Popkultur:Reden und reden lassen

Popkultur: Eine der wichtigsten Figuren des Pop: 1975 gründete David Byrne die New-Wave-Band Talking Heads – und wurde bekannt als deren Frontmann. Heute fährt er vor allem viel Fahrrad.

Eine der wichtigsten Figuren des Pop: 1975 gründete David Byrne die New-Wave-Band Talking Heads – und wurde bekannt als deren Frontmann. Heute fährt er vor allem viel Fahrrad.

(Foto: Drew Gurian/AP)

1975 hat David Byrne die "Talking Heads" gegründet. Heute denkt er über Politik und Gesellschaft nach.

Interview von Torsten Groß

David Byrne, grauer Anzug, weißes Hemd, mittelgescheitelte, schlohweiße Haare, steht vor einer Leinwand und doziert im Stile eines spleenigen Erdkundelehrers über kleine Inseln der Hoffnung in finsteren Zeiten. Für seine Vortragsreihe "Reasons To Be Cheerful", die Byrne nach Stationen in New York und Kopenhagen Ende Januar nach Berlin geführt hat, berichtet der 65-Jährige über soziales Engagement in allen Teilen der Welt: etwa über ein Vorzeigegefängnis in Norwegen, Fixerstuben in Vancouver, Elektroautos in China oder ein neues Verhütungsprogramm in Afrika.

Wer ihn nicht kennt, kommt eventuell nicht auf die Idee, es hier mit einer der wichtigsten Figuren des Pop zu tun zu haben. Mit seiner Band Talking Heads gehörte David Byrne zu den interessantesten Protagonisten der jungen New Yorker Punk- und New-Wave-Szene. Später ist er viel Fahrrad gefahren, hat am Theater gearbeitet, Soundtrackarbeiten komponiert, das Weltmusik-Label Luaka Bop gegründet, zahlreiche Soloalben veröffentlicht und mehrere Bücher geschrieben. Für sein neues Album arbeitete Byrne neben Brian Eno auch mit jungen Musikern wie Daniel Lopatin und Sampha.

"American Utoptia" ist allerdings kein schweres Theoriekonstrukt: Mit viel Humor, großem Melodiegespür und dieser immer noch beängstigend guten Stimme sinniert Byrne über gesellschaftliche Entwicklungen, über Rassismus und das Scheitern westlicher Utopien. Im Gespräch macht er extrem lange Pausen, giggelt ohne konkreten Anlass wie ein Teenager und verströmt insgesamt die Aura des ewigen Nerds.

SZ: Mr. Byrne, glauben Sie ernsthaft, dass Sie außerhalb Ihrer Filterblase mit "Reasons To Be Cheerful" jemanden erreichen können?

Vieles von dem, was gerade passiert, ist Symptom einer tiefer sitzenden Angst vor Veränderungen und den Herausforderungen der globalisierten Welt. Man muss also ein bisschen in die Tiefe gehen. Viele Leute, die jetzt zum Beispiel nationalistischen Parteien hinterherlaufen, sind eigentlich frustriert, verzweifelt, wütend. Das sind Gefühle, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Zukunftsängste, auch die Zukunft der eigenen Kinder betreffend, Angst vor wirtschaftlichen Veränderungen und natürlich Xenophobie sind relativ menschliche Reaktionen auf Veränderung. Darüber sollte man nicht nur reden, man muss reden. Zumal der Riss durch Familien und Freundeskreise geht.

Das wird häufig gesagt. Allerdings führen Zukunftsängste nicht bei allen Menschen automatisch zu Rassismus und Nationalismus.

Leute wie Donald Trump und Steve Bannon - oder eben ihre Entsprechungen in vielen anderen Ländern - nutzen diese Ängste doch nur für ihre eigenen Zwecke aus. Ich weigere mich aber dennoch zu glauben, dass ihre Wähler in ihrem tiefsten Inneren ausnahmslos Rassisten und bösartige Nationalisten sind. Man muss ihnen klarmachen, dass ihre Ängste ausgenutzt werden. Denn eigentlich sind Donald Trump diese Leute natürlich vollkommen egal.

Ihr neues Album heißt "American Utoptia". Eine solche lag der amerikanischen Verfassung zugrunde. Ist der amerikanische Traum überholt?

Im Grunde gab es folgenden Deal: Wenn du dich anstrengst, einen Beruf lernst und hart arbeitest, werden deine Kinder es besser haben als du. Was ist aus diesem Deal geworden? Es gibt ihn nicht mehr. Irgendwo auf dem Weg haben wir unsere Ideale verloren. Das ärgert die Leute, und weil sie die tieferen Gründe nicht erkennen, geben sie Migranten und "denen da oben" die Schuld.

Aber war der amerikanische Traum nicht schon immer eine reine Utopie, erfunden von weißen Männern für weiße Männer?

Es gibt viele Dinge, die schon lange hätten korrigiert werden müssen, aber so sehr wie heute klafften Anspruch und Realität noch nie auseinander.

Gibt es für Sie einen historischen Punkt, der diese Wende markiert?

Vor einiger Zeit habe ich "De la démocratie en Amérique" von Alexis de Tocqueville gelesen. Der französische Historiker und Publizist hatte die amerikanische Verfassung und unsere Auffassung von Demokratie in den Dreißigerjahren des 19. Jahrhunderts relativ illusionslos als großes Experiment beschrieben. Das Buch enthält einige aus heutiger Sicht interessante, nahezu prophetische Beobachtungen. Früher oder später, so Tocqueville, werde die Schande der Sklaverei das Land zerreißen. Seine These ist, dass Sklaverei natürlich in erster Linie schädlich für die Sklaven selbst ist - aber auf lange Sicht auch für die Sklavenhalter.

Weil sich Menschen nicht dauerhaft unterdrücken lassen?

Der bis heute andauernde Rassismus der schwarzen Bevölkerung gegenüber sowie unser Umgang mit den indigenen Völkern sind die Schattenseite und der Konstruktionsfehler des amerikanischen Traums. Die ursprüngliche Idee war sehr gut. Aber so was kann auf Dauer nur funktionieren, wenn Teilhabe für alle vorgesehen ist. Spätestens an diesem Punkt der Geschichte sollten wir uns nun fragen: Wie kommen wir auf den richtigen Weg zurück, wie kriegen wir das in den Griff?

Geben Sie auf "American Utopia" eine Antwort auf diese Frage?

Nein. Ich habe keine Antworten, ich entwickle keine neue Utopie. Ich stelle Fragen, will zum Denken anregen und Hoffnung machen.

Woher nehmen Sie selbst diese Hoffnung?

Ich muss sie mir Tag für Tag aufs Neue erarbeiten, es ist ein permanenter Kampf. Nichts wäre leichter, als durch die tägliche Zeitungslektüre in eine Dauerdepression zu verfallen. Ich hatte solche Phasen. Vor allem die Musik gibt mir Hoffnung.

Sie wurden in Schottland geboren, leben aber seit mehr als 40 Jahren in New York. Steht der Wandel der Stadt seit den Siebzigerjahren exemplarisch für die generelle Entwicklung in den USA?

Ich vermisse jedenfalls nicht das von Armut und Trostlosigkeit gezeichnete New York der mittleren Siebzigerjahre, als wir mit den Talking Heads angefangen haben. Diese Zeit wird aus heutiger Sicht ständig idealisiert, aber Teile der Stadt waren damals wirklich in einem erbärmlichen Zustand. Ich kann daran nichts Glamouröses finden. In der Bronx sah es aus wie in einem Kriegsgebiet.

Dennoch entstand unter diesen Bedingungen eine faszinierende, sich gegenseitig inspirierende Kunst-, Film- und Musikszene.

Wir hatten dieser Lage unsere künstlerische Freiheit zu verdanken. Weil die Mieten so niedrig waren, konnten wir uns auf die Musik konzentrieren. Die massive Gentrifizierung in den Jahren danach hat dieser freien Kunstszene enorm geschadet. Aber das ist eine Entwicklung, die wir auch in Berlin und anderswo beobachten können. Und es gibt immer noch eine sehr interessante Subkultur- und Off-Theaterszene in New York. Man fragt sich allerdings, wie die Protagonisten sich das Leben in der Stadt überhaupt noch leisten können.

Das Elend wurde insbesondere in Manhattan über die Jahre ausgelagert. Man muss sehr genau hinsehen, um es noch zu erkennen.

Wenn ich mit dem Fahrrad durch New York fahre, kommt mir die Stadt wie ein Spielplatz für Reiche vor. Jedenfalls an vielen Orten hier. Aber ich bin nicht in der Position, mich darüber zu beschweren. Ich gehöre ja selbst dazu. Ich bin seit vielen Jahren erfolgreich und kann es mir leisten, ins Theater und in gute Restaurants zu gehen. Trotzdem ist mir klar, dass wir große Probleme bekommen, wenn das Leben in den Städten nur noch einer exklusiven Minderheit vorbehalten ist.

In Ihrer persönlichen Geschichte gibt es eine Konstante: Seit dem zweiten Talking-Heads-Album arbeiten Sie immer wieder mit Brian Eno zusammen, so auch auf "American Utopia". Worin liegt Ihr persönliches Erfolgsgeheimnis?

Unsere Zusammenarbeit ist nicht mehr ortsgebunden. Außerdem haben wir eine klare Arbeitstrennung, das war früher anders. Meistens ist Brian für die Musik zuständig und ich bringe Texte ein. Dieses Mal war es allerdings anders: Seit einigen Jahren arbeitet Brian kaum noch von Anfang bis zum Ende an Produktionen. Er interveniert an bestimmten Stellen, ist für die meisten seiner Kunden eine Art Berater. Bei uns funktioniert diese klare Arbeitstrennung ohne viele Worte, weil wir uns so lange kennen und auch jenseits der Musik immer noch gut befreundet sind.

Macht es Freundschaft eigentlich schwieriger oder einfacher, auch mal Kritik an Ideen des anderen zu äußern?

Das ist nicht leicht, ganz und gar nicht. Aber es ist nicht unmöglich. Während der Arbeit an "American Utopia" habe ich einige Vorschläge gemacht, nicht immer wurden sie gut aufgenommen. Aber die meiste Zeit kommen wir gut miteinander klar.

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