Geburtstag:Sendungsbewusst

Theologe Hans Küng

Er bezeichnete Joseph Ratzinger als Großinquisitor und die Kirche als geistliche Diktatur: Hans Küng blieb ihr auch noch treu, als sie ihm die Lehrerlaubnis entzog.

(Foto: Marijan Murat/dpa)

Er bezeichnete Joseph Ratzinger als Großinquisitor und die katholische Kirche als Diktatur - und trotzdem blieb er ihr treu: An diesem Montag wird der Theologe Hans Küng 90 Jahre alt. Seit Jahrzehnten erforscht er das Verbindende zwischen den Religionen.

Von Matthias Drobinski

Es war 1965, im letzten Jahr des Zweiten Vatikanischen Konzils, da suchte Papst Paul VI. das Gespräch mit Hans Küng. Der Papst lobte die Schriften des aufstrebenden Theologen, dann aber sagte er: "Wie viel Gutes könnten Sie tun, wenn Sie Ihre großen Gaben in den Dienst der Kirche stellen würden" - und zog mit beiden Händen parallele Grenzen durch die Luft. Hans Küng wird dies später als eine Schlüsselszene seines Lebens beschreiben: Nein, er würde sich nicht begrenzen lassen, schon gar nicht, um Kirchenkarriere zu machen. Als er Papst Paul VI. traf, war Küngs Akte bei der Glaubenskongregation schon sieben Jahre alt. 14 Jahre später würde der Gipfel der Konflikte erreicht sein und die katholische Kirche dem Tübinger Professor die Lehrbefugnis entziehen, zur Empörung und zum Frust vieler Katholiken.

An diesem Montag wird Hans Küng, der fromme Rebell, 90 Jahre alt - fromm und treu seiner Kirche ist er bei allem Rebellentum geblieben, wie sehr seine Gegner auch versucht haben, ihn als Häretiker hinzustellen. Sein bald 20 000 Seiten umfassendes Gesamtwerk trifft eine der Grundfragen der katholischen Kirche: Wie viel Bindung und wie viel Freiheit muss in ihr sein? Die Botschaft Jesu ist für Küng die Norm, an der sich auch das Lehramt der Kirche messen lassen muss. Dieses Lehramt und das Papsttum haben ihr Recht, stehen aber unter Irrtumsvorbehalt. Für Papst Johannes Paul II. und seinen Nachfolger Benedikt XVI. war das unannehmbar. Und Küng, den Schuhmachersohn aus der urdemokratischen Schweiz, dachte nicht daran, irgendetwas zurückzunehmen, was er geschrieben hatte. In polemischer Schärfe beschrieb er die katholische Kirche als geistliche Diktatur und nannte seinen einstigen Tübinger Kollegen und Widersacher Joseph Ratzinger einen "Großinquisitor".

Der Entzug der Lehrerlaubnis war für Küng nicht das Ende seiner wissenschaftlichen und publizistischen Existenz, im Gegenteil. Das Land Baden-Württemberg und die Universität schufen ihm einen kirchenunabhängigen Lehrstuhl für Ökumenische Theologie, und Küng entdeckte ein neues Thema: das Weltethos. Ohne Frieden unter den Religionen gibt es keinen Weltfrieden, so Küngs These. Deshalb sollten sich die Religionen auf Regeln fürs gute Zusammenleben verständigen. In seinen Büchern über den Islam und den Buddhismus, in seinen Gesprächen mit Religionsvertretern und in seinem Weltethos-Institut versuchen er und seine Mitstreiter, das Verbindende zwischen den Religionen herauszuarbeiten - manchmal sehr optimistisch, wie seine Kritiker bemerken. Küngs großes Selbst- und Sendungsbewusstsein hat das nicht verringert.

Die Zeiten sind vorbei, wo Küng in seinem Tübinger Haus morgens hinunter ins Schwimmbad ging und eisern seine Bahnen zog. Er hat Parkinson und sitzt mittlerweile im Rollstuhl; öffentliche Auftritte sind selten geworden. Vor Jahren hat er angekündigt, er wolle den Freitod wählen, wenn ihm das Leben unerträglich werde: "Ich will nicht als Schatten meiner selbst weiterexistieren", hat er gesagt. Bislang ist ihm trotz der Einschränkungen die Schaffenskraft erhalten geblieben - und da ist ja noch die Gesamtausgabe seiner Werke, an der er gerade arbeitet. Mittendrin aufhören? Auf keinen Fall. Man darf Hans Küng wünschen, dass die Freude am Leben anhält.

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