Schule in Bayern:Der Islamunterricht ist ein Provisorium

Islamunterricht an der Hauptschule in Neumarkt,

In der Grundschule an der Bräugasse in Neumarkt in der Oberpfalz lernen Flüchtlingskinder gemeinsam mit in Bayern geborenen muslimischen Kindern von Lehrer Mehmet Yalcin altersgerecht ihre Religion kennen.

(Foto: Peter Roggenthin)
  • Der Modellversuch für Islamunterricht an bayerischen Schulen läuft nächstes Jahr aus.
  • Experten und Bildungspolitiker sind sich einig, dass staatlicher Islamunterricht ein Schlüssel zur Integration ist und Radikalisierung verhindern kann.
  • Der Landtag soll 2019 über die Zukunft des Islamunterrichts entscheiden.

Von Anna Günther

Um das Bild der Frau im Islam soll es an diesem Morgen im Pirckheimer-Gymnasium in Nürnberg gehen. Nora Youssef, 40, hat sich für die folgenden Wochen keine Kleinigkeit vorgenommen. Kaum ein Thema wird so kontrovers diskutiert. Die 14 Achtklässler werden im Alltag regelmäßig mit Klischees konfrontiert. Im islamischen Unterricht sollen sie sich nun mit der Rolle der Frau im Koran auseinandersetzen. Sie sollen lernen, Suren in den historischen Kontext einzuordnen und zu hinterfragen. "Ihr habt euch dieses Thema gewünscht, wieso?", fragt Lehrerin Youssef.

Nesrin Shah, 14, meldet sich. Das Mädchen sucht nach Worten, schweigt, dann sagt sie: "Ich trage das Kopftuch, aber wenn jemand fragt, wieso, kann ich das nicht gut erklären. Wenn wir darüber gesprochen haben, kann ich es vielleicht besser formulieren." Shah ist aufgeweckt, diskutiert über Fairness und hält das im Koran beschriebene Erbrecht nicht mehr für zeitgemäß: Söhne bekommen doppelt so viel wie Töchter. Geht nicht, findet Shah. Das Thema Kopftuch aber ist für die Schülerin mit afghanischen Wurzeln so persönlich, Kommentare so häufig, dass sie ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

"Für Mädchen ist der islamische Unterricht vielleicht noch wichtiger, weil die Unsicherheit über die eigene Rolle größer ist", sagt Youssef. Sie ist in Kairo aufgewachsen, hat in Eichstätt Deutsch und Geschichte studiert. Das Selbstverständnis junger Frauen kollidiere zuweilen mit den Erwartungen der Familie, sagt die Lehrerin. Im Islamunterricht lernten Schülerinnen, zu argumentieren. Denn auch die Gleichwertigkeit der Geschlechter steht im Koran.

Identifikationsfiguren aber brauchten Mädchen und Buben, und Hilfe, um ihre Religion wirklich zu verstehen. "Es ist schmerzlich, dass Kinder beim Beten oft nicht wissen, was sie sagen", sagt Youssef. Arabisch ist ihre Muttersprache. Die Schüler kennen Suren auswendig, aber sie verstehen sie nicht. Dabei sei es gerade bei problematischen Versen wichtig, auf Sprachdetails zu achten, sagt Youssef.

Sie kann den Unterricht nach Schülerwünschen gestalten, weil der Lehrplan fürs Gymnasium nicht fertig ist. Bücher und Stoff sind auf Grund- und Mittelschulen ausgelegt. Das ist nur ein Problem des islamischen Unterrichts. Zwar werden Muslime seit 20 Jahren an bayerischen Schulen in ihrer Religion unterrichtet, und seit 2011 gibt es den staatlichen Modellversuch mit eigenen Büchern und Lehrplänen, die im Ministerium von Experten und Lehrern erarbeitet wurden, aber der Islamunterricht ist nur ein Provisorium. Am 31. Juli 2019 ist Schluss. Was danach passiert, bewegt Schüler, Lehrer und Eltern sehr. Im Ministerium gibt man sich aber nebulös: "Der Modellversuch geht 2019 zu Ende", heißt es.

Dabei sind sich Experten und Bildungspolitiker einig, dass staatlicher Islamunterricht ein Schlüssel zur Integration ist und Radikalisierung verhindern kann. Auch das drängendste Problem wird bis 2019 nicht gelöst sein: Islamunterricht ist kein richtiger Religionsunterricht. Dieser wird laut Grundgesetz "in Übereinstimmung mit den Religionsgemeinschaften erteilt". Aber es gibt keine Vereinigung in Deutschland, die für alle Muslime spricht. Solange es keine einheitliche rechtliche Regelung für den Islam gibt, improvisieren die Bundesländer. Etwa mit Expertenbeiräten wie in Bayern. Provisorisch wird es also bleiben.

Schule in Bayern: Nora Youssef ist auch Islam-Lehrerin.

Nora Youssef ist auch Islam-Lehrerin.

(Foto: privat)

Ohne eine politische Grundsatzentscheidung kann das Fach an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) nur als Erweiterungsfach studiert werden, also neben Job oder Studium. Ähnlich ist es mit den Fortbildungen an der Lehrerakademie in Dillingen. Es gibt an den Schulen keine Fachbetreuer und keine Referendarausbildung. Tarek Badawia, der die Islamlehrer an der FAU ausbildet, ist damit "todunglücklich", denn nebenbei sei es kaum möglich, Theologie, Sprachkompetenz, sozialen Kontext und interreligiöse sowie interdisziplinäre Prozesse zu verinnerlichen.

Zu Beginn waren die Eltern skeptisch

Grundsätzlich gilt, dass Modellversuche nur auf alle Schulen übertragen werden, wenn sie ein Erfolg sind. Die Entscheidung darüber trifft die Politik. Anfang Januar hatte Schulminister Ludwig Spaenle der dpa gesagt, wenn es nach ihm ginge, könnte der islamische Unterricht flächendeckend angeboten werden. Entscheiden aber müsse der Landtag 2019. Es könnte also auch nicht nach ihm gehen. Der neue Ministerpräsident Markus Söder zieht den Ausbau nach Bedarf vor. Dass die CSU erst 2019 über den Islamunterricht entscheidet, darf bezweifelt werden. Aber Spaenle blieb am Freitag dabei: Der Landtag entscheide 2019, allerdings sei der staatliche Islamunterricht allein deshalb ein Erfolg, weil der Modellversuch einzigartig sei.

Hört man sich an den Schulen um, ist der Erfolg keine Frage. Zwar gibt es auch am Pirckheimer-Gymnasium muslimische Eltern, die Ethik bevorzugen, um die Deutungshoheit zu behalten. Aber diese seien eine Minderheit, sagt Schulleiter Benedikt Mehl. Seit fünf Jahren gibt es an seiner Schule Islamunterricht, zu Beginn waren Eltern skeptisch. Mittlerweile nutzen 87 Prozent der muslimischen Schüler dieses Angebot. Dass es am Pirckheimer keine Probleme gebe, etwa mit Mädchen, die nicht am Schwimmunterricht oder Skilager teilnehmen, führt Mehl auf den Islamunterricht zurück: "Es ist unkompliziert, hier Muslim zu sein, niemand muss die Unterschiede betonen."

14 000 Kinder

So viele Mädchen und Buben besuchen derzeit islamischen Unterricht in Bayern. 95 Lehrer unterrichten an insgesamt 357 Schulen, viele pendeln zwischen mehreren Schulen, um möglichst viele Kinder zu erreichen. Und der Bedarf ist deutlich größer: 100 000 muslimische Schüler lernen an Bayerns Schulen. Für flächendeckenden Unterricht aber fehlen die Lehrer und Klassen an weiterführenden Schulen. Bisher bieten nur vier Realschulen, drei Gymnasien und zwei Berufsschulen Islamunterricht an.

Simone Fleischmann, die Präsidentin des bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), legt Schulminister Spaenle auf seine Januar-Aussage fest und setzt sogar auf einen Ausbau des Islamunterrichts. Der Nutzen des Islamunterrichts sei unumstritten, sagt Fleischmann, dieses Angebot sei extrem wichtig für die Persönlichkeitsentfaltung der Kinder und die Integration.

Aber bei ihr und anderen Lehrern wächst die Befürchtung, dass der Islamunterricht im Landtagswahlkampf verheizt werden könnte, und Parteien beim Stimmenfang Migranten gegen Flüchtlinge ausspielten. Vorbehalte gibt es auch in der CSU: "Der Islam gehört nicht zu Deutschland", sagte Horst Seehofer in seinem ersten Interview als Bundesinnenminister, die hier lebenden Muslime aber schon.

Wer aus wessen Sicht dazu gehören soll, spielt in Neumarkt in der Oberpfalz keine Rolle. Flüchtlingskinder sitzen in der Grundschule an der Bräugasse zwischen Muslimen, die in Bayern geboren wurden. Die neun Mädchen und Buben melden sich begeistert, ständig zucken Finger in die Höhe. Lehrer Mehmet Yalçin bringt den Viertklässlern die Propheten Yusuf und Musa näher.

Die Parallelen zur Bibel sind klar: Joseph, der von seinen Brüdern nach Ägypten verkauft wird, dort dem Pharao weissagt und das Land vor der Hungersnot bewahrt. Mose, das Baby im Weidenkörbchen, das die Israeliten später aus Ägypten fortführt. Spielerisch ist Yalçins Unterricht, die Kinder setzen Bildergeschichten zusammen. Aber auch sie lesen Suren und lernen schon, auf historischen Kontext zu achten.

Rektorin Tanja Kölbel legt großen Wert auf Achtung der Kulturen untereinander und veranstaltet Feste, damit sich alle näher kennenlernen. 15 Nationen besuchen die Grundschule, seit drei Jahren sind dort auch die Übergangsklassen angesiedelt. "Es ist wichtig, dass jeder seine Religion leben darf und trotzdem den Blick für die anderen weitet", sagt Kölbel. Sie möchte mehr Islamunterricht anbieten, zweistündig parallel zu Ethik und Religion. Aber die Stunden reichen nicht. Yalçin muss mit vier Kollegen die gesamte Oberpfalz abdecken. Momentan lernen Erst- und Zweit- sowie Dritt- und Viertklässler gemeinsam. Ideal ist das für Kölbel nicht, aber besser als kein Islamunterricht.

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