverbot:Wenn dem Freistaat ein angehender Lehrer nicht gefällt

Berufsverbot: Ein Feind der Verfassung, urteilt der Verfassungsschutz. Nur hochschulpolitisch engagiert, entgegnet Benedikt Glasl. Er klagt nun.

Ein Feind der Verfassung, urteilt der Verfassungsschutz. Nur hochschulpolitisch engagiert, entgegnet Benedikt Glasl. Er klagt nun.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Benedikt Glasl würde gerne Lehrer werden, darf aber nicht - denn er gehörte früher zwei linken Gruppen an. Das Vorgehen der Behörden ist rechtlich fragwürdig und wird nun vor Gericht geklärt.

Von Jakob Wetzel

Einen Lehrer wie Benedikt Glasl könnte sich der Staat nur wünschen, zumindest glauben das seine Kollegen. "Eine Bereicherung für die gesamte Schule" sei der 34-Jährige, schrieben zuletzt zwei Dutzend Lehrerinnen und Lehrer der Mittelschule an der Guardinistraße an die Regierung von Oberbayern. Glasl, der derzeit dort hospitiert, sei zuverlässig, interessiert und kritikfähig. Er bringe sich ein und werde von Schülern und Kollegen geschätzt. Doch einer von ihnen darf Glasl nicht werden. Er darf nicht einmal alleine vor der Klasse zu den Schülern sprechen. Denn aus Sicht der bayerischen Behörden ist der Mann eine Gefahr für die Kinder.

Benedikt Glasl ist kein Verbrecher, er ist auch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Sein Problem ist: Der Münchner hat sich vor fünfeinhalb Jahren gegen Studiengebühren und auch zum Beispiel gegen militärische Forschung an staatlichen Hochschulen engagiert, und zwar in einer fragwürdigen linken Studentengruppe. Und wie aus Dokumenten hervorgeht, die der Süddeutschen Zeitung vorliegen, genügt das, um ihn in den Augen des Landesamts für Verfassungsschutz zum möglichen Verfassungsfeind zu machen. Daher weigert sich die Regierung von Oberbayern, ihn ins Referendariat zu übernehmen.

Freilich: Ob es dabei bleibt, entscheidet nun ein Gericht. Denn die Frage ist nicht nur, ob sich der Freistaat wirklich vor einem wie Glasl schützen muss. Die Frage ist auch, ob sich die Behörden eigentlich an Recht und Gesetz gehalten haben.

Wer verstehen will, was Benedikt Glasl widerfährt, muss die Uhr um Jahrzehnte zurückdrehen, bis zum Kalten Krieg. Konservative Politiker hatten damals Angst, Kommunisten könnten den Staat unterwandern. Besonders nach dem sogenannten Radikalenerlass von 1972 mussten sich zahllose Staatsdiener einer Gesinnungsprüfung unterziehen. Heute gibt es eine solche Prüfung nur noch in Einzelfällen, aber der Grundsatz gilt: Laut Gesetz darf nur Beamter werden, wer "die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten".

Benedikt Glasl nun wäre als Referendar Beamter auf Widerruf. Nach dem ersten Staatsexamen hat er sich im April 2017 um die Aufnahme in den Vorbereitungsdienst beworben, am 11. September hätte dieser beginnen sollen. Doch dazu kam es nicht.

Konkret geht es bei Glasl um den Sozialistisch-demokratischen Studierendenverband (SDS), eine Untergruppe der Linkspartei. Etwa zwei Jahre engagierte er sich dort aktiv, half sogar ein halbes Jahr im Bundesvorstand mit. Darüber hinaus wurde er 2012 Mitglied in der "Linksjugend Solid". In beiden Verbänden blieb er Mitglied bis April 2017 - und beide gelten dem bayerischen Verfassungsschutz als extremistisch: "Solid" wolle das Privateigentum an Produktionsmitteln abschaffen, der SDS plädiere für die Überwindung des Systems, teilt das Amt mit. Zu Glasl will sich der Verfassungsschutz wegen des Datenschutzes nicht äußern. Doch in einem vertraulichen Brief an die Bezirksregierung resümiert er, Glasl habe "mehrere Jahre Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung" unterstützt und nicht glaubhaft machen können, dass er sich davon abgewendet habe.

Glasl allerdings ist nach eigenen Angaben keineswegs vom Klassenkampf beseelt. Seine Beweggründe gehen aus einer Erklärung hervor, die er im September an die Regierung geschickt hat, sowie aus dem Protokoll einer Anhörung vom 11. Januar. Da trafen sich Glasl und sein Anwalt Gerd Tersteegen mit drei Behördenvertretern. Er sei nie gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gewesen, versicherte Glasl hier. Er habe sich nur hochschulpolitisch engagiert. Zum SDS sei er über seine damalige Freundin gekommen; die Münchner Ortsgruppe sei lose organisiert und winzig gewesen, mal waren sie zu dritt, mal immerhin zu siebt.

Auch in den Bundesvorstand sei er nur aufgerückt, weil seine frühere Freundin ihn empfohlen habe und weil die Führungsebene händeringend Vertreter aus dem schwächelnden bayerischen Landesverband gesucht habe. Mitglied bei "Solid" sei er nur geworden, weil dieser Verband den SDS finanziert; da habe er als Vertreter der Studenten mitreden müssen. Als er merkte, dass andere im SDS nicht nur die Unis im Blick hatten, sondern von einer "Umformung der Gesellschaft" träumten, so Glasl in seiner Erklärung, habe er sich aus dem Verband zurückgezogen. Formell zu kündigen habe er schlicht vergessen - er habe ja ohnehin nie Mitgliedsbeiträge bezahlt.

"Der wahre Verfassungsfeind ist der sogenannte Verfassungsschutz"

Tatsächlich habe er erst 2017 gemerkt, dass er noch Mitglied sei: Da habe er einen "Fragebogen zur Prüfung der Verfassungstreue" ausgefüllt, was jeder Bewerber für den öffentlichen Dienst in Bayern tun muss. Zur Sicherheit habe er bei den beiden Verbänden nachgefragt - und dann seine formell noch bestehenden Mitgliedschaften umgehend gekündigt.

Die Regierung von Oberbayern überzeugte Glasl mit diesen Ausführungen: Sie befürworte "die Einstellung von Herrn Glasl zum nächstmöglichen Zeitpunkt", schrieb sie nach der Anhörung an den Verfassungsschutz. Doch in dem Bescheid, den Glasl am 12. Februar erhielt, stand dann das Gegenteil.

"Letztendlich ist keine glaubwürdige, erkennbare Distanzierung von linksextremistischen Ansichten erfolgt", urteilte die Regierung plötzlich - und in der Folge paraphrasierte sie weitgehend Einwände, die der Verfassungsschutz ihr gegenüber in vertraulichen Schreiben erhoben hatte. Am Ende berief sich die Regierung explizit auf das Landesamt: Die "beteiligte Fachbehörde" habe "zum zweiten Mal in überzeugender Weise Bedenken geäußert", heißt es im Bescheid.

Pikant daran ist: Diese Bedenken dürfen nicht das Entscheidende sein. Seit einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1975 gilt, dass vorwiegend der persönliche Eindruck zählt, den die einstellende Behörde von einem Bewerber gewinnt. Diesem Eindruck zufolge hätte die Regierung Glasl aber einstellen wollen. Der Verfassungsschutz hingegen, auf den sie sich beruft, hat sich keinen solchen Eindruck verschafft, er kennt den Münchner gar nicht persönlich: Als die Regierung die Verfassungsschützer erstmals um eine Einschätzung bat, wiederholten diese nur, was Glasl in seinem Fragebogen offengelegt hatte. Und stellten fest: "Uns liegen keine Erkenntnisse über Herrn Glasl vor, die darüber hinausgehen."

Glasl hätte also Referendar werden müssen, sagt sein Anwalt Gerd Tersteegen, alles andere sei verfassungswidrig. Er hat deshalb Klage beim Verwaltungsgericht gegen den Freistaat Bayern eingereicht. Glasl habe zwar keinen Rechtsanspruch auf eine Übernahme ins Beamtenverhältnis, heißt es in der Klageschrift, aber sehr wohl "auf fehlerfreie Ermessensentscheidung". Tersteegen beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit Berufsverboten und dem Radikalenerlass. Dass es 2018 noch zu einem solchen Verfahren kommen muss, ist für ihn ein "verfassungswidriger Anachronismus". Dabei richtet sich sein Ärger sowohl gegen die Regierung als auch gegen die Verfassungsschützer. Das Landesamt lege falsche Maßstäbe an und bringe Einwendungen vor, die mit dem Rechtsstaat nicht vereinbar seien, sagt er. "Der wahre Verfassungsfeind ist der sogenannte Verfassungsschutz."

Rückhalt hat Glasl bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), sie bezahlt ihm auch den Rechtsschutz. Die GEW fordert die Staatsregierung auf, den 34-Jährigen "unverzüglich in den Vorbereitungsdienst aufzunehmen". Das Vorgehen des Staates sei "mehr als verantwortungslos", sagt der GEW-Landesvorsitzende Anton Salzbrunn, Berufsverbote seien "ein Relikt aus vordemokratischen Zeiten".

Die Behörden halten sich bedeckt, der Datenschutz verlange das, heißt es. Das Kultusministerium, bei dem sich die Regierung von Oberbayern am Ende rückversichert hatte, teilt lediglich mit, alle Lehrkräfte in Bayern seien auf die freiheitlich demokratische Grundordnung verpflichtet; zuständig sei die Regierung von Oberbayern. Und diese erklärt, wenn es Anlass dazu gebe, hole sie eben die Meinung des Verfassungsschutzes ein.

Tersteegen setzt nun auf eine möglichst rasche Entscheidung des Gerichts. Denn bis dahin kann Glasl seine Ausbildung nicht richtig abschließen. Er darf nicht alleine unterrichten, er kann keine Praxis sammeln, und besoldet wird er auch nicht. Schon jetzt hat er fast ein ganzes Schuljahr an den Kalten Krieg verloren.

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