Wiederwahl von Merkel:Für eine Sekunde halten alle den Atem an

  • Angela Merkel ist im Bundestag zum vierten Mal als Bundeskanzlerin vereidigt worden.
  • Zum ersten Mal nahm auch ihr Mann, Joachim Sauer, an der Zeremonie teil.
  • Nach anfänglichem Zögern gratuliert auch die AfD.

Von Stefan Braun, Berlin

Um viertel vor neun ist es so weit. Joachim Sauer betritt den Bundestag. Das wäre eigentlich keine Erwähnung wert - wenn der Gatte von Angela Merkel nicht zum ersten Mal einem solchen Tag beiwohnen würde. Natürlich wirkt der emeritierte Professor so unscheinbar wie immer. Auf leisen Sohlen kommt er, über den Seiteneingang. Beiger Mantel, kleine Aktentasche. Wie üblich.

Und doch ist dieser Besuch für Merkel selbst ein Großereignis. Dreimal schon ist sie zur Kanzlerin gewählt worden, dreimal ist ihr Mann nicht mit dabei gewesen. War entweder auf Konferenzen oder daheim am Schreibtisch. Nüchtern halt, ein Naturwissenschaftler.

Merkels Entourage zeigt sich geschlossen

Dieser Mittwoch aber ist anders. Sauer ist nicht nur da, er besucht seine Frau auch noch kurz vor der Abstimmung. Die Kanzlerin hat einen kleinen Raum für den Rückzug. Sonst wird hier meist telefoniert; heute will ihr der eigene Mann seine Nähe und Zugehörigkeit zeigen.

Als Wolfgang Schäuble um neun Uhr die Sitzung eröffnet, sitzt Sauer auf der Tribüne, umrahmt von Merkels engsten Begleitern. Ihre Büroleiterin ist da, ihre Medienberaterin, ihr Regierungssprecher, dazu Charlotte Knobloch und Merkels Mutter - an diesem 14. März 2018 zeigt sich die Entourage besonders geschlossen.

Wiederwahl von Merkel: Von links: Angela Merkels Büroleiterin Beate Baumann, Merkels Mutter Herlind Kasner, ganz rechts ihr Ehemann Joachim Sauer und rechts von ihm dessen Sohn aus erster Ehe, Daniel Sauer.

Von links: Angela Merkels Büroleiterin Beate Baumann, Merkels Mutter Herlind Kasner, ganz rechts ihr Ehemann Joachim Sauer und rechts von ihm dessen Sohn aus erster Ehe, Daniel Sauer.

(Foto: AFP)

Und es ist leicht zu erahnen, dass bei allen auch ein erster Anflug von Wehmut dabei ist. Eines nämlich ist an diesem Morgen von Anfang an sicher: Noch einmal wird es diesen Akt kaum geben. Angela Merkel dreht sehr wahrscheinlich ihre letzte Runde als Regierungschefin. Und selbst wenn man darüber an so einem Tag nicht spricht, spürt man, dass das Gefühl längst mitschwingt.

Was kein Fehler ist, wie die Abstimmung zeigen wird. Von Anfang an fürchten alle, die diese neue große Koalition zusammengeführt haben, dass es auch in den eigenen Reihen manchen Zweifler gibt - und deshalb auch solche, die das heute unter Beweis stellen möchten. Die Merkels und ihre Leute wissen also, dass in der SPD, aber auch unter Christdemokraten der eine oder die andere mit Nein stimmen werden.

Gerade heute darf es keinen Zweifel an der Wahl geben

Und so liegt von Anfang an mehr Spannung als Leichtigkeit über der Abstimmung. 25 Minuten lang werden die Namen aller Abgeordneten einzeln aufgerufen, damit sie anschließend in den nur für diesen Tag aufgestellten Wahlkabinen ihre Stimme abgeben. Saaldiener wachen darüber, dass die Vorhänge auch wirklich zugezogen werden. Geschieht das nicht, übernehmen sie das, manchmal heftig, herrisch, streng. Die geheime Wahl muss geheim bleiben. Daran darf es gerade heute nicht einen Hauch des Zweifels geben.

Dann vermeldet Wolfgang Schäuble nach gut zwanzig Minuten Auszählung das Ergebnis. Und wo sonst in den letzten Jahren sofort Beifall aufbrandete, herrscht dieses Mal Stille. Es sind nur ein paar Sekunden, aber sie fühlen sich an wie Stunden. Stunden, in denen alle den Atem anhalten. 364 Abgeordnete haben für Merkel gestimmt. Das bedeutet: mindestens 35 Abgeordnete der neuen Koalition haben ihr die Stimme verweigert. Die sogenannte Groko startet mit genau neun Stimmen über der absoluten Mehrheit. Das ist alles andere als ein schwungvoller Aufbruch.

Die AfD gratuliert nur zögerlich

Immerhin, im Anschluss an den kleinen Schrecken retten Rituale die Stimmung. Fast alle Fraktionen stehen auf, aus fast allen Fraktionen gibt es Blumen und Gratulationen. Ob Claudia Roth von den Grünen oder Dietmar Bartsch von den Linken, ob Andrea Nahles von der SPD oder Wolfgang Kubicki von den Liberalen, alle reichen der alten neuen Kanzlerin die Hand. Selbst ein etwas gebückter, politisch irgendwie halt auch geschlagener Martin Schulz will sich diesen Moment nicht nehmen lassen.

Nur die AfD zögert. Lange sieht es sogar so aus, als würden Alice Weidel und Alexander Gauland nachgerade trotzig auf ihren Stühlen bleiben. Dann aber schaut FDP-Mann Kubicki bei ihnen vorbei, redet auf sie ein, erklärt ihnen womöglich, wie albern und kleingeistig sie in diesem Moment wirken. Und so stehen sie doch auf, reihen sich ein in die Gratulanten. Es folgen zwei Handschläge, die kälter nicht ausfallen könnten. Und Bilder, die eine große Ausnahme bleiben werden.

Danach geht es für Merkel ab zum Bundespräsidenten. Der Zeitplan ist straff durchstrukturiert an einem Tag wie diesem. Eine gute Stunde später ist sie zurück und steht vor Wolfgang Schäuble, um ihren Eid auf die Verfassung zu leisten. Danach ist sie zum vierten Mal das, was sie sich nach dem Sturz von Helmut Kohl vor bald zwanzig Jahren vorgenommen hatte: Sie ist noch einmal die Kanzlerin Deutschlands.

Dass das kein einfaches Vergnügen mehr sein wird, deutet ausgerechnet der Bundestagspräsident an. Bei seiner Gratulation sagt Schäuble: "Ich wünsche Ihnen alles Gute auf Ihrem schweren Weg." Deutlicher kann man kaum mehr werden.

Und dann verkündet der Bundestagspräsident auch noch, dass er eine Ordnungsstrafe gegen einen AfD-Abgeordneten Petr Bystron verhängt hat. Dieser hatte in der Wahlkabine seinen Wahlzettel fotografiert, das Ergebnis anschließend in den sozialen Netzwerken veröffentlicht und damit gegen eines der elementarsten Rechte verstoßen: das geheime Wahlrecht.

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