Flächenfraß:Wenn der Siedlungsdruck grenzenlos wird

Flächenfraß: Von der Landeshauptstadt München aus fährt eine S-Bahn in das dicht besiedelte Dachauer Hinterland. Auf dem Bild verlässt die Bahn gerade die Ortschaft Erdweg.

Von der Landeshauptstadt München aus fährt eine S-Bahn in das dicht besiedelte Dachauer Hinterland. Auf dem Bild verlässt die Bahn gerade die Ortschaft Erdweg.

(Foto: Toni Heigl)

Holger Magel, Präsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum, sorgt sich um die Entwicklung in der Boomregion München. Das Land darf nicht zum Wohnraumbeschaffer der Stadt verkommen

Von Benjamin Emonts, Dachau

Der Landkreis Dachau wächst und wächst, und zwar nicht nur seine Bevölkerung. Auch in den ländlichen Regionen werden immer mehr Häuser und Wohnungen auf die noch freien grünen Flächen gesetzt, um dem Siedlungsdruck aus der expandierenden Landeshauptstadt München nachzugeben. Bei der zweiten Runde der 33. Arnbacher Gespräche der Katholischen Landvolkbewegung (KLB) Dachau äußerte der Präsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum, Holger Magel, seine Gedanken über die Folgen des grenzenlosen Wachstums. Er beschäftigte sich mit der existenziellen Frage, ob der ländliche Raum in der Boomregion München bereits vom Aussterben bedroht ist.

Magels Vortrag verfolgten zahlreiche Zuhörer am Petersberg in der Gemeinde Erdweg, auf dem sich eine mehr als 1000 Jahre alte romanische Basilika befindet. Hier oben auf dem Petersberg ist die Luft noch frisch. Ein gesund aussehender Wald bedeckt den Hügel, der für viele im Landkreis ein spiritueller Ort ist. Magel sprach nun allerdings über seine Sorge, dass immer mehr dieser freien Flächen verschwinden wegen des massiven Zuzugs in der Boomregion. "Das Umland als Wohnraumbeschaffer für die expandierende Landeshauptstadt", so formuliert es Magel.

Als Mitglied der Enquetekommission "Gleichwertige Lebensbedingungen in ganz Bayern" zeigte er zunächst die rasanten Entwicklungen der Lebensräume und den damit verbundenen Flächenverbrauch und die Flächenversiegelung auf. Wegen des ungebremsten Wachstums von München steige der Siedlungsdruck auf das Umland enorm. Magel gibt zu bedenken, dass neben einer Innenstadtverdichtung immer öfter landwirtschaftliche Flächen bebaut würden, die als Frischluftschneisen zwischen Stadt und Land bislang bewusst von einer Bebauung frei gehalten wurden. Er ist gegen diese Praxis. Damit gehe wertvolle Natur- und Kulturlandschaft verloren.

Es sei abzuwägen zwischen Wachstum, das als Voraussetzung des Wohlstands gelte, und der Sorge um den Erhalt lebenswerter Räume. Aufgrund zunehmender Digitalisierung könnten Firmen auch außerhalb der Boomregion sinnvollerweise für Arbeitsplätze sorgen. Es sei nicht notwendig in "Schwarmstädten" alles zu konzentrieren, sondern vielmehr die Peripherie zu stärken um dort attraktive Räume zu schaffen, die Arbeiten und bezahlbares Wohnen am Ort vereinten.

Negative Auswirkungen der boomenden Landeshauptstadt auf das Umland seien rasant steigende Immobilien- und Wohnungspreise. Sofern kein Umdenken statt- finde, sei nicht ausgeschlossen, dass in 30 Jahren das Umland mit der Landeshauptstadt zu einem großen Regionalverband zusammenwachsen würde - und dauerhaft wertvolle landwirtschaftliche Flächen und Erholungsgebiete verloren gingen. Man müsse einsehen, dass München und sein Umland nicht attraktiver würden, indem man den Megacities der Welt nacheifere, sagte Magel. Der Ballungsraum müsse bewusst ein bescheidenes qualitatives und gesteuertes Wachstum anstreben und praktizieren.

Für eine maßvolle Entwicklung sei auch unser Wohlstands- und Wirtschaftsmodell auf den Prüfstand zu stellen, denn ein grenzenloses Wachstum könne es schon allein wegen begrenzter Ressourcen nicht geben. "Die Sorge um die Entwicklung der Lebensräume ist Angelegenheit aller", sagte Magel. Er weist auf die explodierenden e Grundstückspreise hin, die es den Familien fast unmöglich machten, Eigentum zu erwerben. Verkehrswege, Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulen seien bereits ausgelastet. "Zur Erhaltung eines lebenswerten Umfeldes ist es wichtig, sich allerorts bei politischen Prozessen einzubringen", appellierte der Experte.

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