Maxvorstadt:Summa cum Stand-Up

Beim ersten Applied-Science-Slam an der Hochschule München bringen Jung-Wissenschaftler ihre Forschungen ziemlich cool rüber

Von Christian Schuster, Maxvorstadt

Wissenschaft und Langeweile? Das geht für diese Gelehrten überhaupt nicht zusammen. Professoren, Dozenten, angehende Doktoranden und Master-Studenten haben beim ersten "Applied-Science-Slam" an der Hochschule für angewandte Wissenschaften nach dem Ausschlussverfahren bewiesen, dass Hirnakrobatik durchaus cool und witzig sein darf. Vier Kandidaten hatten jeweils zehn Minuten Zeit, um rund 300 Zuschauern im Vorlesungssaal ihr Fachgebiet näher zu bringen - und zu unterhalten.

Applied-Science-Slam an der Hochschule München

"Bäume umarmen für die Zukunft": Für Cathrin Cailliau ein nicht nur wissenschaftlich lohnendens Unterfangen. Sie wurde Siegerin beim Science-Slam.

(Foto: Florian Peljak)

Den Anfang machte Stefan Merkle mit einer überzeugenden Darbietung über den Nutzen von klassischer Bildung im Alltag. Der promovierte Altphilologe in Vollanstellung - an sich schon eine Kuriosität laut Gastgeber Georg Eggers - bewies, dass alleine das Wissen um die griechische Tragödie nicht nur das Ende eines jeden Psycho-Thriller vorausahnen lässt. Begriffe wie "Deus ex machina" würden sich zudem vortrefflich als Name für New-Wave-Bands, Computerspiele oder Motorradfirmen eigenen. Dass man darüber hinaus auch noch Zeit spart und neue Kontakte knüpft - "da kann man sich die letzte Viertelstunde im Kino auch mal mit dem Nachbarn unterhalten" - überzeugte auch das Publikum. Merkles abschließende Persiflage des Prince-Songs "Kiss" wurde mit einem donnernden Applaus quittiert.

Applied-Science-Slam an der Hochschule München

Außer Konkurrenz zeigte Physik-Professor Georg Eggers seinen Niesgenerator.

(Foto: Florian Peljak)

Dass man als Wissenschaftler durchaus Aspekte verbindet, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, zeigte auch Ferihan Yeşil. Für ihre Dissertation untersucht die junge Architektin derzeit, wie türkische Immigranten seit den 1950er-Jahren ihr Heimatgefühl in Bauwerken im Münchner Stadtgebiet zum Ausdruck gebracht haben. Dass sie dies natürlich in erster Linie nur macht, um später in ihrer türkischen Heimat ein ordentliches Haus für ihren Mann und ihren Vater bauen zu können, wirft sie ganz trocken dazwischen. Bewaffnet mit türkischem Akzent, den sie spielend aus- und anschaltet, den Vorbehalten gegenüber einer Frau, die Kopftuch trägt, und einem Dauerfeuer von architektonischem Fachwissen hat sie im ersten Slam ihres Lebens das Publikum in ihren Bann gezogen.

Applied-Science-Slam an der Hochschule München

Rund 300 Zuschauer waren in den Vorlesungssaal der Hochschule für angewandte Wissenschaften gekommen.

(Foto: Florian Peljak)

Als dritter Kombattant im Wettkampf der witzigen Wissenschaften beeindruckte der Physiker Matthias Mader mit einer Nachhilfestunde in Chemie und Religion - und einem waschechten Wunder in den "Heiligen Hallen des Vorlesungssaals G 001". Stutzig gemacht hatte den Naturwissenschaftler, dass sich das Blut des Heiligen Januarius von Neapel, seit 1389 in einer Phiole aufbewahrt, jedes Jahr wieder verflüssigt. Und zwar exakt am Samstag vor dem 1. Mai, am 19. September und am 16. Dezember. Das vermeintliche Wunder zersetzte sich in seinem Chemiebaukasten jedoch schnell in etwas Kalk, Eisen-III-Chlorid, Wasser und eine Prise Salz. Unter den wachsamen Augen des Publikums ließ auch er das falsche Blut während einer kleinen Prozession auf der Bühne wieder flüssig werden. Doch weder das Wunder noch seine jahrelange Erfahrung als Slammer und Mitorganisator des "zehnhocheins" Science-Slams sollten an diesem Abend für den Sieg ausreichen.

Applied-Science-Slam an der Hochschule München

Matthias Mader trat gegen Cathrin Cailliau an.

(Foto: Florian Peljak)

Cathrin Cailliau bewies nämlich, dass man mit Bäume-Umarmen vielleicht nicht die Welt retten, zumindest aber einen Science-Slam gewinnen kann. Wer jetzt an den typischen "Ökospinner" denkt, hat sich gewaltig in der Master-Klimatologin getäuscht. Schier unglaublich muten die Anwendungsmöglichkeiten ihrer Umarmungen an: Sie kann damit das Alter von Bäumen bestimmen, Abschlussarbeiten verfassen, den Klimawandel stoppen, die Zukunft retten. Doch gelingen diese Aufgaben - zumindest bei Cailliau - nur unter Einsatz des eigenen Lebens. Sie wurde dabei verfolgt von rücksichtslosen Autofahrern, Rentnern mit Zahnleiden und stand unter ständiger Gefahr, in "Bordstein-Tretminen" zu geraten. Der Lohn für die Mühe ist die Erkenntnis, dass Platanen und Robinien klimaökologisch die Bäume der Zukunft sind, da sie am meisten Schatten spenden, viel CO₂ speichern und Wasser halten. Cailliau wurde für ihren Vortrag und den nützlichen Hinweis, dass "der linke Baum vor der Mensa" eine ebensolche Robinie ist, die gefeierte Slam-Heldin für den Abend.

Physikprofessor Georg Eggers und Mathematikprofessor Michael Sachs führten als Moderatoren durch den Abend. Bereits bei anderen Münchner Slams hatte das Duo für "musikalisch-physikalische" Unterhaltung gesorgt. Mit Wortwitz, einem geübten Auge für das "Ursache-Wirkungs-System zwischen Referent und Publikum" und einem Schallpegelmesser, ermittelten die beiden die "Großartigkeitsfaktoren" der Slammer. Letztlich entschied nämlich die Lautstärke des jubelnden Publikums, wie bei Slams üblich, welcher Künstler als Sieger die Bühne verließ.

Ebenfalls Chancen auf den Sieg hätte wohl auch "Kleinkünstler" Peter Fischer mit seinem Zwischenprogramm gehabt. Er erklärte sich mit einer "gaaanz einfachen Rechnung" zum rechtmäßige Nachfolger von Johann Sebastian Bach, weil dieser 14 Knöpfe an seinen Sakkos gehabt habe. Dem folgten Ausführungen über Bachs Marketinggeschick und dem Klang seines Namens, spiele man die einzelnen Buchstaben als Töne. Weil sein eigener Name sich "irgendwie Scheiße" anhört, spielte sich Fischer mit einer jazzig-bluesigen Nummer am Keyboard den Frust von der Seele.

Wer den Applied-Science-Slam an der Hochschule München verpasst hat, kann sich noch auf ein paar weitere wissenschaftliche Stand-Up-Abende in diesem Jahr freuen. Am 13. Mai steigt der nächste Wettbewerb im Lustspielhaus, und am 23. Oktober in den Kammerspielen messen sich die besten Slammer Süddeutschlands im Vorentscheid zum deutschen Science-Slam-Finale.

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