Kommentar:Umbau mit Hindernissen

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Fusionen und Übernahmen in der Versicherungswirtschaft sind Ausdruck der massiven Veränderungen, die diese Branche aktuell durchläuft. Hauptgrund für neue Strukturen ist die Digitalisierung von Gesellschaft und Wirtschaft.

Von Herbert Fromme

In der globalen Versicherungswirtschaft deuten sich tief greifende Veränderungen an. Eine Reihe von großen Übernahmen und Fusionen ist entweder schon beschlossen oder in Vorbereitung. Der US-Konzern AIG hat den Rivalen Validus gekauft. Die französische Axa gibt zwölf Milliarden Euro für die Übernahme des Industrie- und Rückversicherers XL aus. Der japanische Mischkonzern Softbank, der vor allem in der Telekommunikation und durch Beteiligungen an Internet-Unternehmen stark ist, will 30 Prozent des Rückversicherers Swiss Re übernehmen. Die Schweizer sind nicht abgeneigt.

Mit der Neuordnung reagieren die Konzerne auf veränderte Marktbedingungen. Da sind einmal die niedrigen Zinsen und die nach Ansicht der Versicherer zu schlechten Preise. Selbst die schweren US-Hurrikans des vergangenen Jahres mit ihren Schäden von deutlich über 100 Milliarden Euro haben außerhalb der direkt betroffenen Regionen nicht zu den erhofften Preissteigerungen geführt. Das Angebot an Kapital, das für die Risikoabsicherung zur Verfügung steht, ist einfach zu groß.

Vor allem aber bringt die Digitalisierung Änderungsdruck. Noch kommen viele Versicherer mit uralten IT-Systemen und einem Verständnis von Kundenservice durch, das aus den 50er-Jahren zu stammen scheint. Die Kunden "beantragen" Policen, die Versicherer "gewähren" Leistungen. Vor allem für Privatkunden sind die Belastungen durch Kosten unverändert hoch. Aber wer alle seine Bankgeschäfte mit dem Handy erledigt, hat keine Lust auf Formulare und langes Warten bei Callcentern, wenn er einen Schaden hat.

Start-ups haben bereits frischen Wind in die Branche gebracht. Noch liegen ihre Marktanteile im einstelligen Prozentbereich, aber sie wachsen. Neue Konkurrenten kommen von außen: Die Autohersteller wollen die Versicherung als Teil der Mobilität verkaufen. Internet-Konzerne wie Amazon gründen eigene Gesellschaften.

Mit den Fusionen und Übernahmen reagieren Versicherer auf diese Umwälzungen. Erstens wollen sie größere Einheiten schaffen, die leichter global innovativ sein können. Denn gemessen an anderen Branchen sind selbst die Weltmarktführer in der Versicherung ziemlich klein. VW hat einen Weltmarktanteil von mehr als zwölf Prozent, die Allianz bleibt unter drei Prozent. Zweitens haben die neu geschaffenen Gruppen weitreichende Modernisierungspläne. Axa und XL wollen die Industrieversicherung voll digital betreiben und den führenden Anbieter in der Welt schaffen. Wenn das gelingt, kann es den Markt entscheidend verändern.

Ähnliches gilt für Softbank und Swiss Re. Softbank ist eng mit asiatischen Internet-Konzernen verbunden, dazu gehören der Amazon-Rivale Alibaba und die Versicherer Zhong An und Ping An. Sie drängen nach Europa und Nordamerika. Die Swiss Re kann dabei helfen. Sie kann Risiken rückversichern, Know-how bereitstellen und die guten Beziehungen zu den Aufsichtsbehörden spielen lassen. Auch hier gilt: Wenn einer der neuen Anbieter mit Hilfe der Swiss Re revolutionäre digitale Versicherungsangebote macht, kann das örtliche Platzhirsche empfindlich treffen.

Aus Sicht der Kunden ist es gut, wenn die teure Branche aufgemischt wird

Es ist überhaupt nicht sicher, dass all dies gelingt. Meistens bedarf es mehrerer Anläufe für derartig große Umwälzungen. Aber der Trend ist unumkehrbar.

Eine ganze Reihe von Versicherern wird den Anschluss verpassen und auf der Strecke bleiben. Aus Sicht der Kunden ist es gut, wenn die teure, wenig kundenfreundliche Branche aufgemischt wird. Hoffentlich kommt ein Versicherungsschutz dabei heraus, der günstiger und besser ist. Allerdings werden die Versicherer künftig auch viel mehr Daten über ihre Kunden sammeln und auswerten.

Für die Beschäftigten bringt die Veränderung nichts Gutes. Es gibt einen erheblichen Personalabbau. Die Vorstände können sich kaum den Veränderungen verweigern - im Gegenteil, damit würden sie die Zukunft ihrer Unternehmen aufs Spiel setzen. Aber Kunden und Mitarbeiter haben ein Recht auf Transparenz, wenn Unternehmen verkauft, Bestände transferiert, Datensammlungen angelegt und Belegschaften reduziert werden. Das fällt vielen Vorständen alter Schule noch schwer. Doch diese Offenheit wird entscheidend sein: Wer sie nicht beherzigt, hat schnell einen schlechten Ruf bei Kunden. Und: Solche Versicherer finden kaum die Digital- und Kundendienstexperten, die sie dringend brauchen.

© SZ vom 19.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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