Container:Schiffbruch in Grünwald

Das Finanzunternehmen P&R ist pleite - und damit droht der größte Anlegerskandal der Bundesrepublik. 51 000 Investoren steckten ihr Geld in die Container der Firma.

Von Markus Zydra und Vinzenz Neumaier, Frankfurt/München

Container: Die Firma P&R versprach ihren Investoren Traumrenditen mit Containern. Daraus wird nichts.

Die Firma P&R versprach ihren Investoren Traumrenditen mit Containern. Daraus wird nichts.

(Foto: dpa; Collage: SZ)

Es geht um das Geld von 51 000 Anlegern, um insgesamt 3,5 Milliarden Euro. Und je nachdem, was davon noch übrig ist, könnte es am Ende der größte Anlageskandal sein, den die Bundesrepublik je erlebt hat: größer als die Pleite der Göttinger Gruppe vor neun Jahren, größer auch als der Fall der Windkraftfirma Prokon vor vier Jahren.

Denn diesmal, bei der Firma P&R aus Grünwald bei München, geht es um mehr als doppelt so viel Geld: Die Firma ist zahlungsunfähig, bereits am Donnerstag voriger Woche hat sie einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt, teilte das Amtsgericht München am Montag mit. Das Gericht hat die vorläufige Insolvenzverwaltung angeordnet und bestellte für drei P&R-Firmen die Kanzlei Michael Jaffé als Insolvenzverwalter.

Der Münchner Rechtsanwalt hat bereits prominente Insolvenzen wie die des Medienkonzerns Kirch Media abgewickelt. Er teilte mit, man wolle den Betrieb der Gesellschaften weltweit fortführen, um Einnahmen zu erzielen. "Wir haben Verständnis für die schwierige Lage der Anleger, bitten aber zugleich darum, Ruhe zu bewahren." Das Unternehmen äußerte sich ähnlich.

P&R gilt als Marktführer bei der Anlage in Containern und ist seit 40 Jahren im Geschäft. Die Anleger kauften bei ihr Container, um sie sofort zurück an P&R zu vermieten. Die Firma sorgte dafür, dass die 1,2 Millionen Container auf den Weltmeeren mit Fracht ausgelastet werden. Die Anleger erhielten dafür regelmäßig Mietzahlungen. Nach drei bis fünf Jahren kaufte P&R die Container zum Restwert zurück, der meist bei 65 Prozent des Kaufpreises liegen sollte. Die Renditen für Anleger waren ordentlich. Stets floss das Geld wie versprochen - bis vor einigen Wochen.

Dass es Schwierigkeiten gibt, hatte sich schon vor einigen Tagen angedeutet. Bei P&R begann es damit, dass die Geschäftsführung fällige Zahlungen und im März den Vertrieb der Produkte aussetzte. Danach ging P&R auch noch auf Tauchstation. Die Fragen der sorgenvollen Investoren blieben unbeantwortet. Wer zum Telefon griff, erreichte den Anrufbeantworter. Eine heitere männliche Stimme erzählte, dass wegen des "erhöhten Telefonaufkommens" alle Leitungen besetzt seien. Man möge es später noch einmal probieren.

Das Schweigen nach außen ging einher mit Hektik in der P&R-Zentrale in Grünwald. Zum Wochenende sah man Limousinen im Hof. Männer in guten Anzügen betraten das moderne Gebäude, das große Fensterfronten hat. Drinnen hetzten Mitarbeiter mit Akten unter dem Arm über die Flure. Man konnte es sehen. Da war etwas im Gange. Jetzt hat man Gewissheit.

In den vergangenen 30 Jahren gab es immer wieder Fälle, in denen Anleger auf dem sogenannten grauen Kapitalmarkt viel Geld verloren haben (siehe Kasten). Die Sparer ließen sich blenden von den Renditeversprechen der Finanzvertriebe, die Genussrechte, Namensschuldverschreibungen und Nachrangdarlehen verkauften. Oft gingen die Kalkulationen - etwa für geschlossene Immobilienfonds - nicht auf. Manchmal war auch Betrug im Spiel. Zuletzt wurden in Frankfurt die Hauptverantwortlichen von S&K zu Haftstrafen verurteilt. Die Immobilienfirma hatte 11 000 Anleger um 240 Millionen Euro gebracht. Sie hatte zur Verschleierung ein riesiges Firmengeflecht aufgebaut, das kaum jemand durchschaute.

Auch die P&R-Unternehmensgruppe ist verschachtelt. "Die deutsche P&R-Gruppe hat ihre Geschäfte zur Verschleierung über die P&R Equipment & Finance Corp im schweizerischen Zug abgewickelt", erzählt der Fachjournalist Stefan Loipfinger. Der ehemalige Banker und Betriebswirt schreibt in seinem Buch "Achtung Anlegerfallen", dass P&R den Anlegern über lange Zeit zu hohe Mieten und zu hohe Rückkaufpreise für die Container bezahlt habe. So sollten hohe Renditen erzeugt werden, mit denen die Vertriebsleute dann Werbung machen konnten für das "Erfolgsprodukt". Ein solches System funktioniere aber nur so lange, wie genügend neues Anlegergeld nachkommt.

Im Prospekt werden Investoren vor Verlusten gewarnt - bis hin zur Privatinsolvenz

Doch P&R konnte in den vergangenen Jahren immer weniger Container verkaufen. "Das führte bei der P&R Equipment & Finance Corp zu Engpässen. Von 2014 bis 2016 kam es zu über einer halbe Milliarde Euro Verlust aus der Vermietung", sagt Loipfinger. "Da diese Unterdeckung nur durch Gewinne aus dem Neugeschäft ausgeglichen werden konnte, ist die Frage nach einer Form von Schneeballsystem durchaus berechtigt."

Da horchen Juristen auf. Eine Unterdeckung bei P&R wäre "strafrechtlich relevant", meint Peter Mattil, ein Münchner Fachanwalt für Kapitalmarktrecht. "Wenn eine Anlagefirma zur Deckung der laufenden Ausgaben und zur Auszahlung der Erträge an die Anleger darauf angewiesen ist, immer neue Kunden zu gewinnen, dann liegt Kapitalanlagebetrug und Insolvenzverschleppung vor."

Anleger dürften jetzt noch einmal viel genauer auf das Kleingedruckte schauen. So heißt es in einem Prospekt von P&R, dass Anleger mehr verlieren könnten als ihr zum Kauf des Containers eingesetztes Kapital. Es sei auch das sonstige Vermögen des Anlegers bis zur Privatinsolvenz gefährdet. Rechtsanwalt Mattil beruhigt: "Die Anleger haften nicht für die Schulden der P&R. In diesem Passus geht es um Kosten, die im Zusammenhang mit dem Container anfallen, den der Anleger besitzt." Das seien Standgebühren für den Container im Hafen oder Versicherungspolicen. "Die Verträge zu Standgebühr und Versicherungen und auch alles andere, was mit dem Container zu tun hat, wurde von P&R unterzeichnet oder in deren Auftrag", erklärt Mattil. Die Namen der Anleger tauchten nach jetzigem Wissensstand nirgendwo auf. "Ich denke daher, dass diese Haftungsklausel sehr theoretisch ist."

„Sehe ich so aus, als würde ich lügen?“

Der graue Kapitalmarkt ist ein Sammelbegriff für den Teil des Finanzmarkts, der von der Finanzaufsicht - anders als etwa die Aktienbörsen oder Anleihenmärkte - nur wenig kontrolliert wird. Finanzvermittler, die auf dem grauen Kapitalmarkt Anlageprodukte verkaufen, vermeiden aber den Begriff. Stattdessen versprechen sie gern das Unmögliche: hohe Sicherheit zusammen mit hohen Zinsen oder gar zweistelligen Renditen.

Sicher ist jedoch nur: Egal ob es um Plantagen in Südamerika, Containerschiffe, Hollywoodfilme oder geschlossene Immobilienfonds geht, die Produkte sind riskant, weil die Anleger dabei viel Geld verlieren können. Auch wenn es nicht immer gleich um Anlagebetrug gehen muss, wird das Risiko in der Werbung häufig vertuscht. Oft handelt es sich um eine unternehmerische Beteiligung mit der Gefahr, das investierte Geld komplett zu verlieren. Außerdem sind die verkauften Anteile schlecht handelbar und die Laufzeiten lang. Häufig werden die Kapitalanlagen als Steuersparmodelle verkauft ("Sie wollen doch sicherlich auch Steuern sparen?"). Doch nur wer viel verdient und hohe Abzüge hat, kann in größerem Umfang seine Steuern mindern.

Eine Untersuchung der Verbraucherzentrale Hessen zeigt: In 70 Prozent der Fälle, bei denen Anleger Produkte vom grauen Markt gekauft hatten, standen sie in einer engeren Beziehung zu dem Vermittler. Die Finanzverkäufer, die von Verkaufsprovisionen leben, aber vorgeben zu "beraten", berufen sich mit Vorliebe auf eine Empfehlung von Freunden, Verwandten oder Bekannten. Sie verwenden als Köder gern Begriffe wie "risikolos" oder "Altersvorsorge optimieren" und operieren mit geschlossenen Fragen, auf die gutgläubige Opfer nur mit "Ja" antworten können. Fragen des Kunden werden mit Gegenfragen gekontert ("Sehe ich so aus, als würde ich lügen?"). Seit einigen Jahren versuchen Politiker, den grauen Kapitalmarkt stärker zu regulieren. Nach der Pleite des Windenergiebetreibers Prokon setzte die Bundesregierung das Kapitalanlegerschutzgesetz durch. Die Werbung für Vermögensanlagen muss nun Warnhinweise enthalten. Die Anbieter müssen nun Anlegerprospekte bei der Bafin einreichen. Die Behörde kontrolliert aber nur, ob die Unterlagen formal korrekt sind, sie prüft nicht, ob das Geschäftsmodell seriös ist. Verbraucherschützern gehen die Auflagen nicht weit genug. Andere Länder haben Privatanlegern bestimmte riskante Investments schlicht verboten.

Thomas Öchsner

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