Wölfe in Kanada:Dort hinten geht's zum wilden Pack

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Selbst in Kanada sind Wölfe selten geworden. Tierschützer in Ontario wollen nun mit einem Vorzeige-Rudel zeigen: "Menschenfressende Ungeheuer" gibt es hier nicht.

Von Ingrid Brunner

Wölfe? Kein großes Ding für die Coles. "Wir hören sie jede Nacht heulen, das gehört hier zum Soundtrack", sagt Judith Cole und löffelt weiter ihre Pilzcremesuppe. Ihr Mann Al pflichtet ihr bei, Angst brauche man keine zu haben, obwohl hier nicht nur die Wölfe des Wolf Centre, sondern auch frei lebende Wolfsrudel, englisch "packs" genannt, ihr nächtliches Ständchen geben. Vor den Bären habe er schon mehr Respekt, sagt Al. "Schwarzbären sind so verdammt schlau, früher oder später schaffen sie es, jeden noch so raffinierten Verschluss zu knacken."

Die Coles spazieren gern ins Cookhouse, das Restaurant im Haliburton Forest & Wildlife Reserve, um mal ein wenig Abwechslung und Gesellschaft zu haben. Sie kommen aus Toronto, das gut zweieinhalb Autostunden entfernt ist, und haben hier in der Waldeinsamkeit von Ontario ihr Rentendomizil bezogen. Al hat kniehohe gefütterte Gummistiefel an, die Sohlen haben ein Profil, dick wie das eines Lkw-Reifens. Seine Handschuhe aus Biberfell reichen bis zu den Ellenbogen.

Vielleicht nicht schön, aber so kann man auch in der größten Kälte raus, Schneeräumen, Brennholz holen - oder Skidoo fahren, ein kanadischer Volkssport. Auch die Gäste im Haliburton Forest & Wildlife Reserve können mit dem Schneemobil über zugefrorene Seen brettern. Sie können aber auch auf dem MacDonald Lake Schlittschuh laufen, sich als Musher, also als Hundeschlittenführer versuchen, oder auf Schneeschuh-touren gehen. Man übernachtet in gemütlichen Holzhäuschen mit Kamin oder im eigenen Wohnmobil.

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(Foto: Doug Locke)

Die Tiere sind wild - und sollen es auch bleiben.

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(Foto: Doug Locke)

Manche der hier lebenden Wölfe sind schwarz - so wie Onyx (oben) aus dem Haliburton Wolf Centre.

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(Foto: Peter Redman)

Die Gäste im Haliburton Forest & Wildlife Reserve können sich auch als Hundeschlittenführer versuchen.

Doch viele kommen eigens hierher wegen des Wolf Centre. Ziel der Einrichtung ist es, dem Mythos vom Wolf als menschenfressendes Ungeheuer Fakten entgegenzusetzen. Auch in Kanada dringt der Mensch in den Lebensraum der Tiere ein, zerschneidet Wälder durch Straßen, bejagt die Beutetiere des Wolfs. Das Wolf Centre gilt als wissenschaftliches Vorzeigeprojekt. Die Mitarbeiter erklären den Besuchern, wie wichtig der Wolf im Ökosystem Wald und im Zusammenspiel mit anderen Tieren ist. Touristen, Schulklassen aus der ganzen Provinz und Tierfotografen kommen in die Observation Lounge, wo sie die zehn Tiere des Rudels aus direkter Nähe beobachten können, ohne sie zu stören. "Die Tiere sind lärmempfindlich, doch aus der Lounge dringen keine Geräusche. Dass sie die Menschen sehen, löst bei ihnen hingegen keinen Stress aus", erklärt Paul Brown.

Brown, der Zentrumskoordinator, ist beinahe ein Mann der ersten Stunde. Das Wolf Centre gibt es seit 1993, Brown arbeitet dort schon 23 Jahre - und sagt, er könne sich keinen besseren Job vorstellen. Auch wenn keine Besucher da sind, schaut er gern den Wölfen zu. Sie leben in einem sechs Hektar großen Gehege. Wenn es vor dem Aussichtshäuschen sonnig ist, liegen sie dicht vor den Fenstern.

Über das Gelände verstreut sind Knochen - Überbleibsel von früheren Mahlzeiten. "Die Wölfe knacken gern die Röhrenknochen und saugen das Mark aus", erklärt Brown - eine Knabberei, die das Gebiss in Schuss hält. Außenmikrofone übertragen das Krachen der Knochen ins Gebäude. Gefüttert werde nur unregelmäßig, sagt Brown, denn auch in freier Natur fressen die Tiere nicht täglich um eine bestimmte Uhrzeit. Bis zu einem Monat könnten Wölfe ohne Nahrung auskommen. Die Fütterungen sind nicht öffentlich. "Das ist kein Zoo."

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Deshalb, sagt Brown scherzhaft, bekämen die Wölfe auch kein "Chappi". Auf dem Speiseplan steht, was auch der frei lebende "Eastern Wolf", eine bedrohte Art, hier in Ontario jagt: Biber. "Trapper liefern uns die gehäuteten Kadaver, eine sinnvolle Sache", findet Brown. Kaum zu glauben, aber bis zu 35 Kilogramm schwer kann ein amerikanischer Biber werden. Und bis zu acht solche Tiere bekommen die Wölfe alle sieben bis zehn Tage über eine Schleuse. Kein Mitarbeiter betritt je das Gehege, auch der Tierarzt nähert sich nur, nachdem ein krankes Tier vom Rudel isoliert und per Blasrohr betäubt wurde. Die Tiere sind wild - und sollen es auch bleiben. Ihren Jagdtrieb verlieren sie nicht, auch wenn sie das Jagen nie trainieren konnten. Weshalb sie in freier Wildbahn kaum eine Überlebenschance hätten.

Deshalb ist Peter Schleifenbaum, dem Seniorchef des Familienbetriebs Haliburton Forest & Wildlife Reserve, der Neujahrstag 2013 noch in düsterer Erinnerung. In der Silvesternacht hatten Unbekannte Löcher in den Zaun geschnitten. Vier Wölfe verließen das Gehege, zwei wurden erschossen, die anderen nie gefunden.

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Wer den Zaun aufgeschnitten hat, ist nicht geklärt, doch in der Gegend denken viele, militante Tierschützer hätten die Wölfe befreit. 1962 hat Schleifenbaums Vater Adolf Schleifenbaum, ein Forstwirt aus dem Sauerland, das Waldgelände gekauft. Haliburton Forest, der südlich an den Algonquin Provincial Park grenzt, ist mit 324 Quadratkilometern der größte Privatwald Ontarios. Sohn Peter hat ebenfalls Forstwirtschaft in Göttingen studiert. Der Forest Stewardship Council (FSC) hat Haliburton im Jahr 1998 als erstem Wald Kanadas eine Zertifizierung als nachhaltiger Wald verliehen. Bis heute hat der Wald die Auszeichnung jedes Jahr erneut erhalten.

Die kanadische Holzindustrie hat über Jahrhunderte Wälder gerodet. Es gab Kahlschläge in British Columbia, die vom Weltall aus zu sehen waren; mittlerweile sind die Flächen teilweise wiederaufgeforstet. Noch heute ist Logging, die Holzfällerei, eine Schlüsselindustrie des Landes. Auch der Wald von Haliburton war 1962 ein verwüstetes Areal. Das Gelände wurde von Holzgesellschaften zwischen 1870 und 1910 zum Winter Logging Camp gemacht: Der uralte Wald wurde gerodet und eine Farm darauf errichtet, als Basisstation für weitere Rodungen, man arbeitete sich tiefer und immer noch tiefer in Ontarios Wälder hinein.

Besonders schädlich ist das selektive Holzfällen, bei dem man nur die besten Bäume herausholt. "Der boreale Wald kann dann in seiner Diversität nicht einfach so wieder nachwachsen", erklärt Schleifenbaum. Zum sogenannten borealen Wald, also dem Wald der nördlichsten Klimazone, gehören Fichten, Kiefern, Tannen und Lärchen, Birken und Espen. Doch aufgrund der Klimaerwärmung gedeihen auf Lichtungen vor allem Laubbäume.

"Mein Vater sah das Potenzial, doch Geld war mit dem Wald auf lange Zeit nicht zu verdienen." Inzwischen, sagt der Sohn, könne man die Früchte seiner Arbeit sehen. Auf der einstigen Farm wohnen nun Urlauber, zum Anwesen gehören ein Holzfällermuseum, ein Sägewerk und ein kleiner Holzladen. Forstwirtschaft und Ökologie müssen kein Widerspruch sein.

Dies will er seinen Gästen vermitteln - mittels Freizeitpädagogik auf hohem Niveau: Auf dem Baumwipfelpfad lernen nicht nur Kinder den Wald aus einer neuen Perspektive kennen; auch angehende Forstwirte der Universität Toronto forschen und lernen hier. "Das ist der am besten erforschte Wald der Welt", behauptet Schleifenbaum. Fünf neue Wespenarten wurden hier entdeckt, die Bedeutung von Bibern, Salamandern, Nagern, Käfern und eben auch der Wölfe für den Wald wurde erforscht. Die Uni Freiburg habe Bäume verkabelt, um die Auswirkung von Feuchtigkeit, Trockenheit und Mondphasen auf deren Wachstum zu beobachten.

Allerhand stellt man in Haliburton an, um den Menschen Wolf und Wald näherzubringen. Im Winter können die Gäste auf begleiteten Touren nach Spuren frei lebender Wölfe suchen. Im Sommer gibt es ein Waldfestival, wo auf einer Bühne im See Bands spielen. Die Gäste sitzen am Ufer mit Blick nach Norden, falls ein Nordlicht die Musik untermalen sollte. In den Monaten Juli und August dürfen Besucher im Wolf Centre mit den Wölfen heulen. Bei einem Nachtspaziergang heult Paul los, lauscht auf Antwort, die auch kommt. Sein Geheule kennen die Wölfe. Bei den Gästen sind sie zurückhaltender. "Auch in Kanada hören die meisten Menschen nie einen Wolf in freier Natur heulen", sagt Schleifenbaum. Und für die Coles war das auch mal was Besonderes. In Toronto wohnten sie neben dem Flughafen.

© SZ vom 22.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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